“Von der Pferdekutsche zum Triebwagen”: 200 Jahre Gottfried Lindner AG / Waggonbau Ammendorf – eine neue Stiftung soll den Standort weiterführen

Vor 200 Jahren begann die Geschichte des Waggonbau Ammendorfs. Der Sattlermeister Gottfried Lindner betrieb in der Großen Steinstraße in Halle (Saale) eine Sattlerei, später wurden dann Pferdestraßenbahnen gebaut, es folgten Wagenkästen für die neu eingeführte elektrische Straßenbahn in Halle. Und als WEB Waggonbau Ammendorf entwickelte sich das Unternehmen nach der erfolgten Enteignung durch die sowjetische Militäradministration zum größten Waggonhersteller der Welt mit einer Produktion von 1.000 Waggons im Jahr. Durch den Wegfall der Russland-Exporte geriet die Firma nach der Wende in Schwierigkeiten. Zunächst ging es unter Bombardier weiter. Und Ende 2005 (Die Bindungsfrist der Treuhand zum Erhalt der Arbeitsplätze war abgelaufen) folgte die Schließung. Doch eine handvoll Leute machte weiter. Und so ist Ammendorf ein Standort für Schienenfahrzeuge geblieben. Deshalb wurde am Donnerstag 200 Jahre “Gottfried Lindner AG” gefeiert.
Bürgermeister Egbert Geier zeigte sich froh, dass auf dem Gelände weiterhin etwas los ist. “Das ist ein historisch wichtiger Ort, der mit technischer und fachlicher Kompetenz glänzt.” Die Etablierung der Straßenbahn in der Saalestadt und auch die breite Akzeptanz in der Bevölkerung sei auf die Lindner AG zurückzuführen, sagte er. Die heutige Entwicklung stehe für beispielhaftes Unternehmertum.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Katrin Budde ging darauf ein, dass es in Ostdeutschland nur noch wenige industrielle Standorte gibt, die es schon vor der Wende gab. Die Entwicklung in Halle sei dabei Roland Schimek zu verdanken. Denn er hatte sich 2006 eingebracht – ursprünglich wollten es die Stadtwerke, doch als kommunales Unternehmen ging das nicht. Und so ging die Besitzgesellschaft für die Grundstücke an den Start, die die verschiedenen Gebäude an Firmen vermietet. Es habe damals viele skeptische Blicke und wenig Unterstützung gegeben, sagte Budde. Dabei hätte sie sich mehr Menschen wie Schimek gewünscht. “Denn dieser Standort hier ist eine wichtige wirtschaftliche Säule für Halle und Sachsen-Anhalt.”
Eine direkte Verbindung zum Standort hat der heutige IHK-Präsident Steffen Keitel. Der hat in jungen Jahren auch im Waggonbau gearbeitet. Kurz ging er dabei auf die damalige Zeit ein, es war DDR und Betriebe mussten auch Konsumgüter produzieren. So stellten die Ammendorfer Waggonbauer damals Surfbretter her. Der Standort heute – insbesondere der Hauptmieter MSG – sei ein Leuchtturm in der Region und auch wertschöpfend tätig. Davon wünscht sich Keitel mehr. “Wir brauchen eine Umverteilung hin zu wertschöpfender Tätigkeit, weg von der Verwaltung”, sagte Keitel, der dem Gesellschaft Roland Schimek noch eine Ehrenurkunder der IHK Halle-Dessau überreichte.
In einem kurzweiligen Vortrag gab Sven Frotscher einen kurzen Abriss über die Geschichte. Die damalige Gottfried Lindner AG sei eines der ersten Unternehmen mit einer eigenen Betriebskrankenkasse gewesen, in Zeiten der Hungersnot schaffte sich das Unternehmen Schrebergärten zur Versorgung der Mitarbeiter an. In damaligen Veröffentlichen taucht der Name Lindner in einer Reihe mit Bosch, Daimler und Merck auf. Die Enteignung durch den SMAD habe dazu geführt, dass der Name Linder in Vergessenheit geraten ist. “Ammendorfer Schweiß” stecke in vielen Gebäude in der Stadt. Grund waren die Bankhäuser als Gesellschafter. Gewinne wurden in diverse auch heute noch stadtbildprägende Gebäude gesteckt, wie das heutige Literaturhaus in der Bernburger Straße oder die Villa der Kunsthochschule am Neuwerk.
Und ganz am Ende gab Gesellschafter Roland Schimek noch bekannt, wie es weiter geht, “wenn ich nicht mehr bin.” Denn Schimek hat eine Stiftung gegründet. Die soll den Standort als Industriestandort weiterführen. Und auch bei der MSG ist die Unternehmensnachfolge schon geklärt, ein langjähriger Mitarbeiter wird demnächst mit in die Geschäftsführung aufsteigen.
Rund 24 Hektar groß ist das Areal der BWA, der Besitzgesellschaft Waggonbau Ammendorf. Mittlerweile sind 27 Firmen auf dem Gelände ansässig – Autozulieferer, Ingenieurbüros und Gleisbauer zum Beispiel. Mit drei Mietern ging es vor 17 Jahren los. Im vergangenen Jahr hat eines der Unternehmen eine Lagerhalle für Druckluftbehälter errichtet. Und die BWA selbst will noch ein weiteres Gebäude errichten auf der letzten großen Fläche, die es auf dem Gelände noch gibt, sagt BWA-Chef Sten Falkus.
Der größte Mieter ist die MSG Ammendorf mit rund 210 Mitarbeitern. Noch bis 2025 hat man hier Verträge zur Hauptuntersuchung von ICE-Zügen und Berliner S-Bahnen. Letztere wurden am Standort in den Jahren 1996 bis 2002 gebaut. Bei einer Hauptuntersuchung werden die Waggons komplett auseinander genommen, erklärt MSG-Chef Uwe Albrecht. Sitze, Fußböden, Drehgestell – alles wird erneuert, am Ende bekommt der ICE noch einen neuen Lack. 10 Wochen dauert die komplette Hauptuntersuchung eines ICE-Zuges. Pro Jahr werden 20 S-Bahn-Züge aufgearbeitet. Dazu kommen noch Reparaturen, beispielsweise für die S-Bahn Mitteldeutschland oder für die Hallesche Verkehrs AG (HAVAG). Natürlich spürt man auch bei der MSG einen Fachkräftemangel. Vor allem Elektriker werden benötigt, sagt Uwe Albrecht. Vorteil bei MSG sei, dass noch viele alte Ammendorfer tätig sind. Alle neuen Mitarbeiter brauchen zunächst spezielle Schulungen. Ein Problem heute sei die fehlende Identifikation mit Firmen. Dem versucht man, bei der MSG entgegenzutreten. Beispielsweise gibt es ein Mitarbeiterfest, bei dem die Angestellten auch ihre Familie mitbringen. “Das schweißt zusammen”, so Albrecht.
















Im Bericht nicht erwähnt: Die Rolle der Waggonbauer am 17. Juni 53.
Als stolzer ehemaliger Waggonbauer weiß man das natürlich…
Die Treuhand hatte ja die Aufgabe in Osten alles kaputt zu machen und so war es auch in Ammendorf, vergesst das nie