Drei besondere Ausstellungen zur Kunst um 1900 in der Moritzburg – Eröffnung virtuell
Auch wenn das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) derzeit geschlossen ist, wird hinter den Türen weiter an neuen Ausstellungen gearbeitet, die entdeckt werden wollen und müssen, sobald es wieder möglich ist.
Ab Samstag, 1. Mai 2021, wartet „Ein extravaganter Rausch“ auf (virtuelle) Besucherinnen und Besucher.
Nach Fertigstellung aller Ausstellungen wird ein virtueller Rundgang erstellt, der ab 8. Mai die Wartezeit bis zur Wiederöffnung des Museums überbrücken und Neugierigen schon Blicke in die Präsentationen ermöglichen soll.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts musste die Vergnügungssucht des Bürgertums in den großen Städten Japans durch spezielle Anti-Luxus-Gesetze eingeschränkt werden. Ein Ausdruck für diese Lebenswelt sind die aufwendig hergestellten Farbholzschnitte, die der Bewerbung verschiedener Unterhaltungsbranchen dienten. Mehr als 100 Jahre später „grassierte“ in Europa, vor allem aber im Paris der Jahrhundertwende 1900, eine décadence, ein hoch artifizieller „Verfall“ aller Lebensbereiche, der den Verhältnissen in Japan ein Jahrhundert zuvor durchaus ähnelte. Und wieder waren es hochwertige Grafiken, die die Vergnügungssucht der bürgerlichen Gesellschaft als Werbedrucke begleiteten, bzw. kunsthandwerkliche Objekte, die den Alltag sublimieren sollten.
Die drei Ausstellungen auf der gesamten zweiten Ebene des Museums entführen mit herausragenden Objekten in jene dekadenten Welten in Japan und Europa und laden ein, in Vergangenem so manche Parallele zu unserer Gegenwart zu entdecken.
LA BOHÈME
Henri de Toulouse-Lau-trec und die Meister vom Montmartre
Kuratorin: Anke Dornbach
Die Ausstellung ist Teil einer internationalen Tournee durch Italien, Großbritannien, Österreich und Deutschland.
„La Bohème“ entführt in ein aufregendes und vor allem sinnliches Zeitalter – in die Belle Époque – und zur Geburtsstunde der Massenwerbung, wie wir sie heute kennen. Ähnlich der zu Beginn des 21. Jahrhunderts eingesetzten medialen Wende und der neuartigen Kommunikation über
die sozialen Medien bedeutete die Nutzung der Lithografie zur Herstellung teils großformatiger farbiger Plakate einen neuen Schritt in der öffentlichen Kommunikation und Werbung. In diesem Kontext nimmt das Oeuvre von Henri de Toulouse-Lautrec eine herausragende Position ein, denn es gelang ihm, in seinen Plakaten auf höchstem technischen Niveau neue Gestaltungsmöglichkeiten zu finden, die einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der Kunst der Moderne leisteten.
Die Werke stammen aus dem Musée d’Ixelles in Brüssel. Das Museum verfügt über eine der weltweit überhaupt nur existierenden zwei Sammlungen, in denen das gesamte Plakatschaffen des Künstlers vereint ist. Gezeigt werden circa 100 großformatige Plakate Toulouse-Lautrecs und seiner Künstlerkollegen, u. a. von Jules Chéret, Eugène Grasset, Alfons Mucha, Théophile-Alexandre Steinlen, Pierre Bonnard, Georges Meunier und Félix Vallotton.
Dieser umfassende Überblick bietet nach der erfolgreichen Ausstellung „Magie des Augenblicks“ (2016) eine weitere Möglichkeit, die französische Kunst der Moderne durch eine hochkarätige internationale Sammlung im Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) zu erleben – dieses Mal – und damit in Fortsetzung der Lagerfeld-Ausstellung 2020 – mit Blick auf die Ursprünge der modernen Werbung. Vor Toulouse-Lautrec hatte bereits Jules Chéret mit Plakaten die moderne Werbung für Veranstaltungen, Lebensmittel, Bücher etc. begründet. Zur selben Zeit als Tou-louse-Lautrec anfing, mit der Lithografie zu experimentieren, taten dies auch seine Zeitgenossen wie Alfons Mucha oder Théophile-Alexandre Steinlen, die ihrerseits Meisterwerke in dieser Technik schufen. Bereits zeitgenössisch avancierten ihre Plakate von Werbemitteln und Massenmedien zu anerkannten und hoch geschätzten Kunstwerken und Sammlerobjekten.
Zur Ausstellung gibt es einen Audioguide und einen Katalog (145 Seiten, 110 Abbildungen, 25 Euro).
MIMEN, BLUMEN, SCHÖNE FRAUEN
Japanische Farbholz-
schnitte aus der Grafi–schen Sammlung
Kuratorin: Susanna Köller
Schauspieler, Helden und Krieger, Kurtisanen, Bilder von Flora, Fauna und Landschaften, kleine Stillleben – die Welt des japanischen Farbholzschnittes ist mannigfaltig und faszinierend.
Die Entdeckung eines kleinen, bisher unbekannten Bestandes japanischer Drucke im Jahr 2018 in der Grafischen Sammlung führte zu deren wissenschaftlichen Erschließung durch den Dresdener Ethnologen Roland Steffan. Zugleich wurden die Blätter von der Grafikrestauratorin Sophie Philipp gereinigt, restauriert und für die Präsentation neu montiert. Ohne die großzügige Übernahme der Kosten durch die Ernst
von Siemens Kunststiftung wäre dies nicht möglich gewesen. Das Ergebnis ist eine Kabinettausstellung mit 77 Werken des 17. bis 20. Jahrhunderts, die die Entwicklung des japanischen Farbholzschnitts aufzeigt und dessen Themenkanon folgt, wie er unter dem Begriff Ukiyo-e (Bilder der fließenden Welt) bekannt ist. In dem Konvolut befinden sich neben Landschaften von Katsushika Hokusai oder Andō Hiroshige Blätter von Künstlern der Utagawa-Schule, die mit Holzschnitten zum berühmten Kabuki-Theater oder aber zu Themen der japanischen Geschichte und Mythologie vertreten sind. Auch Buchillustrationen und Vorlagenbücher für Künstler sowie 18 kleinformatige, aber umso aufwendiger und als Geschenkblätter zu bestimmten Anlässen gedruckte Surimonos gehören zur Sammlung.
Dass die Kunst des Farbholzschnittes in Japan bis heute neue Impulse erfährt, zeigen Beispiele aus dem 20. Jahrhundert, die jüngst als Schenkungen in die Sammlung gelangten. Ergänzt wird die Präsentation um japanische Objekte aus der Sammlung Kunsthandwerk & Design sowie aus Privatbesitz.
Zur Ausstellung erscheint ein Bestandskatalog (ab Juni 2021, 208 Seiten, zahlreiche Abbildungen).
SCHÖNHEIT UND FUNKTION
Preziosen der Art Nou–veau aus der Sammlung Kunsthandwerk & Design
Kabinettausstellung in memoriam Dr. Helga Schmoll genannt Eisenwerth
Kurator: Ulf Dräger
Paris war vor 120 Jahren der Ausgangspunkt vielfältiger innovativer Gestaltungsideen, die als die Art Nouveau in die Geschichte eingegangen sind. Der Gedanke des bis ins kleinste Detail gestalteten Gesamtkunstwerks trug zu einer besonderen Wertschätzung des Kunsthandwerks bei. Die Welt fremder Kulturen gab eine Vielzahl von vorbildhaften Anregungen. Die beruhigende Ausgeglichenheit des orientalischen Ornaments, die ungewöhnliche Naturabstraktion in der Kunst Japans oder die technischen Raffinessen der Emaille- und Glaskunst Chinas wurden als Impulse gestalterisch aufgenommen und adaptiert.
Die Pariser Galerie „Salon L’Art Nouveau“ des Hamburgers Siegfried Bing sollte der neuen Kunstbewegung nicht nur ihren Namen geben. Die Galerie war eine Wurzel für den Japonismus, der seit den späten 1860er Jahren ganz Europa für die Kunst Japans und Chinas begeisterte. Die handwerkliche Perfektion des Cloisonné, der speziellen japanischen Emaillekunst, faszinierte genauso wie die Dekore und Formen fernöstlicher Keramik.
Auf der Weltausstellung des Jahres 1900 in Paris fand die „École de Nancy“mit Émile Gallé und den Brüdern Auguste und Antonin Daum eine internationale Bühne. Nancy war das entscheidende Zentrum, in dem der florale Jugendstil nicht nur im Glas gedacht, probiert und entwickelt wurde.
Nicht allein die organisch abstrahierende Stilistik und die neuen Farbkontraste, auch die reizvolle Textur der Oberflächen mit ihren effektvollen Reliefierungen fokussierte die neue Stilistik. Im Mittelpunkt stand die Vielfalt der Flora. Organisch aus den Gefäßen wachsende Blüten-und Pflanzendekore begründeten den weltweiten Erfolg, der von der japanischen Kunst gestalterisch und von der komplizierten Glasveredelung der chinesischen Chien-Lung-Ära technisch inspiriert war. Mit Glaspudereinschmelzungen, Zwischenschichtmalereien oder Ätzungen entstanden in Nancy Vasen mit transluziden Landschaften oder impressionistischen Blumenstillleben. Die charakteristischen Dekore beziehen sich häufig symbolgeladen auf schwärmerische Poesien. Damit werden die Gebrauchsgegenstände zu solitär auftrumpfenden freien Kunstwerken und gewinnen trotz ihrer unmissverständlichen Zweckbestimmung Präsenz im Ensemble eines Raumes.
Die keramischen Künste erneuerte die Art Nouveau gleichermaßen mit neuen Glasuren und geometrisch klaren Formen. Spezielle Farbschattierungen, auskristallisiert oder unregelmäßig verlaufend, geflammt oder gefleckt, erheben die schlichten Gefäße zu ästhetisch anspruchsvollen Kunstwerken. Sie bilden einen reizvollen, archaisch wirkenden Kontrast zur Überschwänglichkeit der charakteristischen Glasdekore. Die virtuosen Fähigkeiten des Bildhauers Jules Desbois (1851–1935) werden in seinen sensiblen Bronzegüssen mit bewegten Figurationen anschaulich. Durch die enge Zusammenarbeit mit Auguste Rodin (1840–1917) war er als Bildhauer berühmt. Als Mitglied der Künstlergruppe „L’Art dans tout“ (Die Kunst in Allem) wurde er zu einem Vorreiter für die heute Design genannte Formgestaltung von Gebrauchsgegenständen in Bronze oder Zinn. Diese Editionsarbeiten belegen wie auch die Gläser und Keramiken die Gestaltungskräfte im Jugendstil am Beginn des 20. Jahrhunderts.
Die Mehrzahl der präsentierten Werke stammen aus der Sammlung von Dr. Helga Schmoll genannt Eisenwerth, die sie dem Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) schenkte. Insgesamt umfasst die Schenkung 300 ausgewählte exquisite Objekte und gehört damit zu den umfangreichsten Sammlungserweiterungen für das Kunsthandwerk in den letzten Jahrzehnten.
Natürlich virtuell wie sonst