Großrazzia bei Tönnies in Weißenfels – Zeitarbeitsfirmen sollen illegale Mitarbeiter eingeschleust haben – Linke: Leiharbeit in der Fleischwirtschaft gehört abgeschafft
Im Auftrag der Staatsanwaltschaft Naumburg durchsuchte die Bundespolizei mit einem Großaufgebot von über 800 Polizeibeamten bislang mehr als 60 Wohn- und Geschäftsräume zeitgleich in fünf Bundesländern wegen Verdachts des Einschleusens von Ausländern. Im Fokus der Ermittler steht ein Konstrukt aus verschiedenen Zeitarbeitsfirmen, über welche die Hauptbeschuldigten in den letzten 6 Monaten mindestens 82 Personen nach Deutschland eingeschleust haben sollen.
In den frühen Morgenstunden des heutigen Tages wurden die Firmensitze der Zeitarbeitsfirmen, die Wohnräume der Firmeninhaber, aber auch bereitgestellte Arbeiterunterkünfte durch die Bundespolizei zeitgleich durchsucht. Im Detail handelte es sich dabei um bislang 49 Arbeitsunterkünfte in Weißenfels sowie drei in Bernburg. Weiterhin wurden je drei Wohn- und Geschäftsobjekte in Garbsen und Papenburg sowie je ein Objekt in Twist, Bonn, Bassum, Chemnitz und Berlin durchsucht.
Die Ermittlungen richten sich aktuell gegen zehn Hauptbeschuldigte im Alter von 41 bis 56 Jahren. Es handelt sich dabei um sechs Personen deutscher (5 männlich; 1 weiblich), drei Personen polnischer (3 männlich) sowie eine Person ukrainischer (1 weiblich) Staatsangehörigkeit. Bei den deutschen Staatsangehörigen haben vier Beschuldigte eine russische Herkunft und einer eine kosovarische.
Im Zuge der heutigen Durchsuchungsmaßnahmen konnten bislang über 20 Personen angetroffen werden, bei denen der Verdacht besteht, dass sie unter Nutzung ge- und verfälschter Dokumente oder aber als „Scheinstudenten“ illegal beschäftigt werden. Nach Abschluss der polizeilichen Maßnahmen sollen diese Beschuldigten/Arbeiter der zuständigen Ausländerbehörde mit dem Ziel übergeben werden, den unerlaubten Aufenthalt zu beenden.
Die Bundespolizei hat für die erforderlichen erkennungsdienstlichen Maßnahmen und Vernehmungen temporär eine zentrale Bearbeitungsstelle in Halle/Saale eingerichtet.
Bei den Durchsuchungsmaßnahmen stellten die Einsatzkräfte umfangreiche Beweismittel sicher, darunter Datenträger, Geschäftsunterlagen, Dokumente und weitere. Zusätzlich konnte ohne Bezug zum Verfahren ein peruanischer Staatsangehöriger festgestellt werden, gegen den ein Haftbefehl zur Sicherung der Abschiebung/Ausweisung vorlag.
Die Ermittler errechneten und begründeten einen dinglichen Arrest von 1,5 Millionen Euro. Dabei handelt es sich um den Betrag, der durch das strafbare Geschäftsmodell erwirtschaftet wurde. Der Beschluss des zuständigen Amtsgerichts zur Beschlagnahme dieses Betrages wurde umgesetzt.
Die Polizeiführerin der Bundespolizeiinspektion Kriminalitätsbekämpfung Halle, Polizeioberrätin Romy Töwe, sagte:
„Die Feststellung ge- und verfälschter Dokumente stellt einen Schwerpunkt in der täglichen Arbeit der Bundespolizei dar. Ein Netzwerk von Spezialisten innerhalb der Bundespolizei bildet die Expertise zur Erkennung und Bearbeitung solcher Delikte. Die Nutzung gefälschter Dokumente für irreguläre Migration und illegale Beschäftigung floriert auch in Mitteldeutschland. Damit geht zum einen ein hoher Schaden für die Sozialkassen sowie für Unternehmen, welche die gesetzlichen Bestimmungen einhalten, einher. Zum anderen wird die Arbeitskraft der Betroffenen schonungslos ausgenutzt. Die Bundespolizei und die sachsen-anhaltinischen Justizbehörden gehen hiergegen entschlossen vor. Das Phänomen wird uns die nächsten Jahre weiter befassen.“
Hintergründe zum Verfahren
Der Bundespolizeiinspektion Magdeburg lagen seit Anfang 2020 erste Erkenntnisse vor, dass Personen mit gefälschten Dokumenten illegal nach Deutschland eingeschleust werden sollen. Im Anschluss gehen diese über Personalvermittlungsfirmen, unter anderem im Raum Weißenfels, unerlaubt einer Erwerbstätigkeit im Bereich der fleischverarbeitenden Industrie nach. Nach ersten Überprüfungen bestätigte sich der Anfangsverdacht, der die Bildung einer Sonderkommission zwischen den Ermittlern aus Magdeburg und der Bundespolizeiinspektion Kriminalitätsbekämpfung Halle zur Folge hatte. Im Verlauf der gemeinsamen Ermittlungen konnten die Verantwortlichen identifiziert und die Hintergründe aufgehellt werden.
Mindestens 82 Drittstaatsangehörige sollen nach Deutschland eingeschleust worden sein. Die Hauptbeschuldigten stehen im Verdacht, unter anderem gefälschte europäische Ausweisdokumente beschafft bzw. genutzt zu haben, um die überwiegend osteuropäischen Staatsangehörigen bei den zuständigen Ämtern als EU-Bürger anzumelden und ihnen die illegale Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Außerdem sollen sogenannte Scheinstudenten in Arbeit gebracht worden sein. Hierzu legen Drittstaatsangehörige gefälschte Immatrikulationsbescheinigungen vor, mit dem Ziel als Student in Ferienarbeit tätig werden zu können. Des Weiteren stellten die Beschuldigten Unterkünfte zur Verfügung, organisierten Fahrdienste und unterstützen die Arbeiter bei Kontoeröffnungen und Behördengängen.
Nach den heute stattgefundenen Razzien in der Fleischindustrie in Deutschland aber auch schwerpunktmäßig in Sachsen-Anhalt erklären der wirtschaftspolitische Sprecher, Andreas Höppner und die Sprecherin für Asyl- und Migrationspolitik, Henriette Quade: „Bei den heutigen Razzien wurden vor allem Durchsuchungen und Ermittlungen zum Tatvorwurf der banden- und gewerbsmäßigen Einschleusung und Urkundenfälschung durchgeführt. Laut Medienberichten sollen Ausweispapiere und damit Identitäten gefälscht worden sein, um Arbeitskräfte aus Osteuropa (außerhalb der EU) illegal nach Deutschland zu holen und zu beschäftigen. Die Ermittlungen zeigen erneut, dass immer wieder versucht wird auf dem Rücken und aus der Not migrantischer Arbeitskräfte Profit zu schlagen. Das System der Subunternehmen, der Leiharbeit und Werksverträge und damit des Preisdumpings in der Fleischindustrie gehört abgeschafft. Es zeigt auch wie dringend notwendig eine gesetzliche Regelung zum Verbot der Leiharbeit und der Werksverträge ist. Gewerkschaften wie NGG oder auch der DGB fordern dies immer wieder ein.[1] Wir appellieren an die Bundesebene, konsequente und eindeutige Regelungen zu erlassen und erneuten gesetzlichen Schlupflöchern vorzubeugen. Gerade migrantische Arbeitskräfte sind aufgrund von unsicheren Aufenthaltsperspektiven einem höheren Risiko ausgesetzt, in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse zu geraten. Hier braucht es einen effektiveren Schutz durch Beratung, Kontrollen und die Umsetzung geltenden Schutzrechts der Arbeitskräfte. Darüber hinaus bedarf es aus Sicht der Fraktion DIE LINKE häufigeren, unangekündigten Arbeitsschutz- und Zollkontrollen in der Fleischindustrie. Prüfungen des Arbeitsschutzes der Bezirksregierung Detmold haben laut Medien „gravierende Mängel“ bei der Umsetzung der SARS-CoV2-Arbeitsschutzstandards festgestellt, wie etwa das fehlende Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes der Beschäftigten oder des notwendigen Abstands. Die Fraktion DIE LINKE setzt sich für bessere Arbeits- und Wohnbedingungen in der Fleischindustrie ein. Ein besserer Schutz der Arbeitskräfte vor allem auch vor Corona-Infektionen und Maßnahmen zur Verbesserung des Tierwohls müssen wirksam durchgesetzt werden.“

















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