Bildungsausschuss vertagt Beschluss zur Fusion von IGS Am Steintor und KGS Hutten, Eltern und Schüler protestieren, Schulleiter wirft Stadt falsche Zahlen vor
Die Bildungslandschaft in Halle (Saale) steht vor einer großen Veränderung. Am Dienstag fand die intensive Debatte um die geplante Fusion der Integrierten Gesamtschule (IGS) Am Steintor und der Kooperativen Gesamtschule (KGS) „Ulrich von Hutten“ ihren vorläufigen Höhepunkt im Bildungsausschuss der Stadt. Das Ergebnis nach gut anderthalbstündiger, hitziger Diskussion war eine Vertagung des Beschlusses auf den Januar des kommenden Jahres. Das öffentliche Interesse an der Sitzung war enorm, was sich nicht zuletzt durch die Anwesenheit zahlreicher Elternvertreter und Schüler mit Plakaten im Publikum zeigte. Der sichtbare Protest manifestierte den tief sitzenden Widerstand gegen die Pläne der Stadtverwaltung und verdeutlichte, dass es hier nicht nur um administrative Umstrukturierung geht, sondern um die Identität und die pädagogische Ausrichtung von zwei etablierten Bildungseinrichtungen. Die Elternvertreter wandten sich entschieden gegen die Fusion, während die Stadtverwaltung die Notwendigkeit des Schrittes verteidigte.
Fusion oder „Engere Zusammenarbeit“?
Die Verwaltung sah sich genötigt, die Wortwahl selbst zu hinterfragen. Bildungsdezernentin Katharina Brederlow räumte ein, dass der im Schulgesetz verankerte Begriff „Fusion“ ihrer Ansicht nach die eigentliche Absicht der Stadt nicht treffe. Sie sprach stattdessen von einer „engeren Zusammenarbeit“. Diese semantische Differenzierung mag rechtlich subtil sein, ist politisch jedoch hochbrisant. Sie zielt offenbar darauf ab, die Ängste der Schulgemeinschaften vor einer vollständigen Auflösung und Identitätsverlust zu mildern. Unabhängig von der gewählten Terminologie wird das faktische Ergebnis jedoch eine tiefgreifende Veränderung sein: Am Ende des Prozesses soll es eine Schule mit zwei Standorten geben. Diese Struktur, so die Hoffnung der Verwaltung, soll die rechtliche Existenz des Standortes der KGS sichern. Schon am Dienstagmorgen hatte die Stadtverwaltung versucht, mit einer Pressemitteilung öffentlich für die Notwendigkeit der Fusion zu werben. Darin argumentierte die Verwaltung, dass es trotz eines Angebots von 112 Plätzen an der KGS in sechs von elf Jahren nicht gelungen sei, zumindest 100 Schulplätze in den neuen fünften Klassen erfolgreich zu besetzen. Die Stadt sah hierin einen klaren Indikator für die mangelnde Stabilität der Schule.
Der Streit um die Zahlen: Wer arbeitet mit falschen Fakten?
Die von der Stadtverwaltung präsentierten Zahlen wurden von den Vertretern der Schule scharf angegriffen. Stephan Wussow, der Schulleiter der KGS „Ulrich von Hutten“, stellte die Richtigkeit der Daten vehement in Frage. Er insistierte: „Wir haben immer die 100 geknackt.“ Angesichts der Diskrepanz zwischen seiner Wahrnehmung und den städtischen Angaben zeigte sich Wussow zutiefst irritiert und stellte die Arbeitsweise der Verwaltung infrage: „Da frage ich mich, warum mit solchen Zahlen gearbeitet wird.“ Er ging sogar so weit, eine „Negativpresse“ durch die Stadtverwaltung zu beklagen – ein deutlicher Ausdruck des tiefen Misstrauens, das zwischen Teilen der Schulgemeinschaft und der Verwaltung herrscht. Die Verwaltung hielt jedoch mit eigenen Quellen dagegen. Markus Petzold, der Schulentwicklungsplaner der Stadtverwaltung, konterte die Vorwürfe mit Verweis auf die Schuljahresanfangsstatistik. Er betonte, dass das Problem nicht nur die Anwahl der jeweils neuen fünften Klassen betreffe, in denen das Ziel von mindestens 100 Schülern mehrfach verfehlt wurde. Die eigentliche und wesentlich gravierendere Problematik sei die Gesamtschülerzahl der KGS: „Wir rangieren seit 2015 unter den vom Schulgesetz geforderten 600 Schülern“, so Petzold.
Die Genehmigungsfähigkeit auf der Kippe: Rettung durch Fusion?
Die Unterschreitung der vom Schulgesetz geforderten Mindestschülerzahl von 600 Schülern ist der Kern des Problems und die primäre Begründung für den Fusionsbeschluss. Durch diese anhaltende Unterdeckung stehe die eigenständige Genehmigungsfähigkeit der KGS auf der Kippe. Markus Petzold skizzierte die Fusion mit der IGS Am Steintor als eine Art letzte Rettungsanker-Strategie, um zumindest den Standort zu erhalten, auch wenn er nicht mehr als eigenständige Schule weitergeführt werden könne. Petzolds nüchterne Zusammenfassung der Lage verdeutlichte die aus Sicht der Verwaltung alternativlose Zwangslage: „Wir haben keine andere Möglichkeit, um diese Schule zu retten“, betonte er. An einer späteren Stelle im Verlauf der Debatte wurde Petzolds Argumentation noch drastischer, als er angesichts der Gesamtzahlen der KGS Hutten, die mit 560 Schülern „weit entfernt von den geforderten 600 Schülern“ liege, das nüchterne Fazit zog: „die Schule ist platt.“ Diese ungeschönte Darstellung brachte den Schulleiter Stephan Wussow zur Weißglut. Er machte deutlich, wie schwer es ihm falle, angesichts der Aussagen der Stadtverwaltung emotionslos zu bleiben. Der Konflikt ist somit nicht nur administrativ, sondern zutiefst persönlich und emotional aufgeladen.
Die Stimmen der Schulgemeinschaften: Verlust von Identität und Konzepten
Die Eltern- und Schülervertreter brachten im Ausschuss ihre tiefen Sorgen zum Ausdruck. Jessica Seebauer, Elternvertreterin der IGS, stellte klar, dass ihre Wahl für die IGS Am Steintor bewusst aufgrund des spezifischen Profils der Gesamtschule getroffen wurde. Sie sieht durch die Fusion mit der KGS das bestehende Raumkonzept der IGS in Gefahr und äußerte zudem Bedenken hinsichtlich der Infrastruktur der KGS, da ihrer Ansicht nach die Räume der KGS auch nicht abiturreif seien. Ihre zentrale Frage an die Verwaltung war, wie die geplante Fusion einem drohenden Mangel an IGS-Plätzen entgegenwirken soll. Dezernentin Katharina Brederlow entgegnete, dass die Stadt sich „immer zu den Gesamtschulen bekannt“ habe und durch die Fusion die Gesamtschulplätze an beiden Standorten erhalten wolle. Die Logik der Verwaltung ist hier eindeutig: Sollte der Weiterbetrieb der KGS als eigene Schule durch das Land nicht mehr genehmigt werden, wären alle vorhandenen Gesamtschulplätze am KGS-Standort verloren – ein Szenario, das die Stadt mit der Fusion verhindern will. Der Stadtelternrat, vertreten durch Thomas Senger, positionierte sich ebenfalls kritisch. Er bemängelte, dass die Schulgemeinschaften nicht gefragt worden seien, was das Gefühl der Überstimmung und des Mangels an Partizipation verstärkt. Senger plädierte für einen „Mut zur Lücke“ und verwies auf das Beispiel Magdeburg, wo es keine eigenen Sekundarschulen mehr gebe. Er hielt die nun vorgesehene Fusion für falsch, insbesondere da sie dazu führe, dass die Zahl der Gesamtschulplätze sinkt. Zwar soll es ab dem kommenden Schuljahr 18 neue fünfte IGS-Klassen geben, drei mehr als bisher. Doch im Gegenzug sinkt gleichzeitig die Zahl der KGS-Klassen von 11 auf 7. Unterm Strich resultiert dies in einer Gesamtschulklasse weniger, was die Kritik an der Argumentation der Verwaltung, Plätze erhalten zu wollen, befeuert.
Organisatorische Fragen und der Wunsch nach Eigenständigkeit
Auch die Politik meldete Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme an. SPD-Stadträtin Silke Burkert hob hervor, dass „Die Gesamtschulen in der Stadt leisten gute Arbeit und werden gut angewählt“. Sie äußerte Verwunderung darüber, dass die Schülerzahlen oft nur um ein bis zwei die geforderten 100 unterschreiten. Burkert stellte die Überlegung in den Raum, ob man dieses Defizit nicht umgehen könnte, indem an anderen Schulen kein weiterer Zweig eröffnet würde. Markus Petzold musste jedoch erneut präzisieren, dass es nicht nur um die geringfügige Unterschreitung in den neuen Klassen gehe, sondern um die Gesamtzahl der Schüler über alle Jahrgänge hinweg, wo die KGS Hutten mit 560 weit entfernt von der 600er-Marke liege. Der Wunsch nach Eigenständigkeit wurde von der Basis erneut bekräftigt. Nadine Winter vom Schulelternrat der KGS Hutten sagte, dass sich ein Großteil der Eltern auch weiterhin eine Eigenständigkeit wünsche. Sie fasste die Befürchtungen der KGS-Gemeinschaft zusammen: „Wir wollen als vollwertige Schule erhalten bleiben, nicht nur als Anhängsel.“ Winter sprach auch organisatorische Fragen an, etwa wie die Zusammenlegung vonstatten gehen soll und welche Schüler und Lehrer beispielsweise pendeln sollen. Hierzu stellte die Verwaltung jedoch klar, dass dies Aufgabe der Schule zusammen mit dem Landesschulamt sei. Die Stadt stellt nur die Gebäude.
Die Vertagung des Beschlusses auf Januar verschafft dem Bildungsausschuss Zeit, die tiefgreifenden Bedenken der Schulgemeinschaften und die Alternativvorschläge der Politik zu prüfen. Gleichzeitig bleibt der Druck der Schulgesetze auf die Verwaltung bestehen. Die Zukunft der KGS „Ulrich von Hutten“ und die pädagogische Stabilität der IGS Am Steintor hängen nun von einer Entscheidung ab, die weit über das Administrative hinaus die Schullandschaft in Halle prägen wird. Als nach Ende der Sitzung das Stadthaus verließen, lief durch Zufall gerade Oberbürgermeister Dr. Alexander Vogt vorbei. Mit ihn unterhielt sich KGS-Schulleiter Wussow noch eine Weile. „Es ist gruselig, wie die Stadtverwaltung mit uns umgeht“, sagte Wussow dem OB. Beide kennen sich auch aus ihrer beruflichen Tätigkeit, denn Vogt war noch bis zum Frühjahr Lehrer.












Neueste Kommentare