Probleme in den halleschen Inobhutnahme-Stellen durch “Systemsprenger”: Kinder greifen andere Kinder an und verüben Straftaten, Belastungsgrenze erreicht

Wenn sich Eltern nicht um ihre Kinder kümmern (können) oder die Minderjährigen aus den Familien genommen werden müssen, dann landen diese zumeist erst einmal in den städtischen Inobhutnahmestellen. Die gesetzlichen Anforderungen für diese Einrichtungen seien in den vergangenen 5 Jahren sehr deutlich gestiegen, erklärt die Stadtverwaltung in einem Bericht an den Jugendhilfeausschuss. Dem stehe allerdings der allgemeine gesamtgesellschaftliche Wandel gegenüber. So sei in eine deutliche Zunahme der Anzahl von Inobhutnahmen und deren Verweildauern in den Inobhutnahmeeinrichtungen zu verzeichnen. 33 reguläre Plätze hat die Stadt, weitere 11 stehen für Rufbereitschaftsaufnahmen zur Verfügung.
Für die jungen Menschen bedeutet Inobhutnahme viele Herausforderungen. Zu nennen sei die plötzliche Herauslösung aus dem vertrauten familiären Umfeld in eine fremde Umgebung mit fremden Menschen und fremdem „Bestimmer“. Im Unterbewusstsein schwinge aber auch das Wissen mit, dass „etwas Schlimmes“ passiert ist – denn eine Inobhutnahme erfolgt nicht ohne Grund. Häufig verbunden seien diese Erlebnisse mit Vertrauensverlust und Traumatisierung.
“Diese Erfahrungen führen zu herausfordernden Verhaltensweisen (von intro- bis extrovertiert), die oftmals Hilferufe um Beachtung und den Kampf um familiäre Zugehörigkeit darstellen”, heißt es dazu von der Stadt. Genannt werden selbstverletzendes Verhalten, Wutanfälle bis hin zu Suiziddrohungen, Suchtmittelkonsum, Sachbeschädigungen, körperliche Übergriffe auf andere junge Menschen oder das pädagogische Personal und Bildung von Bündnissen unter den jungen Menschen zur Begehung von Straftaten wie Diebstähle und Brandstiftungen. Im vergangenen Jahr hatten zwei Zwölfjährige aus der Inobhutnahmestelle in der Klosterstraße mehrfach Brände gelegt.
Konkret spricht die Stadt von einer “Zunahme der Straftaten Strafunmündiger (10)/ 12 bis 13-jähriger, die sowohl um ihre Strafunmündigkeit als auch dem Verbot von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen ihnen gegenüber wissen.” In den halleschen Inobhutnahmeeinrichtungen fehlen hierzu derzeit Bedingungen für eine ausreichende Grenzsetzung, so die Stadt. Auch gebe es eine zunehmende Respektlosigkeit gegenüber pädagogischem Personal, Polizei, Rettungsdienst sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Ein großes Problem sei der Fachkräftemangel im gesamten pädagogischen Bereich. Dadurch gibt es nicht mehr ausreichend Plätze in den regulären Einrichtungen. Denn die Inobhutnahmestellen sind eigentlich nur für die akute Aufnahme gedacht, anschließend soll eine schnelle Vermittlung in Anschlusseinrichtungen – wie beispielsweise Wohngruppen – erfolgen. Stattdessen würden die Inobhutnahmeeinrichtungen zu „Dauerparkplätzen“, so die Stadt, “können ihrem originären Arbeitsauftrag von Krisen- und Perspektivmanagement nur noch bedingt nachkommen.” Das führe auch beim Personal zu einer extremen emotionalen und psychischen Belastung. Auch komme es zur Gefährdung der eigenen Gesundheit durch Übergriffe auch bestehe die Gefahr, bei eigenen körperlichen Abwehrreaktionen in Notwehr sich selbst eine Anzeige durch junge Menschen oder deren Sorgeberechtigte einzufangen. Die Stadt spricht von einem Motivationsverlust, “da die täglichen Arbeitsenergien zunehmend auf die Systemherausforderer gerichtet sind. Notwendige pädagogische Grenzsetzungen im Alltag werden von den jungen Menschen kaum noch akzeptiert, da ihnen bewusst ist, dass eine Entlassung wegen fehlender Mitwirkung oftmals nicht möglich ist.”
Die Stadtverwaltung selbst hat bereits auf die Situation reagiert. So gebe es in Ausnahmefällen auch ein Rotationsprinzip für besonder aggressive Jugendliche, sie wechseln also öfter die Einrichtung. Auch die Zusammenarbeit mit der Polizei sei intensiviert worden, es gebe zweimal im Jahr Kooperationstreffen zum fachlichen Austausch zwischen dem Fachbereich Bildung und der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Im Herbst sei zudem laut Stadt bei einem Notärztestammtisch die Situation besprochen worden.
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