Türen auf für „Sittes Welt“ – Willi Sitte: Die Retrospektive“ mit mehr als 200 Werken in der Moritzburg
Am heutigen Sonntag öffnen sich im Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) die Türen zur neuen Ausstellung Sittes Welt. Willi Sitte: Die Retrospektive.
Der Künstler und Kulturpolitiker Willi Sitte (1921–2013) gehört zu den national wie international bekannten Kunstschaffenden der DDR und ist zudem der umstrittenste Vertreter der Kunst dieses Staates. Die Retrospektive setzt sich mit dem zwischen den 1930er Jahren und der Jahrtausendwende entstandenen Gesamtwerk Sittes auseinander. Sie liefert erstmals seit 1989/90 und ohne kulturpolitische Einflussnahme einen umfassenden Überblick über die Entwicklung des Werkes des exponiertesten Repräsentanten des offiziellen Kunst- und Kultursystems der DDR.
Die Ausstellung ist die erste seit der letzten Retrospektive 1986 in OstBerlin und versteht sich dezidiert als Teil der Aufarbeitung des Kunstund Kultursystems in der DDR. Damit stellt das Projekt 30 Jahre nach der Wiedervereinigung einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der als Staatskunst apostrophierten Kunst Willi Sittes dar. Anhand repräsentativer Werke aus öffentlichen und privaten Sammlungen im In- und Ausland wird Sittes Entwicklung im Kontext des Sozialistischen Realismus wie auch im Widerspruch zu diesem sichtbar.
Die Basis der ausgestellten Werke bilden der repräsentative eigene Sammlungsbestand des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale), Arbeiten aus dem Nachlass des Künstlers sowie bedeutende Leihgaben aus der Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin, dem Museum der bildenden Künste in Leipzig und aus Privatsammlungen.
Für eine solche Ausstellung gibt es keinen prädestinierteren Ort als das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale)! Zum einen hat Willi Sitte den größten Teil seines Lebens in der Saalestadt verbracht und bewahrt das Museum in seiner Sammlung knapp 100 seiner Werke der 1940er bis 1980er Jahre, zum anderen beweist es mit seiner 2017/18 neu eingerichteten Sammlungspräsentation Wege der Moderne. Kunst in Deutschland im 20. Jahrhundert, wie man mit einer sachlich-objektiven Präsentation erfolgreich zur Auseinandersetzung mit der Kunst in der DDR beitragen kann. Zum dritten fanden bereits 1971 und 1981 große Werkschauen des Künstlers in diesem Haus statt. Nach der ersten Retrospektive 1971 zum 50. Geburtstag ist Anlass dieser Schau der 100. Geburtstag im Jahr 2021.
Sittes Welt erstreckt sich über zwei Ebenen im gesamten Westflügel der Moritzburg. Im 1. Obergeschoss findet auf ca. 1 100 qm die eigentliche retrospektive Vorstellung des Gesamtwerks statt. Ein weitestgehend chronologischer Parcours ist in thematische Cluster gegliedert. Einen zentralen Raum nehmen die Werke der 1940er bis 1960er Jahre ein, die die entscheidenden Entwicklungsjahre Willi Sittes waren – sowohl künstlerisch als auch in seinem Verhältnis zu Staat und Partei. Der große Ausstellungsraum im 2. Obergeschoss vereint auf ca. 400 qm ein Dutzend der großformatigen Programmbilder des Künstlers von den 1950er Jahren bis in die 1980er Jahre. In einem weiteren Segment zwischen beiden Ausstellungsteilen steht der Kulturpolitiker Willi Sitte als Präsident des Verbands Bildender Künstler zur Diskussion.
Willi Sitte kam nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1947 im Auftrag der SED-Landesleitung Sachsen-Anhalt nach Halle (Saale) und begann, sich im Umfeld der Burg Giebichenstein als Maler zu qualifizieren, nachdem er sich bereits in den Jahren vor 1940 autodidaktisch zeichnerisch gebildet und auf diesem Gebiet eine hohe Versiertheit erlangt hatte. In Halle (Saale) gehörte er zu den Künstlern, die nach dem Ende des „Dritten Reichs“ im bewussten Anknüpfen an die zwischen 1933 und 1945 als „entartet“ geächtete Moderne einen künstlerischen Neuanfang forcierten. Gemeinsam mit Künstlern wie Hermann Bachmann, Herbert Kitzel und Kurt Bunge bestimmte er, u. a. als Mitglied der Künstlervereinigung Die Fähre, das Kunstgeschehen in der Saalestadt.
Mit dem Lehrauftrag, den ihm die Kunstschule in der halleschen Burg Giebichenstein 1950 erteilte, begann die bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1986 währende Tätigkeit Willi Sittes als Hochschullehrer und Verantwortlicher für die Ausbildung des künstlerischen Nachwuchses in der DDR (ab 1952 festangestellt als Dozent, 1959 mit der Wahrnehmung einer Professur betraut, ab 1964 als Professor für Textilgestaltung, ab 1972 als Direktor der Sektion Bildende und Angewandte Kunst, ab 1973 als Professor für Malerei, ab 1974 mit der Betreuung von Meisterschülern).
Nach anfänglicher Tätigkeit im Grundlagenstudium baute er ab 1953/56 die Fachrichtung Textilgestaltung auf. Parallel wurde sein freies künstlerisches Schaffen bis weit in die 1960er Jahre im Zuge und Nachklang der um 1950 geführten Formalismus-Diskussion fortwährend als nicht den Normen des geforderten Sozialistischen Realismus entsprechend kritisiert. Das Ringen des Künstlers mit der Partei und der Partei mit ihrem Maler kulminierte 1961 in zwei Selbstmordversuchen mit anschließendem Parteiverfahren und schließlich Anfang 1963 in der von der Partei eingeforderten Selbstkritik, die er im Februar 1963 öffentlich in der Tagespresse vornahm. Im Sommer 1963 erhielt er seine erste Einzelausstellung in der DDR (Angermuseum, Erfurt).
Während dieser Entscheidungsjahre pflegte Sitte Kontakte zu Künstlern in der BRD (München, Künstlergruppe tendenzen) und war befreundet mit den Lyrikerpaaren Sarah und Rainer Kirsch und Christa und Gerhard Wolf – ebenso wie mit Wolf Biermann, den er wiederholt zu Lesungen in die Burg Giebichenstein einlud. An der Positionierung der Freunde zum Prager Frühling 1968 schieden sich die Geister und trennten sich spätestens die Wege.
Mit seiner Wahl in den Zentralvorstand des Verbands Bildender Künstler in der DDR (VBK) im Jahr 1964 begann die aktive kulturpolitische Tätigkeit Willi Sittes. Anhaltende öffentliche Kritik der Partei an der Ausrichtung seines künstlerischen Schaffens lief bis Ende der 1960er Jahre parallel mit öffentlichen Anerkennungen und Ehrungen seiner Person (u. a.: 1964 Kunstpreis der DDR, 1965 Vaterländischer Verdienstorden, 1969 Berufung zum ordentlichen Mitglied der Akademie der Künste in der DDR). Mit seinem politischen Werdegang (1970 Vizepräsident des VBK, 1974–88 Präsident des VBK, 1976–89 Mitglied der Volkskammer der DDR, 1986–89 Mitglied des Zentralkomitees der SED) entwickelte sich Sitte in der Ära Erich Honeckers bis zum Zusammenbruch der DDR 1989 zu einem der einflussreichsten Künstler und Kulturpolitiker im Staat.
Begleitend zur Ausstellung gibt es ein umfangreiches Programm mit Vorträgen, Workshops, Führungen und weiteren Veranstaltungen. Mehr unter dem Stichwort Begleitprogramm auf: www.sitteswelt.de
Endlich wird sein Werk in seiner Heimatstadt so gewürdigt, gratuliere.
Welches denn genau?
Seine Arbeit im Politbüro?
als Nutznießer und Unterstützer des DDR Regimes?
Ich hatte in den 90ern die Möglichkeit, ihn in seinem Atelier in der Frohen Zukunft besuchen zu dürfen. Ich traf dort auf einen Menschen, der ständig das gesellschaftliche Sein hinterfragte und seine Schlussfolgerungen daraus, wie ich es nur noch von Tübke kenne, auf die Leinwand brachte. Ich freue mich darauf, ihn in seinen Bildern wieder zu sehen!