Welche Oper braucht Halle? Eine Diskussion zur Zukunft
Viel wurde in den vergangenen Wochen über die hallesche Oper diskutiert und geschrieben. Am Sonntagabend kamen nun Oper und Publikum unter dem Motto „Ein Opernhaus für alle – Welche Oper braucht Halle?“ zusammen. Neben dem Leitungsteam der Oper Halle (Florian Lutz, Dr. Veit Güssow, Michael von zur Mühlen) waren auch der Intendant des Nationaltheaters Weimar und Vorsitzende der Intendantengruppe des Deutschen Bühnenvereins Hasko Weber und die Prorektorin der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle Prof. Dr. Sara Burkhardt als Gäste auf das Podium geladen. Moderiert wurde die Veranstaltung von Reinhard Bärenz, Leiter Hauptredaktion Kultur beim MDR.
Hauptkritikpunkte waren in den vergangenen Wochen sinkende Einnahmen durch sinkende Zuschauerzahlen. Die Rede war von einem 1,5-Millionen-Euro-Loch. Doch dieses Thema, das eigentlich für die Zukunft der halleschen Bühnen von immenser Wichtigkeit ist, wurde nur ganz am Anfang am Rand gestreift. Er könne nicht bestätigen, dass der Wurm drin ist, sagte Opern-Intendant Florian Lutz. Er zeigte sich vor allem glücklich, dass unter seiner Intendanz mehr Premieren gezeigt worden sind. Auch das Interesse der Medien sei groß gewesen, Besprechungen wohlwollend ausgefallen. „Ich kann nicht sagen, dass da der Wurm drin ist“, so Lutz, der auch kurz auf die vom Moderator aufgeworfenen Zahlen einging: -44 Prozent bei den Einnahmen, -40 Prozent bei den Zuschauern. Es sei nicht so glücklich, mitten in der laufenden ersten Spielzeit Diskussionen zu Zahlen aufzumachen, sagte Lutz. Die in der Zeitung dargestellten Zahlen will Lutz so nicht gelten lassen. „Die Premieren waren so schlecht nicht besucht“, meinte er, und will einen Grund für das Minus ausgemacht haben. In den vergangenen Jahren seien auch Matinees und Versteigerungen und sonstigen Rahmenveranstaltungen mit in die Zählweise eingeflossen, dieses Mal nicht. Dass es einen kleinen Rückgang gab, kann auch Lutz nicht verhehlen, er sei aber keineswegs so drastisch ausgefallen, wie in den Medien dargestellt. Über die Zahlen in der Zeitung sei auch er selbst erschrocken gewesen, „die waren mit uns nicht abgestimmt.“ Normalerweise werde auch nach Spielzeiten analysiert. Deshalb finde er die Zahlen auch gar nicht so alarmierend. Blicke man nur auf die Neuproduktionen, habe man damit 6.000 Zuschauer mehr erreicht. Klassiker wie Carmen oder Casanova seien dagegen kaum gefragt gewesen. „Hier haben wir teilweise nur vor 80 Zuschauern gespielt“, so Lutz, der das Minus nicht auf seine Inszenierungen zurückführt. Das heiße aber nicht, dass man mit den neuen Sachen alles richtig gemacht habe. Beispielhaft hob er den fliegenden Holländer hervor, eine stark diskutierte Inszenierung mit vielen Gegnern und vielen Fans. 5.000 Zuschauer habe man erreicht. Damit sei es nach dem Nussknacker die zuschauerstärkste Inszenierung der Spielzeit.
Hasko Weber meinte, so eine Diskussion über Zahlen binde viele Menschen sofort. Und wenn eine Zahl erst einmal im Raum sei, sei sie kaum zurückzuholen. Das habe auch zur Folge, dass über die Summe diskutiert wird, über den ganzen künstlerischen Teil aber kaum. Sara Burkhardt hob insbesondere die engere Zusammenarbeit zwischen Kunsthochschule und Oper hervor. „Es gibt eine sehr enge Vernetzung.“ Studierende würden ihr teilweise im Seminar von Abenden in der Oper erzählen.
Doch auf dem Podium kann man viel erzählen. Wichtig ist, was die Zuschauer meinen. So meldete sich eine Frau, die seit 7 Jahren Kulturbotschafterin ist und bemerkt haben will, dass sie im vergangenen Vierteljahr weniger Karten für die Oper verkauft hat, „obwohl ich sehr Werbe, zum Beispiel im Chor und Schwimmverein.“ Als Ursache will sie die schlechte Presse ausgemacht haben. Erst sei die Oper hochgelobt worden und dann ständig in der Luft zerrissen worden. Sie selbst habe fast alle Inszenierungen gesehen, „man muss einem jungen Intendanten auch Platz für Experimente lassen“, meinte sie. Wenig begeistert war sie aber von „Herzog Blaubarts Burg & Bremer Freiheit“, einer Mischung aus Oper und Schauspiel. „Im Musiktheater muss man nicht unbedingt Schauspiel zeigen“, erklärte sie. Beschämend finde sie, dass Musikstudenten von ihrem Dozenten nicht aufgefordert werden, in die Oper zu gehen. Gut finde sie dagegen Lutz` Versuche, mehr junge Leute in die Oper zu locken sowie Einführungs- und Nachgespräche anzubieten. Schmerzlich vermisst sie, dass es in diesem Jahr keine Aufführungen im Hof der Moritzburg gibt. Und sie Sprach ein Thema an, zu dem es viel Kritik gab: zur Gestaltung des Operncafés. „Mein Klientel fühlt sich das gar nicht mehr wohl.“ Das Publikum applaudierte. Intendant Lutz meinte, in diesem Jahr habe man sich wegen der aufwändigen Raumbühnen dagegen entschieden. „Das ist aber keine Entscheidung für die Zukunft.“ Und den Kommentar zum Operncafé habe er als „abschließendes vernichtendes Urteil hingenommen.“ Eine Studentin wünschte sich mehr zeitgenössische Musik mit HipHop oder R`n`B. Man habe dies als Wunsch wahrgenommen, so Veit Güssow. Doch es gehe in der Oper darum, ein breites Spektrum abzudecken. Soziologe Richard Schmid kritisierte ebenfalls das Operncafe und insbesondere seine Teilnahme an einer Veranstaltung dort, bei der er als Zuschauer einen Schutzanzug anziehen sollte. „Ich kam mir vor wie der Kasper“, sagte er. Er habe Eintritt bezahlt und wollte zuschauen. „Die Kritik ist bei uns angekommen“, meinte Florian Lutz. Jedoch gebe es auch hierzu geteilte Meinungen. So nutze der Theater-Laienclub die Räumlichkeiten, das Impro-Theater Kaltstart, aber auch die Kunsthochschule Burg Giebichenstein.
Von „Licht und Schatten“ sprach ein weiterer Besucher. Als überfrachtet und verfremdet bezeichnete er die Inszenierung des fliegenden Holländers. Die Musik von Wagner habe wie ein Fremdkörper dagestanden. Und durch das „Räuberzivil“ der Darsteller sei er schwierig gewesen herauszufinden, wer welche Rolle spielt. Als „schlechtestes Stück, dass ich je gesehen habe“, bezeichnete er aber Mahagoni. Es sei handwerklich schlecht gewesen, „die Sänger haben es zersungen“, meinte er. „Ich war verärgert. Ich möchte mein Geld für dieses Stück zurück“, sagte er unter Applaus des Publikums. Dagegen sei das Jugendmusical gelungen, ebenso wie Sacrifice. Michael von zur Mühlen meinte, „bei jedem künstlerischen Versuch ist die Möglichkeit, dass es nicht gefällt oder nicht verstanden wird grundsätzlich möglich.“ Zum Thema Sänger bei Mahagoni sagte er, es sei von Verlagsseite nicht erlaubt Schauspieler einzusetzen, sondern nur Sänger. Im Gegensatz zum Herren fand Sara Burkhardt Mahagoni gelungen. Es sei auch eine Funktion von Kunst und Oper, dass sie die Menschen dazu zwingt, sich zum Stück zu verhalten und eine Meinung zu bilden. Eine schwierige Textverständlichkeit, wie vom Besucher angemerkt, hatte aber auch Florian Lutz ausgemacht. Doch wie schon zur Mühlen erläuterte er, dass durch eine Regelung des amerikanischen Urheberrechts der Weill-Erben eben nur Sänger erlaubt sind und man dem Verlag sogar die Biografien der Sänger zusenden müsse. Zum Thema Mahagoni und Verständnisprobleme äußerte sich aber auch eine weitere Zuschauerin. Sie regte Untertitel an. Diesbezüglich habe es zu einigen Stücken Debatten gegeben, letztendlich habe man sich aber dagegen entschieden. Das läuft in Weimar ganz anders, meinte Hasko Weber. Dort habe man gute Erfahrungen gemacht.
Einen „Generationskonflikt“ will eine weitere Besucherin ausgemacht haben. Meist seien nur ältere Besucher anwesend, doch Lutz habe das Publikum verjüngt. Er habe mit vielen Produktionen die Bürger ins Opernhaus geholt. Dass überhaupt diskutiert wird, fand ein weiterer Gast gut. Das habe er in den vergangenen Jahren nicht erlebt. Wie schon ein anderer Gast kritisierte er aber, dass sich die Oper im Schauspiel probiert hat. „Man geht in eine Oper um Oper zu erleben, und nicht Schauspiel zu sehen. Trotz aller Bereitschaft Neues zu akzeptieren.“ Die Inszenierung des fliegenden Holländers habe er sehr plausibel gefunden. „Ein Stück, über das man nicht diskutiert, ist langweilig.“ Ein Lob sprach eine Redakteurin von MDR Kultur aus. Im Vergleich zu vielen Opernhäusern gebe es in Halle spannende Momente, „weil sie es geschafft haben ein Stück weit tagesaktuelle Themen auf die Opernbühne zu bringen“, sagte sie.
Auch eine Vertreterin der Gesellschaft der Freunde vom Opernballett meldete sich zu Wort. Wie schon von mehreren Besucher bemängelt, kritisierte auch die den Café-Umbau. Für die nächste Spielzeit wünschte sie sich, dass man nach einem Stück dort wieder in gemütlicher Atmosphäre Wein trinken kann. Ein weiterer Besucher äußerte sich wieder zum fliegenden Holländer, zweifelsohne also ein Stück, dass die Opernbesucher bewegt. Er selbst sei begeistert gewesen. „Es hat aber auch Zuschauer gegeben, die sich vergewaltigt gefühlt haben.“ Das liege an der Einbeziehung der Besucher in das Stück. Sie dienten als „Gefangene“. „Ich verstehe ja das Konzept den Zuschauer einzubeziehen. Aber ich hatte gelegentlich den Eindruck, es ist zuviel.“ Das sieht die Opernleitung anders. „Ich finde es schön, wenn man involviert wird“, sagte Florian Lutz. Außerdem werde kein Besucher gezwungen, mitzumachen. „Man kommt da wieder raus, es ist freiwillig.“ Zudem gebe es auch eine kulinarische Verpflegung. Er habe das Gefühl gehabt, beim Holländer habe es Unmut und Zuspruch gleichermaßen gegeben.
„Etwas erschrocken“ seien die traditionellen Opernbesucher über einige Inszenierungen gewesen, sagte ein weiterer Besucher. Er finde es zwar gut, dass mehr junge Leute angelockt werden, doch eben hauptsächlich durch vergünstigte Tickets. Er appellierte daran, auch an die loyalen alten Zuschauer zuzugehen, „weil die bringen die Knete in die Kasse.“ Florian Lutz sieht es nicht so, dass die reifere Generation vergessen wird. Es gebe alte Operetten ebenso wie junge Uraufführungen. Es stimme zwar, dass die meisten Studenten verbilligt durch die Restkarten in die Oper kommen, was nicht so viel Geld bringt. „Wir wollen sie aber trotzdem haben.“ Ausgerechnet eine Studentin zweifelte die Meinung an, die Oper ziehe mehr junge Leute an. Sie selbst sei seit Januar weniger in der Oper, „und das hat auch mit Mahagoni zu tun. Das Stück hat für mich keine Lust auf Oper gemacht.“ Doch auch in der mangelhaften PR sieht sie ein Problem. Die Plakate und Texte seien nicht ansprechend. Die machen keine Lust darauf, dass Stück zu sehen.“ Ob wegen der Plakate überhaupt Besucher kommen, zweifelte Florian Lutz an. „Das Plakat wirbt nicht für das Stück, sondern schafft eher ein Image.“ Die meisten lesen zuvor noch Rezensionen und sprechen mit Freunden. Etwas Lust machte Lutz noch auf ein neuen Beethoven-Stück nach historischem Vorbild, bei dem auch ein Kerker eine Rolle spielt.
Und damit war mal wieder der fliegende Holländer Thema. „Ich bin bewusst hin“, sagte ein Besucher, der durch die Werkeinführung aufmerksam wurde. Doch die Einbeziehung von Besuchern als Gefangene fand er nicht gut, „man war als Gefangener die ganze Zeit daran gehindert, die Musik zu hören“, sagte er und vermisste den Respekt vor der Musik.
Die zuvor angesprochenen günstigen Preise begrüßte dagegen ein Besucher aus Merseburg. Denn dadurch habe er zur Oper als Student gefunden. Heute schaue er sich teilweise 50 Opern im Jahr in aller Welt an. Für Premieren wünschte er sich aber den Glamour wie beispielsweise in Italien. Auch ein Plädoyer für die Freiheit der Kunst hielt er, man sollte sie so wenig wie möglich einschränken. Die Einblendung von Texten hält er für eine gute Idee. Und die Oper sei anspruchsvolle Kunst, „da kann man nicht unvorbereitet wie ins Kino reingehen.“ Und dann war da noch eine Frau, die sich über den Umgang mit einigen Sängern bei Stücken beklagte, beispielhaft nannte sie Masken, „mit denen man nicht artikulieren kann.“ Deshalb appellierte sie: „machen Sie unsere großartigen Sänger und Musiker nicht kaputt.“
Die Diskussion in voller Länge:
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