Steintor, Freiimfelde, Böllberger Weg, Hallmarkt: Antifaschistische Fahrraddemo in Halle (Saale): Eine politische Stadttour gegen rechte Strukturen – Polizei begleitet Demo auf Fahrrädern

Am Samstagnachmittag zog eine antifaschistische Fahrraddemonstration mit knapp hundert Teilnehmern durch verschiedene Stadtteile Halles, organisiert von Halle gegen Rechts – Bündnis für Zivilcourage in Kooperation mit AntifaX. Ziel der Aktion war es, Orte in der Stadt aufzusuchen, an denen in den vergangenen Jahrzehnten Versuche unternommen wurden, extrem rechte Strukturen zu etablieren. Die Demonstration wurde von der Polizei begleitet, teils ebenfalls auf Fahrrädern.

„Seit den frühen 1990er Jahren versuchen extrem rechte Strukturen sich in Halle (Saale) fest zu verankern und die Stadt zu dominieren“, hieß es im Aufruf der Veranstalter. Ob neonazistische Kameradschaften, extrem rechte Parteien oder Akteure der sogenannten „Neuen Rechten“ – sie alle hätten wiederholt versucht, in der Stadt Fuß zu fassen. Die Veranstalter betonten aber auch: Diese Versuche seien stets auf Widerstand gestoßen, der dafür gesorgt habe, dass rechte Strategien nicht dauerhaft aufgegangen seien.

Auftakt am Steintor – Kritik am Varieté

Die Demonstration startete vor dem Steintor Varieté – ein Ort, der laut Veranstaltern nicht zufällig gewählt wurde. Torsten Hahnel von Halle gegen Rechts kritisierte zu Beginn der Tour, dass das Varieté regelmäßig extrem rechten Verschwörungsideologen eine Bühne biete. Als Beispiel nannte er den Kabarettisten Uwe Steimle, den er als „völkisch antisemitischen Jammerossi“ bezeichnete. Steimle sei erst vor einer Woche wieder im Steintor aufgetreten, obwohl er offen für die AfD werbe. Hahnel betonte, dass das Haus damit Geld an Verschwörungserzählungen verdiene, was viele zivilgesellschaftliche Gruppen jedoch nicht davon abhalte, den Veranstaltungsort weiter zu nutzen. Gleichzeitig erinnerte Hahnel daran, dass am 20. Januar 2024 eine große Demonstration mit 16.000 Teilnehmer*innen gegen die AfD an diesem Ort vorbeigezogen sei.

Stationen rechter Infrastruktur – ein Stadtbild der Auseinandersetzung

Die Route führte unter anderem zur Reideburger Straße, wo der Laden „Shirtzshop“ liegt. Ursprünglich wurde dieser vom verurteilten Rechtsextremisten Svenja Marla Liebich betrieben, heute wird er offiziell von einer Schwester geführt. Der Shop habe über viele Jahre eine bedeutende Rolle bei der Verbreitung rechter Hetze gespielt. Doch nach der rechtskräftigen Verurteilung Liebichs zur Haftstrafe gebe es laut Redebeitrag „an diesem Ort derzeit etwas zu feiern“.

Weitere Stationen lagen im Bereich der Landsberger und Delitzscher Straße, wo vor rund 15 Jahren Neonazis mehrere Treffpunkte betrieben, darunter private Wohnungen, Gaststätten und sogar ein Wohnprojekt mit rechter Infrastruktur. Heute existieren diese Orte nicht mehr – ein Umstand, der als Erfolg antifaschistischer Arbeit gewertet wurde.

Am Ernst-Kamieth-Platz stoppte die Demonstration erneut. Der Platz neben dem Hauptbahnhof sei wiederholt als Start- oder Endpunkt rechter Demonstrationen genutzt worden, so die Veranstalter. Nicht selten habe es antifaschistischer Widerstand jedoch verhindert, dass diese Veranstaltungen weit über den Platz hinaus gelangten. „Oft war dies der einzige Ort, den Teilnehmende von Nazidemos zu Gesicht bekamen“, wurde in einem Redebeitrag betont.

Erinnern und Aufklären: Lauchstädter Straße bis Glaucha-Viertel

Ein weiterer Halt erfolgte in der Lauchstädter Straße. Dort befand sich in den frühen 2000er Jahren der rechtsextreme Laden „The last Resort“. Die Demonstration erinnerte an eine Presseerklärung der AG Antifaschismus-Antirassismus vom 17. August 2000, in der der Laden als Schnittstelle der rechten Szene in Halle beschrieben wurde. Er habe nicht nur rechtsextreme Propagandaartikel verkauft, sondern auch als Treffpunkt für die Planung von Angriffen gegen Andersdenkende fungiert. Der Name Sven Liebich fiel auch in diesem Zusammenhang, unter anderem wegen seiner damaligen Zugehörigkeit zur „Blood & Honour“-Gruppe Sachsen-Anhalt.

Unweit davon liegt das Anfang 2025 eröffnete „Gladiator Gym“ in der Lutherstraße, das laut Redebeitrag von bekannten Akteuren aus der rechten Hooligan-Szene betrieben werde. Der Ort werde derzeit genau beobachtet.

Am ehemaligen Kurt-Wabbel-Stadion, das in seiner Geschichte wiederholt als Rekrutierungsfeld für Neonazis gedient habe, zog die Demo vorbei. Auch hier erinnerte man an rechte Gewalt im Kontext des Fußballs.

Fast vergessene Räume der Rechten – Böllberger Weg und Rannischer Platz

Ein weiterer bedeutender Ort ist eine Immobilie im Böllberger Weg, die von der NPD (heute „Heimat“) genutzt wird. Hier fänden regelmäßig Schulungstreffen und sogenannte „Liederabende“ statt. Die Veranstalter kritisierten, dass diese Nutzung bislang kaum öffentliches Interesse geweckt habe – und forderten mehr Aufmerksamkeit für die Aktivitäten in der Immobilie.

Am Rannischen Platz wurde an eine Neonazi-Demonstration vom 9. November 1991 erinnert, die in ihrer offenen NS-Verherrlichung besonders herausgestochen habe. Die damalige Zeit sei geprägt gewesen von rechter Gewalt und dem Versuch neonazistischer Gruppen, ihre Strukturen zu festigen. Auch im benachbarten Glaucha-Viertel hätten sich in den 1990er Jahren rechte Gruppen nahezu ungehindert bewegen können. Gleichzeitig habe es dort mit einem alternativen Café einen ersten Ort des Widerstands gegeben – das am 29. Oktober 1991 von Neonazis massiv überfallen wurde. Solche Übergriffe seien damals oft nur Randnotizen in der Lokalberichterstattung gewesen, rechtliche Konsequenzen für die Täter selten.

Am 1. Mai 2011 sollte erneut eine Neonazi-Demonstration vom Rannischen Platz aus starten – doch massiver antifaschistischer Protest habe dies verhindert.

Hallmarkt bis Adam-Kuckhoff-Straße: Rechte Präsenz und zivilgesellschaftlicher Widerstand

Auch der Hallmarkt war Teil der Route. Er steht sinnbildlich für das Spannungsfeld zwischen rechten Organisationsversuchen und antifaschistischer Gegenwehr seit der Wende. In unmittelbarer Nähe befand sich das erste besetzte Haus der Stadt, das später von der Vereinigten Linken (VL) in der Ludwigstraße fortgeführt wurde. Das Café NÖÖ war in den 1990ern ein zentraler Treffpunkt der alternativen Szene. Noch heute gebe es in der Nähe, so wurde kritisiert, einen gut laufenden Thor-Steinar-Laden, der Kleidung verkauft, die in der rechten Szene als Erkennungszeichen gilt.

Den Abschluss bildete die Adam-Kuckhoff-Straße, in der die sogenannte „Identitäre Bewegung“ ein rechtes Hausprojekt initiieren wollte. Dank regelmäßiger Gegendemonstrationen scheiterte dieses Vorhaben. Doch die Veranstalter mahnten, dies nicht als Selbstverständlichkeit oder abschließenden Erfolg zu werten. „Solange die Mehrheitsgesellschaft in Halle nicht dauerhaft aktiv gegen menschenfeindliche Hetze auftritt und eine gleichberechtigte Kommunikation zwischen Stadtverwaltung und Zivilgesellschaft fehlt“, bleibe der Rückzug der IB lediglich ein Teilerfolg.

Mahnung zur Wachsamkeit

Die Fahrraddemonstration durch Halle war weit mehr als eine Protestaktion – sie war eine politische Stadtführung durch die verdrängte oder vergessene rechte Geschichte der Stadt. Die Veranstalter machten deutlich, dass rechter Aktivismus in Halle nicht der Vergangenheit angehört, sondern bis heute andauert – teils offen, teils verdeckt. Sie riefen zu anhaltendem zivilgesellschaftlichem Engagement und öffentlicher Auseinandersetzung auf.