Jugendliche erzählen NS-Zwangsarbeit im Comic: „Blutiger Turnschuh“ zeigt bewegende Geschichte im Stadtmuseum Halle

Es war ein stiller, aber eindrucksvoller Moment im Stadtmuseum Halle, als am Donnerstag die Ausstellung „Blutiger Turnschuh“ eröffnet wurde. Bis zum 16. November können Besucherinnen und Besucher die Comicschau der Projektgruppe „Tagebuch der Gefühle“ erleben – ein Projekt, das zeigt, wie tiefgründig und kreativ sich junge Menschen mit dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte auseinandersetzen können.
Die Leiterin des Stadtmuseums, Jane Unger, zeigte sich bewegt von der Arbeit der Jugendlichen: „Es sind tolle, beeindruckende Ergebnisse entstanden.“ Die Ausstellung widmet sich einem Aspekt des Nationalsozialismus, der in Halle bisher nur unzureichend aufgearbeitet ist – der Zwangsarbeit. Dabei verweist Unger auf ein grundlegendes Problem: „Das Thema ist noch längst nicht abgeschlossen. Es hat ganz lange gedauert, bis man es überhaupt aufgegriffen hat.“
Vor allem die Verbindung zu renommierten Firmen erschwere die Aufarbeitung, so Unger. Ein Beispiel dafür sei das Zwangsarbeiterlager am Goldberg, zu dem Studierende der Kunsthochschule Burg Giebichenstein bereits forschten. Doch das sei nur ein Bruchstück des Gesamtbildes. In Halle hat es mindestens 114 Zwangsarbeiterlager gegeben – mal größer, mal kleiner. Eine vollständige Geschichte dieser Lager existiert bis heute nicht.
Auch zur NS-Zeit in Halle insgesamt gebe es noch große Lücken. „Es gibt keine komplett beschriebene Geschichte der Stadt Halle zwischen 1933 und 1945“, betont Unger. Daher habe man sich im Netzwerk der Museen dazu entschlossen, das Thema systematisch anzugehen: mit Forschung, Austausch und einer künftigen gemeinsamen Ausstellung.
Im Rahmen der Vorbereitungen für eine neue Dauerausstellung auf der Saline sei man auf weitere erschütternde Erkenntnisse gestoßen: Auch dort wurde Zwangsarbeit geleistet – sogar Hinrichtungen habe es gegeben. Doch die Quellenlage sei schwierig. „Es ist ganz schwer, Namen und Unterlagen zu finden“, erklärt Unger.

Comic über ein verdrängtes Kapitel
Der gezeigte Comic ist das Ergebnis einer Bildungsreise nach Sachsenhausen, bei der sich die Jugendlichen intensiv mit der Geschichte der Zwangsarbeit auseinandersetzten. Projektleiter Andreas Dose beschreibt das Anliegen der Jugendlichen: „Sie wollen ihr Geschichtswissen aufbessern.“ Denn oft fehle dieses Wissen im Schulalltag – ein gefährlicher Mangel, wie Dose findet: „Man muss sich nicht wundern, dass viele junge Menschen den falschen hinterherlaufen. Für den Hauptschulabschluss braucht man kein Wissen über den Nationalsozialismus.“

Im Fokus des Comics steht die Geschichte von Joop Snep, einem jungen Zwangsarbeiter, und seinem Vater. Die Jugendlichen beleuchten dabei ein kaum bekanntes Kapitel: das sogenannte „Schuhläufer-Kommando“ im Konzentrationslager Sachsenhausen. Was harmlos klingt, war grausame Realität: Die Häftlinge mussten täglich bis zu 40 Kilometer marschieren, um neue Schuhe zu testen – oft in falscher Größe, barfuß oder mit blutigen Füßen. Viele brachen erschöpft zusammen, manche starben an den Folgen.
Für die Umsetzung des Comics waren die Jugendlichen nicht nur inhaltlich, sondern auch künstlerisch verantwortlich. Das Ergebnis beeindruckte sogar überregional: 2024 wurde der Comic beim Internationalen Comic-Wettbewerb für Jugendliche des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. ausgezeichnet.

Engagement über die Ausstellung hinaus
Das Projekt „Tagebuch der Gefühle“ endet nicht mit dieser Ausstellung. Laut Dose ist bereits das nächste Vorhaben in Planung: Eine Bildungsreise nach Sobibor, einem ehemaligen Vernichtungslager im heutigen Polen. Dort wollen die Jugendlichen eine Gedenktafel anbringen – finanziert durch Spenden und selbst organisierte Aktionen, etwa das Sammeln von Schrott, den sie bei Metallhändlern zu Geld machen.
Andreas Schmidt, SPD-Landtagsabgeordneter, unterstützt die Projekte finanziell – und ideell. „Die Arbeit ist irre wichtig“, sagt Schmidt. Sie sei ein Beitrag dazu, dass Geschichte nicht vergessen wird. „Eine ganze Generation hat sich der Verantwortung entzogen, indem sie sagte, man habe nichts gewusst oder nichts tun können. Wir wissen heute, dass keiner dieser Sätze gestimmt hat.“
Wie wäre es mal mit einem Comic über die Rheinwiesen ?