Halle streitet über Kulturkampf und Demokratie – Stadtrat beschließt Unterstützung für WIR-Festival als Gegenpol zur umstrittenen rechten Buchmesse „Seitenwechsel“

Der hallesche Stadtrat hat am Mittwoch nach intensiver Debatte eine Resolution verabschiedet, die das zivilgesellschaftlich getragene WIR-Festival unterstützt und sich zugleich kritisch gegenüber der geplanten Buchmesse „Seitenwechsel“ positioniert. Mit 24 Ja-Stimmen, 19 Nein-Stimmen und 7 Enthaltungen wurde der Antrag der Fraktionen SPD, Die Linke, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Volt/MitBürger sowie der Stadträt:innen Dörte Jacobi und Thomas Schied angenommen. Die Entscheidung fällt inmitten eines deutlich spürbaren politischen Streits um die Frage, wie weit Meinungsfreiheit reicht und wann die Demokratie sich gegen demokratiefeindliche Strömungen wehren muss.

Werbung

Resolution verabschiedet – Mehrheit für Unterstützung des WIR-Festivals

Die verabschiedete Resolution bekennt sich ausdrücklich zum WIR-Festival, das sich als Plattform für demokratischen Austausch, zivilgesellschaftliches Engagement und kulturelle Vielfalt versteht. Der Stadtrat begrüßt die geplanten Initiativen des Festivals, das im Kontext der Buchmesse „Seitenwechsel“ sowie darüber hinaus ein sichtbares Zeichen für Demokratie, Weltoffenheit und Mitmenschlichkeit setzen will. In der Begründung wird das Festival als Ausdruck einer aktiven Stadtgesellschaft gesehen, die sich klar gegen Rassismus, Ausgrenzung und Menschenfeindlichkeit positioniert.

Zugleich enthält die Resolution eine klare Distanzierung gegenüber der Buchmesse „Seitenwechsel“, die am 8. und 9. November 2025 in der HALLE MESSE stattfinden soll. Der Stadtrat äußert Bedenken hinsichtlich der inhaltlichen Ausrichtung der Messe, die laut Antrag verfassungsfeindliche, extrem rechte Literatur und Weltanschauungen verbreiten soll. Auch die Wahl des Termins – der 9. November – wird in der Resolution kritisiert. Angesichts der historischen Bedeutung dieses Datums in der deutschen Geschichte, etwa der Novemberpogrome 1938 und des Mauerfalls 1989, sei die Messe als bewusste Provokation zu werten. Die Resolution fordert den Oberbürgermeister auf, erneut das Gespräch mit der HALLE MESSE GmbH zu suchen, um auf deren gesellschaftliche Verantwortung hinzuweisen.

Volt: „WIR-Festival ist das demokratische Gegenmodell zu einer abscheulichen Weltanschauung“

Werbung

Für Ferdinand Raabe von Volt ist das WIR-Festival mehr als nur ein kulturelles Ereignis – es sei ein positiver Gegenpol zur „abscheulichen Weltanschauung“, die auf der Messe „Seitenwechsel“ eine Bühne finde. In seinem Redebeitrag betonte Raabe, das Festival sei ein Ort des Austauschs, an dem unterschiedliche Weltanschauungen friedlich nebeneinanderstehen könnten. Im Gegensatz dazu würden auf der Buchmesse rechtsextreme Narrative verbreitet und lokale Medien als „linke Systempresse“ verunglimpft. Raabe warnte eindringlich vor dem Imageschaden für die Stadt Halle. Die Präsenz verfassungsfeindlicher Akteure führe langfristig nicht nur zu politischer, sondern auch zu wirtschaftlicher Erosion – mit dem Verlust von Fachkräften und Investitionen. Die Aufgabe des Stadtrats sei es daher, den Ruf Halles zu schützen.

AfD: „Angriff auf Meinungsfreiheit – Hetze gegen eine freie Messe“

Die AfD-Fraktion stemmte sich vehement gegen die Resolution. Carsten Heym begrüßte die Buchmesse „Seitenwechsel“ ausdrücklich und bezeichnete sie als „so vielfältig wie Bücher Seiten haben“. Die Kritik an der Messe sei nichts weiter als eine bewusste Verleumdung, die auf eine Einschränkung der Meinungsfreiheit abziele. Die Antragsteller – also SPD, Linke und Grüne – stünden laut Heym in einer unheilvollen Traditionslinie: „35 Jahre nach der Wende stellt die Linke wieder Freiheitsrechte in Frage – diesmal mit den willfährigen Helfern von SPD und Grünen.“ Das WIR-Festival verglich Heym mit der DDR, die formal demokratisch gewesen sei, faktisch jedoch keine Meinungsfreiheit zuließ. Er hatte auch das Rederecht für den Schriftsteller Cornelius Hahn beantragt, doch dieses wurde mehrheitlich abgelehnt.

Alexander Rau (AfD) bezeichnete die Resolution als „Hetzschrift“, die nicht Vielfalt, sondern Meinungskontrolle zum Ziel habe. Er verteidigte die Buchmesse als Ort für „freie Verlage mit freien Autoren“. Paul Backmund (AfD) kritisierte vor allem, dass im Antrag eine Prüfung städtischer Fördermittel für das WIR-Festival gefordert wird. „Warum sollte dieses Festival schon wieder finanziert werden? Die rechte Buchmesse schafft es doch auch, sich selbst zu tragen“, so Backmund. Rechte Meinungen seien Teil der Demokratie, und dafür werde er „immer einstehen“.

CDU zwischen Anerkennung und Ablehnung – Warnung vor Kulturkampf

Die CDU-Fraktion zeigte sich in der Debatte gespalten. Christoph Bergner würdigte zwar das WIR-Festival als Ausdruck zivilgesellschaftlichen Engagements, lehnte jedoch die Resolution ab. Seiner Ansicht nach ziele der Antrag auf eine Spaltung der Stadtgesellschaft und befeuere einen Kulturkampf. Statt Konfrontation brauche es Kommunikation. „Wollen wir in Halle Kommunikation oder einen Kulturkampf?“, fragte Bergner. „Ich will keinen Kulturkampf.“ Er warnte davor, dass sich durch solche Positionierungen beide Seiten weiter radikalisieren könnten – ein Diskurs, der durch gegenseitige Eskalation nicht mehr produktiv sei.

Auch Christoph Bernstiel (CDU) äußerte sich kritisch zur Resolution. Zwar sei man weder gegen das WIR-Festival noch für die Inhalte der Buchmesse, doch der Antrag selbst sei ungeeignet. Es handle sich bei „Seitenwechsel“ um eine private Veranstaltung, für die der Stadtrat nicht zuständig sei. Mit der Resolution bediene man letztlich das politische Narrativ der AfD und spiele dieser unfreiwillig in die Hände. Demokratie bedeute auch, dass Meinungen Platz hätten, die einem persönlich nicht gefielen – solange sie sich auf dem Boden des Grundgesetzes bewegten.

SPD, Linke und Grüne: „Wir stehen für eine weltoffene Stadtgesellschaft“

Eric Eigendorf (SPD) stellte klar, dass das WIR-Festival weit mehr sei als nur ein Protest gegen „Seitenwechsel“. Es sei ein kreativer, diskursorientierter Beitrag zur Kulturszene, der Halle bereichere. Wer sich durch ein solches Festival angegriffen fühle, müsse seine eigenen Standpunkte überdenken, so Eigendorf. Das Festival sei kein Gegen-„Dagegen“, sondern ein Eintreten „Für etwas“.

Katja Müller (Die Linke) widersprach der Vorstellung, man könne sich dem Kulturkampf entziehen. Dieser sei längst Realität. Es gehe darum, sich dem nicht tatenlos zu beugen. Die Resolution sei keine Einladung zu Radikalität, sondern solle jene unterstützen, die sich friedlich und konstruktiv mit den demokratiefeindlichen Tendenzen auseinandersetzen. Das WIR-Festival sei dabei ein positives Vorbild – im Gegensatz zu Blockaden oder Konfrontationen.

Melanie Ranft (Bündnis 90/Die Grünen) betonte schließlich, dass es bei der Resolution nicht um Verbote gehe, sondern um Haltung. „Ich möchte nicht, dass man sagt, Halle sei blau oder braun.“ Es gebe bei der Buchmesse Aussteller, die sich am Rand des Grundgesetzes bewegten oder es gar verletzten. Der Stadtrat müsse deshalb ein klares Zeichen setzen. Das WIR-Festival sei Ausdruck einer anderen, demokratischen Stadtgesellschaft. Ranft wies außerdem darauf hin, dass die Initiatoren der Resolution gezielt an die Fraktionen herangetreten seien – der Antrag sei also ein direktes Ergebnis zivilgesellschaftlicher Initiative.

FDP setzt Debattenabbruch durch

Nach über dreißig Minuten kontroverser Debatte stellte Tim Kehrwieder (FDP) einen Geschäftsordnungsantrag auf Abbruch der Diskussion. Die Mehrheit der Ratsmitglieder folgte diesem Antrag, woraufhin direkt zur Abstimmung übergegangen wurde. Mit 24 Stimmen wurde die Resolution angenommen.

Artikel Teilen:
Werbung

Für dich vielleicht ebenfalls interessant …

6 Antworten

  1. Yaya sagt:

    Demokratie schlägt Faschismus

  2. "Wir" ist die Ausrufung des kulturellen Kriegszustandes sagt:

    Die WIR-Leute werden Dank dieses Beschlusses nun alle halleschen Strukturen, die irgendetwas mit Kultur zu tun haben, mit massivem Druck politisieren und das Primat der Politik gegenüber der Kultur – per Mobbing, Anschwärzung und Ausschluß – durchdrücken.

  3. Midas sagt:

    „erneut das Gespräch mit der HALLE MESSE GmbH“

    Hier zeigen die Stadträte mal wieder, dass sie Null Ahnung haben. Sonst würden sie wissen, dass die Messe GmbH weder Veranstalter noch Eigentümer (= Vermieter) der Halle ist. Sie können sich aber damit „trösten“, dass ein Mitarbeiter des MDR genauso doof war, und einen (tendenziellen) Fragenkatalog an die GmbH geschicht hatte.

  4. Fritz Störenfried sagt:

    Wenn die WIR Leute finanzielle Mittel brauchen, sollten sie Lotto spielen. Ansonsten keinen Pfennig .

  5. Wolli sagt:

    „Melanie Ranft (Bündnis 90/Die Grünen) betonte schließlich, dass es bei der Resolution nicht um Verbote gehe, sondern um Haltung. „Ich möchte nicht, dass man sagt, Halle sei blau oder braun.“ “

    Halle war und ist mehrheitlich rot.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert