„Bildung ist für alle da“: Bildungsprotest in Halle (Saale) sendet starkes Signal an die Politik – Bildungsminister spricht im Anschluss an die Demo an die Teilnehmenden

Es ist ein sonniger Samstag in Halle (Saale), doch auf dem Marktplatz in Halle (Saale) geht es um ein wichtiges Thema. Rund 70 Menschen – Lehrer, aber auch Schüler – hatten sich versammelt, um laut zu werden für ein Thema, das in den politischen Debatten oft nur am Rand vorkommt: Bildung. Sie wollen sichtbar machen, was sie täglich an ihren Schulen erleben – den Zerfall eines Systems, das eigentlich Zukunft sichern soll, aber zunehmend an den eigenen Rändern ausfranst.
„Für die Kinder, für das Land – nehmt die Bildung in die Hand!“, rufen die Demonstrierenden. Auf ihren Schildern: Forderungen nach mehr Schulsozialarbeit, barrierefreier Infrastruktur, kleineren Klassen, besseren Bedingungen in Kitas und mehr Geld für Ausbildung. Mit einem Demozug durch das Stadtzentrum – vom Marktplatz über das Steintor, den Riebeckplatz und den Franckeplatz zurück zum Ausgangspunkt – setzen sie ein deutliches Zeichen: Die Krise in Kitas, Schulen und Hochschulen ist real. Und sie duldet keinen Aufschub mehr.
Die Stimme der Lehrkräfte: „Das ist kein Zustand mehr“
Den Auftakt der Kundgebung gestaltet Catalina Möwes, Lehrerin und Mitorganisatorin des Protests. Ihre Worte treffen direkt ins Herz der Diskussion: „Wer im Bereich Bildung spart, verspielt die Zukunft unseres Landes.“ Möwes beschreibt das Bildungssystem wie ein Unternehmen, das wirtschaftlich bestehen will – aber mit veralteter Technik, ausgebrannten Mitarbeitern und einer Führung, die kein Zukunftsbild entwickelt. „Kein Unternehmen würde auf Verschleiß fahren“, sagt sie und bringt damit auf den Punkt, was viele in Schulen tagtäglich erleben. Unterrichtsausfall, psychische Überlastung, fehlende Fachkräfte – eine Realität, die längst chronisch geworden ist. Sachsen-Anhalt gibt im bundesweiten Vergleich unterdurchschnittlich viel für Bildung aus. Für Möwes ist klar: „Es geht nicht nur um einzelne Stunden oder Projekte, sondern um die Gesamtstruktur.“ Mit Blick auf die in einem Jahr stattfindenden Landtagswahlen fordert sie: „Jetzt ist der Moment, die Weichen neu zu stellen. Bildung darf keine Randnotiz sein. Sie muss ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung.“
GEW-Chef Gerken: „Wir verwalten den Mangel“
Deutlich wurde auch Malte Gerken, Vorsitzender der GEW in Halle und selbst seit 30 Jahren im Schuldienst tätig. Seine Worte sind von Resignation und zugleich Kampfgeist geprägt: „Wir sind heute hier, um klarzumachen, dass der Zustand unserer Bildungseinrichtungen nicht länger akzeptabel ist.“ Gerken spricht von überfrachteten Lehrplänen, zu wenig Zeit für die Schüler und einem System, das Lehrerinnen und Lehrer zur Bürokratie zwingt, statt ihnen Freiraum für pädagogische Arbeit zu geben. „Es braucht mehr Personal, mehr Ausbildungsplätze – und keine vollgestopften Hörsäle.“ Ein besonderer Punkt: die Finanzierung. Gerken plädiert für ein Sondervermögen für Bildung – nicht als Tropfen auf den heißen Stein, sondern als langfristige Investition. „Wenn man seit 1997 nicht auf die Vermögenssteuer verzichtet hätte, könnte man das alles aus der Portokasse bezahlen“, sagt er. Die Bildungslandschaft müsse inklusiv, gerecht und zukunftsgerichtet sein. „Wir wollen nicht nur über Veränderung reden, wir wollen sie gestalten.“
Elterninitiative „Kitastrophe“: Frühkindliche Bildung am Limit
Ein weiterer erschütternder Bericht kommt von Ruth, Vertreterin der Elterninitiative „Kitastrophe“, die sich Anfang des Jahres aus Frust über die Zustände in Halles Kitas gegründet hat. Sie berichtet von einem Notruf aus der Kita ihres eigenen Kindes – wegen Krankheit und Urlaub sei kaum noch Betreuung möglich. Gleichzeitig erklärt die Stadt, keinen Azubi des Jahrgangs übernehmen zu wollen, weil es angeblich „zu viele Erzieher“ gäbe. Das sei ein Schlag ins Gesicht für alle Eltern, sagt Ruth. Die Realität in den Kitas sei eine andere: Überlastete Erzieher, überfüllte Gruppen, ein Betreuungsschlüssel, der auf dem Papier bei 1:5 liegt – in der Praxis aber oft bei 1:9. Studien zeigten, dass frühkindliche Bildung das spätere Einkommen um bis zu 10 Prozent steigern und die Schulabbrecherquote halbieren könne. Die Belastung der Fachkräfte sei enorm: 40 Prozent leiden unter Erschöpfungssymptomen oder Burnout – doppelt so viele wie in anderen Berufsgruppen. „Die Kita ist kein Aufbewahrungsort, sondern ein Ort der Entfaltung“, sagt Ruth. „Das geht nur mit Zeit, Zuwendung und Personal.“ Die Elterninitiative hat bereits 1.500 Unterschriften für bessere Personalschlüssel gesammelt – doch bislang ohne Reaktion.
Studierende erinnern: Der Mangel wurde lange ignoriert
Lukas Wanke, Sprecher der Hochschulgruppe „MLU unterfinanziert“, erinnerte daran, dass Halle bereits 2023 Schauplatz eines großen Bildungsprotests war. Damals sprach auch Jan Riedel, heute Bildungsminister, damals noch Schulleiter. „Er sagte, das Problem sei technischer Natur. Heute, als Minister, merkt er, dass es systemisch ist“, so Wanke. Er kritisiert, dass die Landesregierung lange geschwiegen habe, obwohl der Lehrermangel absehbar war. Stattdessen habe man über Nebenthemen debattiert – während Studienplätze fehlten, Hörsäle überfüllt waren und die Lehrpläne realitätsfern blieben. „Seit 30 Jahren funktioniert das System nicht. Und wir machen trotzdem weiter wie bisher.“
Schulleiter Slowig: „Schluss mit dem Streichkonzert“
Andreas Slowig, Schulleiter des Christian-Wolff-Gymnasiums, brachte eine internationale Perspektive ein. Während Länder wie Finnland 6,5 Prozent des BIP für Bildung ausgeben, liegt Deutschland bei nur 4,5 Prozent. Slowig unterstützt die „95 Thesen für eine bessere Bildung“, die die Initiative vorgelegt hat. Besonders wichtig seien ihm kleinere Klassen, mehr Schulsozialarbeit, nachhaltige Schulentwicklung – und die Stärkung der Lehrkräfte. „Vor 30 Jahren waren die Ressourcen für Arbeitsgemeinschaften doppelt so hoch wie heute – und schon damals nicht ausreichend“, sagt er. Es sei höchste Zeit, die außerschulische Arbeit wieder zu stärken und Schulen ganzheitlich zu denken.
Schülerinnen fordern echte Chancengleichheit
Den emotionalen Höhepunkt des Protests lieferten zwei Schülerinnen, die die Perspektive der jungen Generation eindrücklich schilderten. „Wir lernen in maroden Gebäuden, ohne WLAN, mit kaputten Toiletten. Das ist kein Ort des Lernens, das ist ein Ort des Funktionierens“, sagte eine von ihnen. Der vermittelte Stoff sei nicht lebensnah, sondern weltfremd. „Unser System grenzt aus, statt zu fördern. Und es misst nur Leistung, statt Talente zu entfalten.“ Eine weitere Schülerin kritisierte die soziale Ungleichheit im System: „Kinder reicher Eltern haben moderne Geräte, Nachhilfe, Unterstützung – Kinder aus ärmeren Haushalten werden viel zu oft abgehängt.“ Sie fordert ein gerechtes Schulsystem, das nicht Herkunft, sondern Potenzial in den Mittelpunkt stellt.
Bildungsminister Jan Riedel: „Ein Ruck muss durch das System gehen“
Zum Abschluss der Kundgebung trat auch Bildungsminister Jan Riedel selbst ans Mikrofon. Er zeigte Verständnis für die Kritik, lobte das Engagement der Teilnehmenden und erinnerte sich an seine eigene Studienzeit: „Auch ich habe damals auf dem Uniring in Leipzig gerufen: ‚Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut.‘“ Riedel sagte, die jungen Menschen hätten das Recht, klare Forderungen zu stellen. „Es ist das Vorrecht der Jugend, den Finger in die Wunde zu legen.“ Gleichzeitig betonte er, dass ein Wandel notwendig sei: „Wir können nicht das Alte tun und glauben, damit die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.“ Er appellierte an die Jugendlichen, ihren Weg weiterzugehen, sich einzumischen und einzufordern, was ihnen zusteht: ein Bildungssystem, das offen, gerecht und zukunftsfähig ist.

Symbolisch wurden Riedel noch die 95 Thesen übergeben.
Bilder der Demonstration und Riedels komplette Rede als Video:
Gerade deshalb: „In Halle werden die Dummen nicht alle!“
Wo ist denn in Leipzig der Uniring?
Das Binärcode mal was n i c h t weiß… kaum fassbar …
Der City Hochhausring wird umgangssprachlich in Leipzig „Uniring“ genannt… und das schon seit laaaaanger Zeit…
Es gibt auch keinen „City Hochhausring“ in Leipzig. Wie das angeblich umgangssprachlich genannt wird, ist unerheblich.
Gibt es eine „Kleine Uli“ in Halle? Oder einen Boulevard (wohl eher „Bullewar“)? Einen „Knoten“? Ein Rathaus am Marktplatz?
Auch Umgangssprache ist Sprache.
Es gibt auch keinen „Uniring“ in Halle.
Verstehe diesen Protest nicht ! Jeder hat in diesem Land allein durch die Schulpflicht die Möglichkeit sich zu bilden! Ausbildungsplätze gibt es wie Sand am Meer und diverse andere Möglichkeiten sich zu bilden besteht auch für jeden ! Egal aus welchen Land man muss sich nur integrieren wollen und aktiv an sich arbeiten und wollen ! Aber diese links grünen sehen das nicht, bzw wollen das nicht sehen das jeder für sein glück der eigene Schmied ist ! Oder ?
In einem Land mit 39% AFD Zustimmung kann man durchaus von fehlender Bildung sprechen.
Stimmt! 39% ist deutlich zu wenig!
Zumindest zu DDR-Zeiten gab es eine strenge Schulpflicht.
Zu Schulschwänzern kam der ABV nach Hause und legte den Eltern dar, dass sie dafür zu sorgen hätten, dass die Kinder pünktlich in der Schule zu sein hätten. Die erste Stufe der Eskalation war natürlich erst mal ein Brief von der Schule, oft wußten die Eltern ja gar nicht, dass ein Kind nicht in der Schule auftauchte.
Das irgendjemand auch nur auf die Idee gekommen wäre, seine Kinder selbst und zu Hause zu unterrichten, ist mir nicht bekannt. Trotz ideologischer Überlagerung wurde die prinzipielle Sinnhaftigkeit der Schule nicht in Frage gestellt. Es gab ja auch nicht zig verschiedene Schulformen wir heute. Die nächstgelegene POS war die Schule für 80% der Schüler, von Klasse 1 bis 10.
Ist das Signal auch noch so stark, ist der Empfänger aus, dann ist es Quark!
Kleine Klarstellung: In der Krippe ist der offiziellle Schlüssel 1:5,5, im Kindergarten 1:12, im Hort 1:20. Ansonsten ist die Kritik berechtigt.
Bildung ist grundsätzlich Ländersache.
„Wenn man seit 1997 nicht auf die Vermögenssteuer verzichtet hätte, könnte man das alles aus der Portokasse bezahlen“.
Endlich, da ist er wieder, der heilige Gral Vermögenssteuer. Man hat das Gefühl, damit lassen sich auf einen Schlag alle Probleme des Landes lösen.
Was sollte damit nicht schon alles gegenfinanziert werden:
Gemeinwohlorientierte Gesundheitsversorgung
Bezahlbarer Wohnraum
Kostenfreier öffentlicher Nahverkehr
Klimaschutz und sozial-ökologische Transformation
Unterstützung einkommensschwacher Länder
Digitalisierung der Verwaltung
Erhalt und Ausbau von Schwimmbädern, Bibliotheken, Theatern
Armutsbekämpfung und soziale Gerechtigkeit
Allgemeine öffentliche Daseinsvorsorge
Rückzahlung von Krisenkrediten
Entwicklungszusammenarbeit
Bei so viel Schweinen, die bereits am Trog stehen, dürften die meisten wohl mit hungrigem Magen wieder nach Hause gehen.
@Peter, treffender kann man es nicht beschreiben!🤣👍
„Den Auftakt der Kundgebung gestaltet Catalina Möwes, Lehrerin und Mitorganisatorin des Protests.“
Ah, ok.
Das erklärt auch, warum die Veranstaltung auf mich wie eine Werbeaktion für Catalina Möwes wirkte und weniger als eine Aktion für mehr Bildung. Ich finde es nicht gut, dass unter dem Deckmantel der Bildung Volt-Wahlkampf für die Landtagswahl 2026 gemacht wird.
„Wenn man seit 1997 nicht auf die Vermögenssteuer verzichtet hätte, könnte man das alles aus der Portokasse bezahlen“
Das Bundesverfassungsgericht hat die Vermögenssteuer damals für verfassungswidrig erklärt. Ich verstehe von daher nicht, warum Personen heutzutage diesbezüglich die verfassungswidrige Forderung nach Wiedereinführung der Vermögenssteuer stellen.
Du verstehst so manches nicht. Die Vermögenssteuer ist im Grundgesetz sogar ausdrücklich erwähnt. Aber Bildung ist für alle da …
@PaulusHallenser:
Wie SaulusHallenser bereits erwähnt hat, wird die Vermögenssteuer im GG 106 sogar explizit erwähnt (https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_106.html). Die Verfassungswidrigkeit ergab sich aus einer damals bestehenden Unterbewertung von Grund- und Immobilienvermögen, wodurch sich eine mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht zu vereinbarende steuerliche Bevorteilung für die damaligen Grund- und Immobilienbesitzenden ergeben hat (https://www.verdi.de/service/fragen-antworten/++co++daa0c784-3952-11e2-aead-0019b9e321cb). Und genau darin sah Karlsruhe die Verfassungswidrigkeit, nicht an einer Vermögenssteuer an sich.
Angesichts der massiven Vermögensungleichheit in diesem Land (https://www.diw.de/de/diw_01.c.932568.de/100_jahre_diw/wie_sich_die_vermoegensverteilung_in_deutschland_entwickelt_hat.html), verstehe ich nicht, wie man sich ernsthaft gegen eine Vermögenssteuer zur Finanzierung des Gemeinwesens stellen kann
Und der den schlamassel zu verschwitzten hat, traut sich dort auch noch zu reden.