“Es darf nicht vergessen werden”: Holocaust-Gedenken am Standort der von Nazis zerstörten Synagoge in Halle

In der Großen Brauhausstraße stand einst die hallesche Synagoge, bis das Gebäude 1938 von den Nationalsozialisten niedergebrannt wurde. Heute stehen hier DDR-Plattenbauten. Im Hinterhof gibt es einen Gedenkstein, der an die Synagoge erinnert. Anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktags fand hier am Samstag eine kleine Gedenkandacht statt. Das Datum bezieht sich auf den 27. Januar 1945, als das Konzentrationslager Auschwitz befreit wurde.

Auschwitz sei das Symbol der fabrikmäßigen Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten, sagte Kulturdezernentin Judith Marquardt. “Die Ausgrenzung, die Diffamierung, die Verfolgung jüdischer Bürgerinnen und Bürger begann aber schon viel früher.” Doch der Hass der Nazis habe sich auch gegen Sinti und Roma, Homosexuelle, Menschen mit Behinderung, gegen politisch Andersdenkende, gegen Christen, gegen Wissenschaftler, gegen Künstler, gegen Journalisten gerichtet. Das Erinnern sei sehr wichtig, sagte Marquardt. “Es darf nicht vergessen werden. Es darf nie wieder geschehen. Unser Leitspruch ist: nie wieder ist jetzt.”

“Wo es Opfer gibt, da gibt es auch Täter”, sagte Michael Viebig von der Gedenkstätte Roter Ochse. Die Geschichte der Vernichtung von Menschen sei verbunden mit der Geschichte von Leuten, die das getan haben, sich organisiert haben, so Viebig, die am Schreibtisch gesessen haben. Die ganze Welt kenne den in Halle (Saale) geborenen Reinhard Heydrich, in die Geschichte eingegangen als der “Schlächter von Prag”. Er habe seine ganze Lebenskraft hineingelegt, diese Menschen zu ermorden. “Dieser Mann ist allen bekannt. Aber es gab auch viele kleine Täter”, so Viebig. Im SS-Sammellager Mechelen in Belgien spielte mit Erich Krüll ebenfalls ein Hallenser eine entscheidende Rolle. Der Diplomvolkswirt war als Vertreter der Brüsseler Treuhand für die Beschlagnahmung jüdischen Besitzes zuständig, hat im Sammellager den dort ankommenden Menschen ihre letzten Besitztümer genommen. Brutalität und skandalöses Verhalten gegenüber Frauen wurde ihm ebenso bescheinigt. Es habe ihm vergnügen gemacht, bei der Untersuchung junger Frauen dabei zu sein, bei denen diese sich komplett entkleiden mussten. Krülls Familie lebte in einer stattlichen Wohnung im Robert-Franz-Ring, besaß zudem eine Zweitwohnung in Leipzig, die nach dem Krieg bei einer halleschen Versicherung als “Bombenschaden” angemeldet wurde. Nach dem Krieg meldete er sich als Kriegsgefangener bei den Amerikanern, verbrachte dann einige Wochen in Haft und kehrte dann nach Halle zurück, so Viebig. Kurz bevor die Sowjetarmee das Regiment übernahm, ging Krüll mit Frau und Adoptivkind nach Niedersachsen. Er wurde nie für seine Taten belangt, so Viebig. “Aber wir sollten einfach wissen, dass es diese Menschen hier gegeben hat.” Und wenn er heute sehe, was in der Politik diskutiert werde und sich Menschen einer Partei zusammenfinden und darüber reden, was mit Menschen passieren soll, die man hier nicht haben will, und ein überforderte landesvater nicht für ein würdiges Gedenken in der Landeshauptstadt sorgen kann, “dann habe ich selbst meine Bedenken. Und wir sollten wissen, dass es schonmal so etwas gegeben hat: Dass Menschen etwas getan haben, wofür wir uns auch heute noch Generationen später immer noch schämen müssen. Schämen allein genügt aber nicht.” Viebig dankte in diesem Zusammenhang den 16.000 Teilnehmern in Halle am vorigen Samstag bei einer Demo gegen Rechts.

Zur Gedenkandacht waren auch zahlreiche Stadträte und Landtagsabgeordnete gekommen, darunter Hendrik Lange, Christoph Bergner, Katja Müller, Mario Lochmann und Andreas Silbersack sowie die ehemalige Oberbürgermeisterin Ingrid Häußler.