Die Himmelsscheibe beweist es: Das Schaltjahr gibt es seit 3600 Jahren
In diesem Jahr ist ein Schaltjahr, der 29. Februar wird dafür alle vier Jahre eingefügt. Damit sollen das Mond- und Sonnenjahr im Einklang gehalten werden. Doch „geschaltet“ wurde schon vor tausenden Jahren. Das beweist die „Himmelsscheibe von Nebra“, die im Landesmuseum in Halle ausgestellt wird.
Das 1999 von Raubgräbern gefundene und in einer spektakulären Polizeiaktion 2002 sichergestellte Objekt aus Bronze mit Goldauflagen zeigt die weltweit älteste Darstellung astronomischer Phänomene in konkreter Form. Die Himmelsscheibe wurde mehrfach umgestaltet, die erste Phase zeigte eine Regel zur Verschaltung von Mond- und Sonnenjahr
Die ältesten Kalendersysteme basieren auf der Abfolge der Mondzyklen und waren sogenannte Lunarkalender. Allerdings ist das Mondjahr etwas kürzer als das Sonnenjahr und um zu verhindern, dass beispielsweise Feiertage deshalb durch das Jahr wandern, waren regelmäßige Anpassungen durch das Einfügen von Schalttagen oder Schaltmonaten notwendig. Diese einfache Erkenntnis stellt die Menschen bis heute in der Praxis jedoch vor große Probleme, da beide Zyklen nicht ganzzahlig umgerechnet werden können.
Der Mond ist eine verlässliche Himmelsuhr. Jeder kann durch einfache Beobachtung seine Phasen mit bloßem Auge erkennen. Bei einer Verabredung zu Vollmond ist pünktliches Erscheinen garantiert. Alle 29,5 Tage ist der Neumond zu beobachten. Der Monat beginnt, wenn eine junge, schmale Mondsichel (Neulicht) am Abendhimmel erstmals erscheint. Nach 12 Neulichten, also nach 354 Tagen, fängt ein neues (Mond-)Jahr an.
Die Beobachtung der Sonne ist hingegen schwieriger und langwieriger. Erst nach wochenlanger Himmelsschau lässt sich erkennen, dass die Tage beispielsweise kürzer oder länger werden. Wir wissen heute, dass ein Sonnenjahr – also der Umlauf der Erde um die Sonne – ungefähr 365 Tage, 5 Stunden, 48 Minuten und 45 Sekunden dauert. Der darauf basierende Sonnenkalender misst abgerundet 365 Tage und ist damit um 11 Tage länger als der Mondkalender.
Wollte man die kalendarischen Daten im Verlauf der Jahreszeiten beständig halten, mussten daher zusätzliche Monate oder Tage eingefügt werden. Wann das zu geschehen hatte, wurde erstmals vor über 3.600 Jahren auf der Himmelsscheibe von Nebra kodiert dargestellt.
Auf dem Weltdokumentenerbe ist die früheste Darstellung einer Schaltregel verschlüsselt abgebildet. Mit dieser Regel lassen sich Sonnen- und Mondkalender annäherungsweise wieder in Einklang bringen. In dem von uns heute benutzten Kalender wird kein ganzer Schaltmonat mehr eingefügt, sondern lediglich alle vier Jahre ein zusätzlicher Tag im Februar – so wie am kommenden Samstag, den 29. Februar 2020. Das Bemühen, Mond- und Sonnenkalender in Einklang zu bringen verbindet uns bis heute mit den Menschen der Bronzezeit.
Der auf der Himmelsscheibe abgebildete Sternenhimmel zeigte – in der ersten Phase – 32 Sterne sowie Vollmond beziehungsweise Sonne und Sichelmond (Abb. 1a und 1b). Bis auf eine Ansammlung aus sieben Sternen folgt die Anordnung der restlichen 25 Sterne keinem erkennbaren Muster. Sie bilden kein bekanntes Sternenbild ab, vielmehr sind sie mehr oder weniger gleichmäßig um die übrigen Himmelskörper herum angeordnet. Dadurch wird der Fokus umso mehr auf die Gruppe der sieben, eng beieinander stehenden Sterne gelenkt.
Diese Sternengruppe symbolisiert die Plejaden, die als sogenanntes »Siebengestirn« weltweit durch alle Zeiten sowohl in Mythen, als auch als Kalendersterne Erwähnung fanden und immer wieder in ähnlicher Weise dargestellt wurden.
Auf der Himmelsscheibe von Nebra lieferten die Plejaden und ihre Kombination mit dem Sichelmond den entscheidenden Hinweis zur Entschlüsselung einer Schaltregel.
Astronomen folgerten anhand der Dicke des sichelförmigen Mondes, dass es sich nicht um ein Neulicht, sondern um einen bereits mehrere Tage alten, zunehmenden Mond handelt. Sein Erscheinen bei den Plejaden gab den Eingeweihten das Signal für das Einfügen eines Schaltmonats (Abb. 2a und 2b). Ein schriftlicher Beleg dieser Regel ist aus einem babylonischen Keilschrifttext des 7./6. Jahrhunderts vor Christus (MUL.APIN) – der ungefähr 1000 Jahre später entstand – bekannt: Steht im Frühlingsmonat eine sehr schmale Mondsichel bei den Plejaden, dann ist alles im Takt, steht eine dickere, ungefähr 4,5 Tage alte Mondsichel bei den Plejaden, dann muss geschaltet werden (Abb. 3). Dies ist alle drei Jahre der Fall. Die Aussage aus dem Text findet ihre Entsprechung in der Darstellung von Sichelmond und Siebengestirn auf der Himmelsscheibe von Nebra. Damit ist die dort kodierte Schaltregel deutlich älter als der schriftliche Beleg aus dem Vorderen Orient.
Die Schaltregel spiegelt sich aber nicht nur in der Darstellung und Gestaltung des Sichelmondes und der Plejaden, sondern auch in der Anzahl der Sterne. Auf der Himmelsscheibe sind neben den 7 Sternen der Plejaden 25 weitere, also insgesamt 32 Sterne zu sehen. Auch hierin liegt der Schlüssel zur Schaltregel. Denn vergehen seit dem Neulicht des Vormonats 32 Tage bis der Mond im Frühlingsmonat bei den Plejaden steht, dann muss geschaltet werden. Die Schaltregel ist also sogar doppelt auf der Himmelsscheibe verschlüsselt.
Das Wissen um die Divergenz zwischen Mond- und Sonnenjahr ist uralt, jedoch nicht alle Kulturen sahen die Notwendigkeit, die Abweichungen auszugleichen, so zum Beispiel im islamischen Kalender, der ein reiner Mondkalender ist. Hier spielt die Schaltregel keine Rolle. Es kommt hauptsächlich auf die Bestimmung religiöser Feste an. »Man schaltete nicht, man feierte einfach«, so der Bochumer Astronom Wolfhard Schlosser.
Andere Hochkulturen hingegen bemühten sich mit unterschiedlicher Genauigkeit um Schaltregeln, was etwa im antiken Griechenland zu verschiedensten regionalen Kalendern führte. Relativ große Genauigkeit erreichte der von Gaius Julius Caesar im Jahr 45 vor Christus reformierte und nach ihm benannte Julianische Kalender. Caesar führte mit Hilfe ägyptischer Astronomen einen Schalttag Ende Februar ein. (Das römische Jahr begann mit dem 1. März. Dies ist auch der Grund, weswegen wir bis heute zu genau diesem Termin einen Schalttag einfügen.)
Doch auch der Julianische Kalender wies Mängel auf, die sich bis ins 16. Jahrhundert auf ganze 11 Tage summierten. Erst Papst Gregor XIII. beseitigte das Ungleichgewicht und so folgte 1582 auf Donnerstag, den 4. Oktober, Freitag, der 15. Oktober. Den nach ihm benannten Gregorianischen Kalender samt neuer, angepasster Schaltregel verwenden wir im »normalen« Leben heute noch, wenngleich durch moderne Atomuhren immer wieder nachjustiert wird.
Für den Schöpfer der Himmelsscheibe von Nebra war die Schaltregel von so großer Bedeutung, dass sie auf der bronzenen Himmelsscheibe gleich mehrfach kodiert festgehalten wurde. Das komplexe Wissen um diese Regel hatte er vermutlich von einer Reise aus dem Vorderen Orient mitgebracht. Die weitreichenden Kenntnisse räumten ihm schließlich Macht und Kontrolle über die Zeit und damit auch über die Gesellschaft ein. Es waren immer die Mächtigen, geistige wie weltliche Herrscher, die im Lauf der Geschichte Kalender etabliert haben. Herrschaft über die Zeit bedeutete schließlich auch, Macht über die Menschen und ihren Alltag zu besitzen.
Dieses und andere Ergebnisse der Forschungen rund um die Himmelsscheibe von Nebra sind ab 20. November 2020 in der Landesausstellung »Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra – Neue Horizonte« im Landesmuseum für Vorgeschichte zu sehen.
Foto: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták.
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