Halle will mehr Pflegeeltern gewinnen, um Heimkosten zu sparen – Jugendhilfeausschuss stimmt Konzept zu
Die Stadt Halle (Saale) will in den kommenden Jahren erheblich mehr Pflegefamilien für Kinder gewinnen, die nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen können. Der Jugendhilfeausschuss hat am Donnerstag – bei zwei Enthaltungen – einem umfassenden Konzept der Stadtverwaltung zugestimmt, das sowohl den Ausbau der Pflegeplätze als auch ein völlig neues Anstellungsmodell für Pflegeeltern vorsieht. Die Verwaltung begründet den Vorstoß mit der hohen Zahl von Kindern und Jugendlichen, die in Halle in stationären Einrichtungen untergebracht sind, sowie mit den enormen Kosten pro Heimplatz.
Aktuell leben nach Angaben der Stadt rund 900 Kinder und Jugendliche außerhalb ihrer Herkunftsfamilien. Etwa 800 von ihnen sind in Heimen untergebracht. Die Unterbringung ist teuer: Ein Heimplatz für Kinder unter sechs Jahren kostet rund 6.000 Euro pro Monat, die kurzfristige Unterbringung in Inobhutnahmestellen sogar mindestens 9.000 Euro. Im vergangenen Jahr wurden 109 Kinder in solche Notaufnahmeeinrichtungen gebracht. Dem gegenüber stehen die Ausgaben für Pflegefamilien: 1.178 Euro pro Monat kostet ein Platz für ein Kind unter sechs Jahren. Die Stadt sieht hier großes Entlastungspotenzial – nicht nur finanziell, sondern auch pädagogisch. Ein Vertreter der Stadt betonte im Ausschuss, man wolle alles dafür tun, dass kleine Kinder möglichst nicht im Heim, sondern in Pflegefamilien untergebracht werden.
Mehr Pflegefamilien benötigt – bestehende Kapazitäten reichen nicht aus
In Halle gibt es bisher 127 Pflegefamilien, in denen 156 Kinder leben. Davon sind 55 Familien Verwandtenpflegefamilien, also Haushalte von Großeltern, Tanten, Onkeln oder Geschwistern. Weitere 72 Familien betreuen Kinder ohne Verwandtschaftsbezug. Außerdem stehen 12 Eltern für die sogenannte Bereitschaftspflege zur Verfügung, die Kinder in akuten Krisensituationen kurzfristig aufnehmen.
Die Stadtverwaltung hält diese Zahlen angesichts der steigenden Bedarfe für deutlich zu niedrig. Innerhalb der nächsten drei Jahre will Halle die Zahl der Bereitschaftspflegefamilien von 12 auf 50 erhöhen und die Dauerpflegefamilien ohne Verwandtschaftsverhältnis von 72 auf 144 verdoppeln. Zugleich verfolgt die Stadt nach wie vor das Ziel, Kinder unter drei Jahren nicht mehr in einem Heim unterbringen zu müssen. Um Pflegeeltern zu gewinnen und zu halten, reicht nach Einschätzung der Verwaltung die gesetzliche Vergütung nicht aus. Deshalb will Halle einen neuen Weg gehen: Pflegeeltern sollen künftig angestellt werden können – zusätzlich zur bestehenden Pflegegeldverordnung. Ein solches Modell gibt es in Deutschland bislang nicht, allerdings existieren vergleichbare Ansätze in Österreich, insbesondere in Wien. Dort umfasst das Anstellungsmodell neben der Kinderbetreuung auch zusätzliche Aufgaben wie Dokumentation, verbindliche Weiterbildung, Fallberatung oder die Organisation des Kontakts zur Herkunftsfamilie. Die Stadt argumentiert, dass ein höherer Aufwand auf den ersten Blick teurer wirken mag, unterm Strich aber Kosten spart, da jede zusätzliche Pflegefamilie potenziell einen Heimplatz ersetzt.
Unterschiedliche Anforderungen: Dauerpflege und Bereitschaftspflege
Ein großer Teil der Kinder in Dauerpflege kommt aus belastenden familiären Situationen, in denen eine Rückkehr nicht möglich oder nicht sinnvoll ist. Dauerpflegeeltern sollen dem Kind langfristig Stabilität, Verlässlichkeit und eine familienähnliche Lebensform bieten. Viele dieser Pflegeeltern haben einen eigenen Kinderwunsch und entscheiden sich bewusst für die Aufnahme eines Kindes über längere Zeit. Das geplante Anstellungsmodell soll freiwillig bleiben, da viele Dauerpflegeeltern nach einiger Zeit wieder in ihren Beruf zurückkehren möchten. Für Familien mit besonders betreuungsintensiven Kindern – etwa mit vielen Therapie- oder Arztterminen – kann das Modell jedoch eine wichtige Entlastung darstellen.
Deutlicher noch könnten Bereitschaftspflegeeltern profitieren. Sie nehmen Kinder in akuten Krisen kurzfristig auf – oft innerhalb weniger Stunden. Diese Aufgabe verlangt hohe emotionale Stabilität, Erfahrung und enge Zusammenarbeit mit Jugendamt und weiteren Institutionen. Bislang erhalten Bereitschaftspflegeeltern jedoch nur dann Geld, wenn tatsächlich ein Kind bei ihnen lebt, müssen aber dauerhaft Kosten tragen und können aufgrund der Betreuung meist keiner regulären Arbeit nachgehen. Kranken- und Rentenversicherung müssen sie bislang privat organisieren.
Geplante Vergütung – deutlich günstiger als Heimplätze
Um Pflegeeltern zu motivieren, plant die Stadt Halle folgende monatliche Zahlungen: 600 Euro für Dauerpflegeeltern, 1.290 Euro für Bereitschaftspflegeeltern. Auch mit diesen zusätzlichen Leistungen lägen die monatlichen Ausgaben pro Kind weit unter den Kosten eines Heimplatzes. Die Verwaltung erwartet daher langfristig niedrigere Gesamtkosten für die Jugendhilfe.
Aus Sicht von Tobias Heinicke, Geschäftsführer des DRK-Kreisverbandes und Betreiber eines Kinderheims, lässt sich ein Heim nicht direkt mit einer Pflegefamilie vergleichen. Er wies darauf hin, dass in Heimen Fachkräfte tätig seien und viele komplexe Aufgaben übernommen würden – ein deutlicher Hinweis darauf, dass beide Angebotsformen jeweils ihre Berechtigung und ihren eigenen fachlichen Anspruch haben.










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