Damit sie nicht im Mähdrescher sterben: Sachsen-Anhalt sucht Rehkitzhelfer

Trotz Corona-Virus in diesen Tagen und dadurch abrupt gedrosseltem gesellschaftlichen Leben – die Natur macht weiter! Im Mai und Juni werden auch in diesem Jahr Rehe ihre Kitze setzen – meist eins, manchmal zwei, in seltenen Fällen auch drei. Und wie in jedem Jahr, ungefähr zur selben Zeit, werden Landwirtinnen und Landwirte die Wiesen in Sachsen-Anhalt mähen, um Futter für ihre Tiere zu gewinnen. Landwirte und Tierschützer suchen freiwillige Helfende, die unter fachkundiger Anleitung von Hilfsorganisationen und Jägern Rehkitze helfen. Insbesondere neugeborene Kitze sollen vor dem Tod oder schwere Schäden durch Mähmaschinen bewahrt werden. Über Hintergründe und Möglichkeiten zum Helfen informiert der Tierschutzbeauftragte des Landes Dr. Marco König:
Tausende Rehkitze Opfer von Mähmaschinen
Leider werden jedes Jahr tausende Kitze und andere Wildtiere von schnellarbeitenden Mähmaschinen bei der Mahd verletzt oder getötet. Fachkreise schätzen die Zahl jährlich geschädigter Rehkitze in Deutschland auf bis zu 100.000.
Natürliches Verhalten: Kitze schützen sich durch Liegenbleiben
Rehmütter legen ihre neugeborenen Kitze an geschützten Orten, bevorzugt in Wiesen, ab und suchen diese lediglich 3 bis 4 Mal am Tag direkt auf. Die übrige Zeit bleiben die Kitze allein versteckt und werden von ihren Müttern aus sicherer Entfernung beobachtet. Bei Gefahr flüchten die Kitze insbesondere in den ersten Lebenswochen nicht: ihre angeborene Schutzstrategie besteht im Liegenbleiben und dem sogenannten Drücken. Da sie keinen Eigengeruch verbreiten und nahezu unsichtbar sind, wirkt dieser Schutzmechanismus gut gegen Beutegreifer, aber natürlich nicht gegen Mähtechnik. Moderne Mähmaschinen sind so schnell und haben so große Arbeitsräume, dass den Maschinenführenden ein Erkennen der Kitze und rechtzeitiges Stoppen der Maschinen während des Mahd unmöglich ist.
Traditionelle Gegenmaßnahmen
Trotzdem ist es die Pflicht eines jeden Flächennutzers keine Tiere durch seine Tätigkeit zu gefährden. Landwirtinnen und Landwirte und Lohnunternehmen wissen das und sind bemüht, dieser Verpflichtung nachzukommen, zumal Teile von Tieren oder Tierkadaver im Mähgut gefährlich und ausgesprochen unerwünscht sind. Traditionell werden Gegenmaßnahmen – im günstigsten Fall im Zusammenwirken mit den informierten Jagdpächtern – durch Absuchen der Flächen mit Hunden und Helfern, Anbringen von Knistertüten oder Flatterbändern, Aufstellen elektronischer Wildscheuchen oder das Anmähen der Wiesen versucht. Finden diese Maßnahmen am Abend vor der beabsichtigten Mahd statt, werden Rehe beunruhigt und sind alarmiert, ihren Nachwuchs besser in Sicherheit zu bringen.
Effektiver: Kitzsuche mit Hilfe von Drohnen und Wärmebildkameras
Sehr viel effektiver und heute technisch möglich ist die Kitzsuche mit Hilfe von Drohnen und Wärmebildkameras. Eine Wärmebildkamera macht die „warmen“ Rehkitze sichtbar, der Drohnenführer erfasst die Liegeorte auf einem Bildschirm und kann beteiligte Rehkitzhelfer gezielt zu den Kitzen leiten. Werden die Kitze von Helfenden geborgen und während der Zeit der Mahd aus der Wiese entfernt, finden Rehmütter diese danach in der Regel problemlos wieder, da sich Mutter und Kitz durch Lautäußerungen verständigen.
Abstimmung der Beteiligten untereinander – Jägerinnen und Jäger einbeziehen
Da Rehe jagdbares Wild sind und einzig Jägerinnen und Jäger ein Aneignungsrecht besitzen, sollten Maßnahmen mit den örtlichen Jägerinnen und Jägern gemeinsam durchgeführt oder von diesen zumindest geduldet werden. Landwirtinnen und Landwirte wollen keine Tiere schädigen, Jagende haben ein Interesse und die Pflicht zur Hege des Wildes, Hilfsorganisationen und Freiwillige möchten gerne helfen und haben sich mit Drohnen und Wärmebildtechnik ausgestattet. Es kommt jetzt darauf an, dass sich alle rechtzeitig abstimmen und zusammenwirken.
Erster Runder Tisch „Rehkitzhilfe“
Der Tierschutzbeauftragte des Landes, Dr. Marco König, hatte deshalb Anfang März zum ersten Runden Tisch „Rehkitzhilfe“ eingeladen und Vertreterinnen und Vertreter der Landwirtschaft, Lohnunternehmen, der Jagd und Rehkitz-Helfende waren gekommen. Alle Beteiligten bekräftigten ihre Bereitschaft, an der Lösung des Problems mitzuwirken.
„Die Initiative muss dabei eindeutig von den Flächenbearbeitern ausgehen. Freiwillig Helfende und Jägerinnen Und Jäger können nur dann tätig werden, wenn sie über die Termine und Orte der Wiesenmahd informiert sind. Allerdings sind die Termine von verschiedenen Faktoren abhängig, maßgeblich auch der Witterung, und deshalb oft sehr flexibel. Es ist deshalb wichtig, dass die Mitwirkenden sich rechtzeitig kennen um kurzfristig Kontakt aufnehmen zu können“, weist Dr. König auf wesentliche Voraussetzungen hin.
Netzwerk online – So kommen Jagd, Landwirtschaft und Helfende zueinander
Die Homepage https://kitzrettung-hilfe.de bietet die Möglichkeit sowohl für Landwirtinnen und Landwirte als auch für Jägerinnen und Jäger sowie Hilfsorganisationen und freiwillige Helfer, ihre Kontaktadressen mit Anschrift und Erreichbarkeit zu hinterlegen (Registrierung als Helferin, Registrierung als Landwirtin oder Jägerin). Im Fall, dass Landwirte oder Jäger Hilfe anfordern möchten, können sie sich einloggen, Mähtermin und genauen Ort mit Postleitzahl eingeben. Hilfsorganisationen und Helfende, deren angegebener Einsatzort im Umkreis des Mähortes liegt, werden automatisch per E-Mail über das Hilfegesuch informiert. Die Absender erhalten eine Bestätigungsmail darüber, an wie viele Helfende ihre Anfrage weitergeleitet wurde. Tierschutzbeauftragter König hofft: „Im günstigsten Falle finden sich dauerhaft regionale Helfergruppen – Voraussetzung sind persönlicher Kontakt und der vertrauensvolle Wille zur Zusammenarbeit.“
Helfende gesucht: Plattform hilft bei der gegenseitigen Unterstützung
Das Registrieren in der Datenbank, das im Übrigen natürlich alle Vorschriften des Datenschutzes erfüllt, ist Voraussetzung um die Anfragefunktion nutzen zu können. Helfende, die sich registrieren, stellen Hilfesuchenden ihre Kontakte zur Verfügung und sollten im Zeitraum Mai bis Juni erreichbar sein. Hinweise zu Abläufen von Hilfeaktionen, worauf Helfende sich einstellen müssen, aber auch ein „Mäh-Knigge“ für Landwirtinnen und Landwirte sind der angegebenen Seite https://kitzrettung-hilfe.de zu entnehmen. „Möglicherweise sind in der Datenbank bisher erst wenige Landwirte bzw. Helfer Sachsen-Anhalts registriert, die Datenbank wird ihre Zeit zum Wachsen brauchen. Deshalb sollte parallel immer auch die Möglichkeit genutzt werden, Helfer persönlich in der jeweiligen Region zu mobilisieren“, ergänzt König weiter.
Während aus anderen Bundesländern zahlreiche Kitzhilfeorganisationen bereits registriert sind, enthält die Datenbank Sachsen-Anhalts bisher lediglich den Eintrag des Tierschutzvereins Gera (www.rehkitzretter-gera.de). Neben einer Organisation im Bereich Stendal und Salzwedel hat im Zusammenwirken mit dem Landesjagdverband Sachsen-Anhalt inzwischen der Verein „Wildtierretter Sachsen-Anhalt e.V.“ seine Hilfstätigkeit aufgenommen. Zukünftig plant der Verein den Einsatz mehrerer Drohnenflieger-Teams, die gemeinsam mit landwirtschaftlichen Betrieben und freiwilligen Helferinnen und Helfern dafür sorgen wollen, dass bei der alljährlichen Mahd auf Sachsen-Anhalts Wiesen weniger Wildtiere zu Schaden kommen.
Für den Fall, dass die Corona-Maßnahmen
im Land bis in den Mai/Juni andauern sollten:
Da die Abstimmung zwischen Drohnen-Teams und Rehkitzhelfern Vorort zumeist über
Mobiltelefonie stattfindet, ist der Einsatz der Helfergruppen nahezu ohne
direkte zwischenmenschliche Kontakte möglich.
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