Innovationswerkstatt Klassenzimmer: „Make Your School“ am Thomas-Münzer-Gymnasium
Am Giebichenstein-Gymnasium Thomas Müntzer (TMG) tauschten die Schülerinnen und Schüler der achten Klassen ihre Schulbücher gegen Lötkolben und Laptops. Im Rahmen des Projekts „Make Your School“, durchgeführt vom Verein science2public, verwandelte sich die Schule in einen Hackathon für junge Tüftler. Ziel war es, den Schulalltag durch technische Lösungen zu verbessern.
Das Konzept und die Technik: Einblick von Projektleiter Nickels Witte
Nickels Witte, der 29-jährige Projektleiter von „Make Your School“ in Halle, beschreibt den Kern des Projekts als einen kreativen Freiraum, der sich stark vom regulären Schulalltag unterscheidet. Das Team geht für drei Tage in die Schulen und startet mit einer simplen, aber entscheidenden Frage an die Schüler: „Worauf habt ihr Lust und was stört euch in eurer Schule oder was wollt ihr noch verbessern?“.
Der Ablauf: Von der Idee zum Prototyp
Nach einer angeleiteten Brainstorming-Phase, in der konkrete Lösungsideen entwickelt werden, erhalten die Schülerinnen und Schüler fast völlige Freiheit. „Dann geben wir ihnen zweieinhalb Tage fast die ganze Freiheit und sagen, dann legt mal los“, erklärt Witte. Die Mentoren greifen nur ein, um Hemmschwellen abzubauen, wenn Frust aufkommt. Diese Freiheit führt oft zu einer hohen intrinsischen Motivation, sodass Schülerinnen und Schüler teilweise sogar Pausen durcharbeiten.
Material und technische Ausstattung
Den Schülerinnen und Schülern stehen Laptops und über 300 verschiedene Bauteile zur Verfügung. Das Material lässt sich in zwei Kategorien teilen: Zum einen die Eingaben mit über 100 Sensoren wie Ultraschall, Taster, Kameras, CO2-Messgeräte oder Mikrofone und zum anderen die Ausgaben wie Motoren, Bildschirme, Ventilatoren und alles, was Signale anzeigt.
Zusätzlich wird Werkzeug wie Lötkolben, Heißklebepistolen und Bastelmaterial (Holz, Pappe) bereitgestellt. Herzstück der Projekte ist ein Arduino-Mikrocontroller, der mit der Programmiersprache C programmiert wird. Obwohl C als anspruchsvoll gilt, beißen sich viele Schülerinnen und Schüler tief in den Code rein, unterstützt durch Mentoren und gut dokumentierte Beispielcodes.
Besonderheit in diesem Jahr: Der ganze Jahrgang tüftelt
In diesem Jahr gab es eine Besonderheit am TMG: Durch eine extra Förderung der Heidehof Stiftung durch einen höheren dreistelligen Betrag konnte die Teilnehmerzahl von den üblichen 50 auf mehr als 100 Schülerinnen und Schüler verdoppelt werden, sodass der gesamte achte Jahrgang teilnehmen konnte. Dies resultierte in 22 Prototypen. Witte hob hier besonders zwei Projekte hervor. Zum einen den komplexen Wischroboter mit Ultraschallsensor, der für die kurze Zeit technisch sehr anspruchsvoll war. Zum anderen ein Schultor, das sich per RFID-Chipkarte automatisch öffnet – eine Reaktion darauf, dass Schüler ab 8 Uhr oft vor verschlossenen Türen stehen.
Witte betont den Wert der Erfahrung: „Wenn man sich traut, den Schülern mal die Freiheit zu geben […] da kommt viel mehr raus, als man erwarten würde“.
Die pädagogische Perspektive: Lehrerin Lydia Karpinski
Lydia Karpinski, Lehrerin für Biologie und Geschichte, zeigte sich begeistert vom Verlauf der Projekttage. Ihr Fazit fällt eindeutig aus: „Es ist wieder sehr gut gelaufen dieses Jahr. […] Tolle Projekte, liebe Kinder, eine wahnsinns Präsentation“.
Veränderte Schülerwahrnehmung
Für Karpinski liegt ein weiterer Gewinn darin, die Schülerinnen und Schüler außerhalb des regulären Unterrichts zu erleben. Sie beobachtet eine deutliche Veränderung im Vergleich zum Unterricht. Schülerinnen und Schüler, die sonst eher ruhig sind, wachsen in diesem selbstständigen Format über sich hinaus. Besonders wertvoll sei es, „verborgene Talente“ zu entdecken, etwa wenn Schülerinnen und Schüler ihre privaten Informatikkenntnisse plötzlich in der Schule einbringen können.
Lerneffekte und Nachhaltigkeit
Der Prozess von der Problemerkennung über das Scheitern bis hin zur fertigen Lösung schult die Frustrationstoleranz und den Ehrgeiz in einem Maße, wie es in 90 Minuten Unterricht kaum möglich ist. Karpinski betont auch die Nachhaltigkeit des Projekts: Schülerinnen und Schüler erinnern sich an die eigenen Projekte der Vorjahre, was eine Tradition an der Schule schaffen kann.
Favoriten und Zukunftspläne
Auch die Lehrerin hat ihre Favoriten unter den Exponaten: Ebenfalls die Türöffner-Variante mit RFID-System und einen Aufsatz für den Mülleimer, der die Müllentsorgung spielerisch belohnt (Gamification). Ziel der Schule ist es nun, ausgewählte Projekte weiter zu fördern und möglicherweise in Kooperationen umzusetzen, auch wenn dies logistisch noch geprüft werden muss. Trotz der Anstrengung von sechs Tagen Dauerbetreuung für zwei Durchgänge empfand sie es als „total lohnenswert“, dass der gesamte Jahrgang diese Erfahrung machen durfte.
Aus der Praxis: Die Schülerinnen Ella und Avin (Klasse 8.1)
Ein konkretes Beispiel für den praktischen Nutzen des Hackathons lieferten Ella und Avin aus der Klasse 8.1. Sie entwickelten einen Hygienespenders für Damenhygieneartikel.
Das Problem: Alltagshürden
Die Schülerinnen schilderten eindrücklich das Problem: Wenn Schülerinnen von ihrer Periode überrascht werden, finden sie auf den Toiletten keine Hygieneartikel vor. Der Gang zum Sekretariat, wo zumindest meistens Hygieneartikel vorgehalten werden, ist oft mit Scham behaftet („peinliche Version“), da dort häufig Männer anwesend sind oder die Vorratskörbe leer sind. Zudem ist der Weg zurück in die Klasse mit den Artikeln für viele unangenehm. „Es ist halt nervend und deswegen mussten wir das Problem irgendwie lösen“, fasst Ella zusammen.
Die Lösung und Umsetzungschancen
Ihre Lösung ist ein Spender, der direkt in der Toilettenkabine installiert wird, sodass man sich diskret bedienen kann. Die Relevanz des Projekts wurde auch von zahlreichen Besucherinnen und Besuchern erkannt und es wurde mehrfach vorgeschlagen, dieses Projekt in die Tat umzusetzen. Ella und Avin zeigen sich dabei sehr sozial: Auch wenn sie selbst die Schule vielleicht schon verlassen haben, wenn das System einmal etabliert sein sollte, würden sie sich für die nachfolgenden Schülerinnen freuen.
Auch die Schulleitung ist begeistert: Wertvoller Beitrag zu fächerübergreifender, digital unterstützter Bildung
„Die Hackdays sind für unsere Schülerinnen und Schüler ein ganz besonderes Format, welches fächerübergreifend, lebensbezogen die Unterrichtsangebote der Schule ergänzt“, so Schulleiter Thomas Gaube. „Sie erleben hautnah, wie Kreativität und digitaler Unterstützung für sie bedeutsame Alltagsprobleme in ihrer Schule im Team analysiert und modellhaft gelöst werden können. Seit nunmehr drei Jahren entwickeln die Jugendlichen kreative Lösungen für reale, schulbezogene Probleme und erfahren dabei, dass ihr Engagement und ihre Ideen tatsächlich Wirkung entfalten können. Uns beeindrucken die Ergebnisse jedes Jahr aufs Neue – die Prototypen zeigen nicht nur technisches Können, sondern auch Teamgeist, Durchhaltevermögen und Freude am Gestalten. Wir wollen einige dieser Lösungsideen im kommenden Schuljahr in der Projektwoche in der Realität umsetzen. Für die Schulleitung ist dieses Projekt ein wertvoller Beitrag zu fächerübergreifender, digital unterstützter Bildung mit einem besonderen Fokus auf Nachhaltigkeit, der jungen Menschen Mut machen soll, Verantwortung zu übernehmen und Zukunft aktiv mitzugestalten.“



























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