Brandmauer? Mehrheitswahlrecht? Parteiverbot? – Diskussionsabend an der Uni Halle zum Umgang mit der AfD

Schon seit einigen Jahren ist die AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt sowie im Stadtrat von Halle (Saale) vertreten. Bundesweit ist die Partei derzeit im Höhenflug, mehr als jede fünfte Wahlstimme könnte auf die Rechtspopulisten entfallen. Die aktuelle “Wahlkreisprojektion” für Sachsen-Anhalt (Keine repräsentative Befragung) sieht die AfD in Sachsen-Anhalt gar bei 38 Prozent, die CDU bei 32 Prozent. Alle anderen Parteien sind im niedrigen einstelligen Bereich (Linke 6, SPD 5, Grüne 3, Freie Wähler 3, FDP 2). Am Mittwochabend wurde im vollbesetzten Hörsaal der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg am Steintor-Campus über den Umgang mit der AfD diskutiert. Das Institut für Politikwissenschaften hatte zu den Runde eingeladen.

“Formal muss es ein fairer Umgang sein”, sagte Dr. Volker Best, beispielsweise das Zugestehen von Ausschuss-Vorsitzen. Auch müsse Abstand genommen werden von der Rhetorik der demokratischen Parteien gegen die AfD. So bediene man nur die Opferrolle der Partei. Schließlich sei diese ja demokratisch gewählt. Die AfD und ihre Wähler dürften nicht in Sippenhaft genommen werden. Stattdessen war Best für eine politische Auseinandersetzung mit den Positionen der AfD. Die vielbeschworene Brandmauer werde nicht auf Dauer halten, das zeige sich schon im Thüringer Landtag. Best sprach sich in diesem Zusammenhang für eine Änderung des Wahlsystems mit einem Mehrheitsbonus aus. Die Partei beziehungsweise ein Wahlbündnis von Parteien mit den meisten Stimmen bekäme dabei automatisch die Mehrheit der Sitze im Parlament. Die Kritik der AfD am Parteienstaat sei nicht unbegründet, “da bietet man Angriffsfläche.” Best sprach dabei unter anderem das ausufernde System der Beauftragten an. Die anderen Parteien müssten sich fragen, wie die Demokratie besser gemacht werden könne. Er sehe aber momentan nicht, dass die Message von Umfragen, wonach viele Deutsche mit der Demokratie unzufrieden sind, dort angekommen ist. 

“Grundsympathisch” nannte Dr. Jens Hacke die Idee eines Mehrheitswahlrechts. Die AfD sei der „Seismograph unserer politischen Kultur.” Ein Problem sei auch, wie die “politische Elite” mit dem Volk spricht. Ein moralischer Überschuss führe schnell zur Übersättigung. Die Nazi-Keule löse kein Problem. Auch könne man politische Probleme nicht mit Geld lösen (Stichwort: Doppel-Wumms). Zudem müsse sich die Politik darauf einstellen, dass sich die Medienlandschaft geändert hat – heute gibt es durch die sozialen Netzwerke viel mehr Möglichkeiten. Man könne von Glück reden, dass es abseits von Thüringen keine so charismatische Führungsfigur wie ein Björn Höcke gebe. Oft wird ja die Situation heute mit der in der damaligen Weimarer Republik verglichen. Hacke sieht das nicht so, denn in der damaligen Zeit seien in den Institutionen noch viele Menschen gewesen, die die noch junge Demokratie abgelehnt haben. Allerdings müssten die heutigen Institutionen selbstbewusster auftreten. 

Und auch Prof. Dr. Andreas Petrick sieht in dem Gerede zwischen demokratischen und nichtdemokratischen Parteien die Gefahr, dass die AfD ihre Opferrolle bedient. Trotzdem finde er die Unterscheidung sinnvoll, er sprach von einem “Konsens der Demokraten”. Die größte Gefahr sehe er hingegen im Populismus anderer Parteien, beispielsweise Aussagen aus der CDU, die auch AfD-Positionen sein könnten. An Schulen gibt es regelmäßig Gesprächsrunden, zu denen auch Politiker eingeladen werden. Da ist dann oft die Frage, ob man auch die AfD einlädt. Das müsse jede Schule für sich entscheiden, sagte Petrick. Er habe dort schon sehr erfolgreiche Diskussionsrunden erlebt, bei denen die “oberflächlichen Argumente der AfD” zerlegt worden seien. Petrick sprach davon, dass Jugendliche aus Naivität die Parolen der AfD nachplappern, aber offen für Fakten seien. Demokratie bilde die Stimmungen und Werte ab. Deshalb wäre es ein negativer Schritt in der Demokratie, wenn solche populistischen Stimmen nicht zu hören wären, so Petrick bezüglich eines Parteiverbots. Er habe große Sorge, dass die Demokratie kippen könne. Er warne davor, die AfD auf die leichte Schulter zu nehmen.

“Nicht jeder, der sich in der AfD engagiert oder sie wählt, ist rechtsextrem”, sagte Prof. Dr. Johannes Varwick. Doch die Partei fördere und dulde Rechtsextremismus. Wer sie trotzdem wähle, spiele mit dem Feuer. Varwick wies darauf hin, dass die Bundes-AfD ein rechtsextremer Verdachtsfall ist, die Landesverbände in Thüringen und Sachsen-Anhalt gar als gesichert rechtsextrem gelten. Varwick warb dafür, die inhaltliche und sachliche Auseinandersetzung mit den Positionen der AfD zu suchen. Demokratie heiße, dass auch der andere mal Recht haben könnten. Nicht bei jeder abweichenden Meinung solle die Nazikeule geschwungen werden. So ein ein Bernd Lucke (der erste AfD-Vorsitzende) genauso als rechtsradikal bezeichnet worden wie heute ein Björn Höcke. Den anderen Parteien riet er, keine Koalition mit der AfD einzugehen, aber auch keine Brandmauer aufzubauen. Die AfD nehme in manchen Politikfeldern eine “Korrektivfunktion” wahr, beispielsweise bei den Themen Migration und Gendern. “Die AfD greift Themen auf, die große Teile der Bevölkerung interessieren.” Doch bewege sich die Partei auf eine Radikalisierung zu, beispielsweise wenn von “Passdeutschen” oder dem “Großen Austausch” die Rede sei. Problematisch finde er, dass die AfD kaum in große Talkshows eingeladen wird. 

In der Debatte meldete sich auch der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider zu Wort. Er wies von sich, gegen das Grundgesetz zu sein und beklagte, dass er unter „Delegitimierung des Staates” im Verfassungsschutz geführt werde. Schließlich sei das ja die Arbeit der Opposition. Das Stichwort für Johannes Varwick. Tillschneider sei ein Beleg dafür, weshalb die Beobachtung durch die Verfassungsschutz nötig sei. Schließlich hatte Tillschneider sei Büro im Gebäude der rechtsextremen Identitären Bewegung. “Das ist ein Zeichen dafür, dass der Verfassungsschutz bei Ihnen genau hinguckt. Ich hoffe, Sie müssen sich warm anziehen.”

Der MitBürger-Stadtrat Detlef Wend sprach von einem “Morbus AfD” und deren Verdächtigkeit im Tonfall. Auch warf er die Frage auf, wie stabil die Demokratie eigentlich sei oder ob billiges Gas aus Russland den Menschen wichtiger sei und sie dafür auch in Kauf nehmen, dass ein kleinerer Staat seine Freiheit verliert (Ukraine). 

Könnte man die Rechtspopulisten nicht zivilisieren, wurde im Publikum als Frage aufgeworfen. “Der Zug der Zivilisierung ist abgefahren”, meinte Prof. Dr. Petrick. “Mittlerweile dominieren waschechte Rechtsextremisten.” Erfahrungen aus anderen Ländern würden auch zeigen, was passiere, wenn diese Leute an der Macht seien – Sägen an der Meinungsfreiheit, Einschränkung von Minderheitenrechten oder der Umbau der Verfassungsgerichte zu ihren Gunsten. Die Schriften von Björn Höcke enthalten zudem ähnlich viele Gewaltphantasien wie Hitlers “Mein Kampf”.