„Halle am Meer“: gemeinsame Ausstellung in der Kunsthalle “Talstrasse“ und Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) zu Ahrenshoop als Sehnsuchts- und Zufluchtsort hallescher Künstlerinnen und Künstler
Bis zum 17. September 2023 holen die Kunsthalle und das Kunstmuseum den Ostseestrand an die Saale. Erstmals beleuchtet eine umfassende Ausstellung das Beziehungsgeflecht zwischen Ahrenshoop auf der Halbinsel Fischland-Darß und der Saalestadt.
Ahrenshoop auf der Halbinsel Fischland-Darß war und ist für die halleschen Künstlerinnen und Künstler seit hundert Jahren ebenso ein Ort der Erholung wie der Inspiration. „Halle am Meer“ stellt erstmals in einem großen Panorama die in Auseinandersetzung mit der Ostsee entstandenen Arbeiten vor und vereint mehr als 280 Werke aus anderthalb Jahrhunderten. Das Ausstellungsprojekt ist eine Kooperation mit dem Dresdner Institut für Kulturstudien und findet im Sommer 2023 im Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) und in der Kunsthalle „Talstrasse“ sowie im Herbst/Winter 2023/24 im Kunstmuseum und Kunstkaten von Ahrenshoop statt.
„Die Ostsee war für die Ostdeutschen über vier Jahrzehnte ein Ort der Sehnsucht – und zugleich staatlich bewachte Grenzregion. Künstlerinnen und Künstler haben das oft besonders sensibel wahrgenommen und in ihren Werken verarbeitet. Wir freuen uns sehr, mit unserer Förderung erneut dazu beizutragen, ein weiteres, bislang kaum dargestelltes Kapitel ostdeutscher Kunst sichtbar zu machen.“ Patricia Werner Geschäftsführerin der Ostdeutschen Sparkassenstiftung
Den chronologischen Auftakt der zweiteiligen Schau macht in Halle (Saale) die Kunsthalle „Talstrasse“ mit Gemälden von Vertreterinnen und Vertretern der Künstlerkolonie Ahrenshoop. 1891 bauten die Schwestern Anna und Bertha Gerresheim das erste Malerhaus am Ort. Ihnen folgte 1892 Paul Müller-Kaempff, der als Gründer der Künstlerkolonie Ahrenshoop gilt. In den frühen Jahren kamen mit Friedrich Wachenhusen, Elisabeth von Eicken, Friedrich Grebe, Heinrich Schlotermann u. a. weitere Künstlerinnen und Künstler nicht selten aus den Großstädten. Der Himmel, das Meer und die Boddenlandschaft sowie die Menschen als Zeugen einer Lebensweise im Einklang mit der Natur waren ihre Motivwelten.
Die attraktive Lage von Ahrenshoop im „Hinterland“ Berlins gab dem Ort auch nach dem Ende der Künstlerkolonie in ihrer klassischen Form eine lückenlose Relevanz als Rückzugsort und attraktive Arbeitsstätte für Künstlerinnen und Künstler. Über Generationen hinweg überführten Künstlerinnen und Künstler die klassischen Themen in die jeweils aktuelle Bildsprache der Moderne. Das gilt insbesondere für die Jahre der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Diktatur. Schon früh kam aus Halle (Saale) Gerhard Marcks nach Ahrenshoop, der sich spätestens seit den 1920er Jahren regelmäßig dort aufhielt und 1929 in Niehagen ein kleines Haus erwarb. Hierher zog er sich nach seiner Entlassung aus der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle im Jahr 1933 zurück; 1944 siedelte er vollständig auf das Fischland über. Mit Gerhard Marcks und dem mit ihm befreundeten und bereits seit 1921 hier lebenden Maler Alfred Partikel begann die Zeit hallescher Künstlerinnen und Künstler in Ahrenshoop. Zu ihnen gehören auch die beiden BURG-Absolventen Wilhelm und Frida Löber, die seit 1932 dauerhaft auf dem Fischland leben und nach 1945 zusammen mit dem Ehepaar Klünder die berühmte Fischland-Keramik begründen.
Werke von Vertreterinnen und Vertretern der klassischen Moderne, wie George Grosz, Werner Gilles oder Dora Koch-Stetter und Alexej von Jawlensky sowie Künstlerinnen und Künstler aus Halle (Saale), wie Karl Völker, Erwin Hahs und Charles Crodel, spannen den künstlerischen Bogen bis in die 1940er Jahre.
„Es war mir wichtig, den Blick auf die Künstlerkolonie Ahrenshoop und die vielen Sommergäste bis 1945 in das Gesamtprojekt einzubringen, um so die Voraussetzungen für die Faszination hallescher Künstlerinnen und Künstler für diesen besonderen Ort erfahrbar zu machen. Besonders freut es mich, dass es bei dieser Ausstellung auf Augenhöhe zu einer Zusammenarbeit zwischen uns als einem freien Träger und einem staatlichen finanzierten Museum gekommen ist. Anders als bei den jüngst zurückliegenden Kooperationen mit dem Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) haben wir die Ausstellung diesmal von Beginn an als ein großes Gemeinschaftsprojekt verstanden und mit dem Dresdner Institut für Kulturstudien und den Kolleginnen und Kollegen in Ahrenshoop entwickelt.“ Matthias Rataiczyk, Vorsitzender / Leiter Kunsthalle “Talstrasse“
Parallel zur Ausstellung zeigt die Kunsthalle in einer Kabinettausstellung Malerei, Zeichnungen und Druckgrafik von Rosemarie und Werner Rataiczyk, die bei Ostseebesuchen entstanden und beide Künstler in einen spannenden Dialog treten lassen.
Im Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) wird die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart gezeigt. Nahtlos setzt sich die Erzählung mit Werken der nächsten Generation in den späten 1940er Jahren fort und berichtet vom furiosen Neuanfang in Halle (Saale) mit Malern wie Hermann Bachmann, Kurt Bunge, Herbert Kitzel, Werner Rataiczyk, Fritz Rübbert oder Willi Sitte. Ihre Strandbilder atmen oft eine melancholische Stille und Sehnsucht. Einmal mehr wird deutlich, wie einzigartig der künstlerische Neuanfang nach Ende des Zweiten Weltkriegs in der Saalestadt war.
Ein besonderes Kapitel stellen die Ereignisse im Juni/Juli 1951 dar, als sich Ulrich Knispel, Dozent im Grundlagenstudium an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, mit seiner Gruppe von 27 Studierenden mit massiven Formalismus-Vorwürfen konfrontiert sah, in deren Folge er sich nur durch Flucht in die Bundesrepublik einer Verhaftung entziehen konnte. Diesem Komplex ist im Turmkabinett ein eigener Ausstellungsbereich zu Beginn des Rundgangs gewidmet.
Fünf Folge-Kapitel mit Werken von Hannes H. Wagner, Lothar Zitzmann, Wasja Götze, Inge Götze, Moritz Götze, Grita Götze, Rosemarie Rataiczyk, Matthias Rataiczyk, Werner Liebmann, Uwe Pfeifer, Rüdiger Giebler, Christoph Bouet u. v. a. berichten vom weiteren Verlauf der Auseinandersetzung der Künstlerinnen und Künstlern aus Halle (Saale) mit Ahrenshoop, der Ostsee und dem Maritimen bis in die Gegenwart. Dabei wird deutlich, dass es die Künstlerinnen und Künstler aus der Saalestadt waren, die in einer „ersten Welle“ gleich nach Kriegsende den traditionsreichen Künstlerort an der Ostsee wiederentdecken. In einer „zweiten Welle“ ist es in den 1960er und 1970er Jahren die nächste Generation, die regelmäßig aus Halle (Saale) nach Ahrenshoop pendelt, darunter die Künstlerfamilien Götze und Rataiczyk. In den 1980er Jahren schließlich wird der Ostseestrand als Grenzregion des Landes erneut symbolisch – und verlassen viele Künstlerinnen und Künstler das Land. Auch nach der Wiedervereinigung hat Ahrenshoop seine Relevanz als Künstlerort nicht verloren – im Gegenteil: Bis heute kommen regelmäßig Künstlerinnen und Künstler aus Halle (Saale), wie auch aus anderen Landesteilen, auf die Halbinsel und arbeiten dort, so z. B. Christoph Bouet, dessen ausgestellte extrem pastosen Gemälde in traditioneller Pleinair-Malerei entstehen. Stipendien, vergeben von der Kunststiftung Sachsen-Anhalt, ermöglichen Künstlerinnen und Künstlern jährlich im Herbst einen Aufenthalt im Künstlerhaus Lukas, dem ehemaligen Pensionshaus der Malschülerinnen des Koloniegründers Paul Müller-Kaempff. Somit beweist Ahrenshoop – anders als das vielleicht bekanntere Worpswede, das eine Musealisierung seiner Vergangenheit erfuhr –, dass es bis heute ein lebendiger Künstlerort geblieben ist.
„Die Ausstellung beleuchtet nicht nur die interessanten Verbindungen zwischen der Saalestadt und der Ostsee, sondern – und das freut mich besonders – macht vor allem deutlich, wie qualitativ hochstehend die in Halle (Saale) entstandene Kunst nach 1945 war. Seit Langem überfällig, wird erstmals deutlich, über welches Potential die noch viel zu wenig erforschte und bekannte Kunst der Halleschen Schule verfügt.“ Thomas Bauer-Friedrich Direktor Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale)
Ergänzt wird die Gemäldepräsentation an beiden Ausstellungsorten durch Fotografien aus den 1930er Jahren bis in die 1990er Jahre von Heinrich Koch, Gerda Leo, Annemarie Giegold-Schilling, Ingeborg Schneider, Christine Becker, Helga Paris, Thomas Sandberg und Eva Mahn sowie Emaillearbeiten, Plastiken und Keramiken von Gerhard Marcks, Wilhelm und Frida Löber, Ella und Friedemann Löber und Grita Götze sowie 5 Textilkunstwerken von Renate Voigt, Rosemarie Rataiczyk, Inge Götze und Ulrich Reimkasten.
Parallel zu „Halle am Meer“ ist im Nordflügel der Moritzburg die Kabinettausstellung zu Gertraud Möhwald und Otto Möhwald zu sehen. Sie hatten beide 1951 am Ostsee-Aufenthalt der Klasse von Ulrich Knispel teilgenommen. Während „Halle am Meer“ in einem großen Panorama die Entwicklung der halleschen Kunst seither bis in die Gegenwart erzählt, geht die Kabinettausstellung fokussiert der Entwicklung der Œuvre der beiden wichtigen Vertreter der Halleschen Schule nach.
Gibts auch ein Porträit von Clemens Tönnies? Oder eine kritische Sicht auf die Entwicklung des Darß? Oder sind die Ossikünstler froh, dass die Wessis was kaufen ?