Lärm macht krank: Hallenser diskutieren zu Verbesserungen zum Thema Bahnlärm
Der Lärmschutz an Bahnstrecken war am Dienstagabend Thema einer Diskussionsrunde, zu der der SPD-Stadtverband ins Palais S eingeladen hatte.
„Es hört sich erstmal banal an“, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat, Johannes Krause. „Doch das Thema berührt viele Menschen.“ Besonders jene Anwohner, die vom Ausbau der Merseburger Straße und dem Neubau der Rosengartenbrücke betroffen sind, so Krause. Zudem werde es nach Fertigstellung der Zugbildungsanlage ein erhöhtes Verkehrsaufkommen geben, auch verbunden mit Lärm.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby meinte, einer Studie zufolge fühle sich die Hälfte aller Bundesbürger durch Verkehrslärm in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt. Deshalb sei im Koalitionsvertrag vereinbart worden, den Schienenlärm bis 2020 im Vergleich zum 2008 zu halbieren, was 10 dB entspreche. Auch hätten Anwohner selbst an Bestandsstrecken mittlerweile Anspruch auf Lärmschutz. Der Bund investiere in diesen Bereich 150 Millionen Euro. 300 Millionen Euro fließen laut Diaby in lärmarme Bremstechnik, sogenannte Flüsterbremsen. Schließlich müssen 163.000 Güterwagen umgerüstet werden. Daneben stünden 30 Millionen Euro für das Konzept „Lese Schiene“ bereit, mit denen Prototypen für innovative Güterwagen sowie neue Technologien erforscht werden sollen. „Es ist erklärtes Ziel der Bundesregierung, bis 2020 keine lauten Güterwagen mehr auf deutsche Schienen fahren zu lassen.
Halles Planungsdezernent Uwe Stäglin meinte, der Schienenlärm gehe oft einher mit Bestandsstrecken. Da sei es bisher schwierig gewesen, etwas umzusetzen. Deshalb sei es ein politischer Erfolg, dass der Bund nun Gelder bereitstelle. Dies sei auch mit Hilfe des Städte- und Gemeindebundes gelungen. Dadurch habe auch die nördliche Bahntrasse am Rosengarten, die Strecke 6343, in den Lärmschutzplan aufgenommen werden können. „Dieser Abschnitt ist im Lärmsanierungsprogramm enthalten“, so Stäglin. Es sei aber noch nicht klar welche Maßnahme n durchgeführt werden, als ob es eine Lärmschutzwand geben wird oder ein besonders überwachtes Gleis. Dagegen wurde die südliche Strecke, die 6354, nicht mit aufgenommen. Genau diese Tatsache sollte im Verlauf der Diskussion noch zu Wortmeldungen von Bürgern führen. Stäglin verwies auch auf den Stadtratsbeschluss, wonach die Stadtverwaltung sich für Lärmschutzmaßnahmen einsetzen solle. Wie er sagte, wird Oberbürgermeister Bernd Wiegand noch einmal den Bundesverkehrsminister anschreiben.
Als eine Art Botschafter bezeichnete Eckart Fricke, Konzernbevollmächtigter der Bahn in Mitteldeutschland, seine Aufgabe. 39 Jahre ist er mittlerweile bei der Bahn tätig. Schallschutz sei ein sehr ernstes, sehr wichtiges Thema. Dieses gewinne immer mehr Priorität. Denn die Zahl der Güterzüge nehme jährlich um 3 Prozent zu. Das Problem sei die Bremstechnologie. So kämen größtenteils noch Graugussbremsklötze zum Einsatz. Dabei werde die Oberfläche des Radreifens aufgerauht, dies sei die eigentliche Schallursache. „Je rauher oberfläche, um so lauter werden die Züge“, so Fricke. Eine Scheibenbremse wie bei Autos sei wegen des Gewichts bei Güterwagen, die würde durch die beim Bremsvorgang entstehende Wärme wegschmelzen. Es habe lange gedauert, die die Industrie ein geeignetes Material gefunden habe, so Fricke. Im Rheintal sei dies bereits ausprobiert worden, mit Erfolg. Doch Problem sei, dass der Deutschen Bahn nur rund 100.000 Güterwaggons gehören. „In Europa verkehren aber 600.000.“ Deshalb sei es jetzt es Aufgabe der EU, dass die anderen ausländischen Güterwagen ebenfalls umgerüstet werden. „Brüssel könnte da noch mehr Druck ausüben.“ Beispielhaft nennt Fricke die Schweiz, die ab 2020 keine Grauguss-Bremsen mehr zulässt. Bei einem Verstoße gebe es eine Verwarnung, beim zweiten Mal eine Strafe und beim drittel Mal werde die Lizenz entzogen. Daneben informierte Fricke, dass bundesweit auf 3.000 Kilometern Lärmschutzwände gezogen werden, die Hälfte davon sei bereits erfolgt. „Wir würfen gerne schneller bauen“, sagte er. Doch sei dies im laufenden Betrieb nicht machbar. Die Lärmsanierung sei jedoch nur das Pflaster, das andere Thema sei die Lärmvorsorge. Und hier profitiere Halle davon, dass es von drei Neubauvorhaben tangiert werde. Dadurch würden 20 Kilometer Lärmschutzwände aufgestellt sowie 28 Kilometer besonders überwachtes Gleis. „Sie können sich sehr glücklich schätzen, was hier alles passiert“, so Fricke. Zwar könne man sich immer mehr wünschen. „Doch im Gegensatz zu anderen Gemeinden können wir fast aus vollem schöpfen.“ Die Bauvorhaben der Bahn sieht Fricke als Chance für den Wirtschaftsstandort Halle, es entstehe durch die ICE-Anbindung ein attraktiver Konferenzstandort. Ein ähnliches Beispiel habe es an der Bahnstrecke Hannover-Würzburg gegeben. Fulda habe dies erkannt und ein Kongresszentrum in Bahnhofsnähe gebaut. Das größere Kassel habe diese Chance dagegen verpennt. Dies sollte Halle nicht passieren. Und wird die Stadt auch nicht, erklärte Baudezernent Stäglin. Ein Leitbild Riebeckplatz habe man schon erarbeitet, jetzt folge der Rahmenplan. Ziel sei es, Flächen in Bahnhofsnähe zu entwickeln.
Herr Weidner aus Ammendorf vom Netzwerk Halle Süd plagten insbesondere die Lärmprobleme im Bereich Straße der Waggonbauer. Die für den Lärmschutz herangezogenen Messungen stammen von 1994, sagte er. Doch die Situation habe sich geändert. Damals hätten noch etliche Lagerhallen des Waggonbaus gestanden, die den Lärm abgefangen hätten. „Bei Ostwind knallt der Schall heute bis zur Merseburger Straße.“ In den vergangenen tagen seien die Züge in der Siedlung gefühlt lauter zu hören gewesen als die Flugzeuge. Der Bahn-Vertreter versprach pragmatische Lösungen. Von seiner vorherigen Tätigkeit in Baden-Württemberg kenne er ähnliche Situationen. Jetzt sei die Politik gefragt, die neue Situation und Betroffenheit festzustellen.
Rolf Herrmann von der BI Rosengarten freute sich darüber, dass das Thema aktiver Lärmschutz nun endlich angegangen werde. So konkret sei die Bahn bisher nicht geworden. Er sprach sich aber für eine zeitliche Kopplung der Baumaßnahmen aus. Die Projekte sollten so getaktet werden, dass ein Minimum an Belastung entsteht. „Wir möchten nicht den goldenen Löffel, sondern ordentliche Lebensbedingungen.“ Ähnliche Sorgen hatte Herr Neumann von der Siedlergemeinschaft Rosengarten, dem es ebenfalls um den zeitlichen Ablauf ging. Zudem forderte er eine schnellere Umrüstung auf Flüsterbremsen, schließlich werde sich durch die Zugbildungsanlage der Bahnverkehr verdoppeln. Beispielhaft nannte er die Rumänische Staatsbahn mit ihren lauten Kalkwagen. Doch hier konnte Eckart Fricke keine zufriedenstellende Lösung präsentieren. Denn die Lieferanten für die Flüsterbremsen würden mit Produzieren nicht nachkommen.
Holger Bless vom Bürgerverein Diemitz sieht insbesondere im Bereich Birkhahnweg die Notwendigkeit von Lärmschutzmaßnahmen, auch weil hier noch in der Nähe die neue Osttangente gebaut wird. Denkbar wäre beispielsweise eine aufblasbare Lärmschutzwand während der Bauarbeiten. Diese Variante will die Stadt prüfen.
Ich finde es schon erstaunlich, dass sich hier die gleichen Leute zu Wort melden und sich über Bahnlärm beschweren, die an anderer Stelle einen vierspurigen Ausbau der Merseburger Straße fordern, bzw. den Rückbau auf zwei Spuren um jeden Preis verhinder wollen. Wenn da mal nicht mit zweierlei Maß gemessen wird.
„Es hört sich erstmal banal an“. So begonnen wird eine Diskussion schnell in die Ecke: ach, die da wieder geschoben. Lärm macht krank, Punkt! Und Spüche, was mann alles macht oder machen könnte, kennen wir doch alle. Hier zählen echt nur Ergebnisse.