„Krise und Aufbruch“: Jahresthema in den Frankschen Stiftungen
Die Franckeschen Stiftungen wählen seit über 15 Jahren ein Thema der Gegenwart für ihr kulturelles und wissenschaftliches Jahresprogramm. »Komm mit – wohin? Ein Jahresprogramm über Krise und Aufbruch« ist aus dem Wissen entstanden, dass die Franckeschen Stiftungen selbst als ein Aufbruch aus den gesellschaftlichen Krisenerscheinungen des 17. Jahrhunderts angesehen werden können. Das korrespondiert mit dem Gefühl der Krisenhaftigkeit, das unsere heutige Gesellschaft erfasst hat und das sich nicht einfach erklären lässt. Das Jahresthema setzt voraus, dass es eine Zukunft gibt, die wir aktiv mitgestalten können. Insofern liegt die Betonung im Untertitel des Jahresprogramms »Krise und Aufbruch« nicht auf der Krise, sondern auf dem Aufbruch.
Der Zukunftsforscher Harald Welzer ist Ehrengast der diesjährigen Francke-Feier und wird mit einer Festrede das Jahresprogramm eröffnen. Er stellt die Frage, ob es möglich ist, eine Form des Wirtschaftens und Lebens zu entwickeln, die nicht auf Wachstum, sondern auf Gerechtigkeit und Lebensqualität setzt. Mit hochrangigen Gästen wie dem Politikwissenschaftler Everhard Holtmann (8.5.), der die Politikverdrossenheit der Bürger und damit die Krise der Demokratie diskutieren wird, oder der Autorin und Journalistin Jana Simon (21.5.), die ihr neues Buch »Unter Druck. Wie Deutschland sich verändert« vorstellt, wird das Thema des Jahresprogramms aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Höhepunkt der diesjährigen Veranstaltungen ist das Historische Lindenblütenfest, welches »kultur global« und damit die Verflechtungen der Kulturen auf der Erde fokussiert. Das beliebte Fest für die ganze Familie lädt am 22./23. Juni auf dem gesamten historischen Gelände der Franckeschen Stiftungen zum Mitmachen ein. Mit großem Erfolg ist im Februar 2019 das Projekt »Weltreise durch Wohnzimmer« gestartet. Binnen weniger Tage waren die ersten Veranstaltungen ausgebucht. Menschen, die nicht in Deutschland geboren sind, öffnen als »Reiseleiter« ihre Wohnzimmer und erzählen einer kleinen Reisegruppe von sich, ihrer Familie und ihrem Herkunftsland. Damit ist die »Weltreise« ein kleiner, aber höchst wirkungsvoller Beitrag für eine sich annähernde Gesellschaft. Die Ausstellung »hotel global« (bis 11.8.) im Historischen Waisenhaus lädt Kinder und Familien zu einem partizipativen Globalisierungsabenteuer ein. Was bedeuten Klimawandel, Rohstoff-, Ernährungs- und Finanzkrise, die Gegensätze von Arm und Reich für Kinder und Jugendliche heute und für ihre Zukunft? Zur Museumsnacht (11.5.) wird im Waisenhaus auf einem Luxusdampfer inmitten eines Meeres aus Müll eine Weltuntergangsparty gefeiert. Kunstaktion und Wirklichkeit sind hier dicht miteinander verwoben.
Die Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen wird am 22. September 2019 eröffnet. Zum 100. Jubiläum des Bauhauses fokussiert sie das Jungsein in den Schulen der Franckeschen Stiftungen in den Jahren 1890–1933. Sie wird sich dem Leben der Schülerinnen und Schüler, den Fragen der Ausbildung und Bildungswege, den Schulabschlüssen sowie beruflichen Perspektiven, aber auch dem Scheitern in den Schulen widmen. Damit wagt sich die Ausstellung auf ein noch weitgehend unbekanntes Terrain der Stiftungsgeschichte vor und schöpft aus bisher noch nie gezeigten Quellen aus dem Stiftungsarchiv – darunter zahlreiche Fotografien, Selbstzeugnisse und Objekte des Alltags. Im Begleitprogramm wird eine Kabinettausstellung die Schulbauten auf dem Gelände der Franckeschen Stiftungen im 19./20. Jahrhundert vorstellen. Im Herbst 2019 werden die Franckeschen Stiftungen ein Open-Space-Projekt mit Jugendlichen durchführen, das die Mitbestimmung in den Mittelpunkt stellt und dabei die Frage nach Räumen für die jungen Menschen fokussiert. Orientierung für das Vorhaben bietet das Projekt Creative Bureaucracy (Berlin). Die Veranstaltung in Halle wird in Kooperation u. a. mit dem Kinder- und Jugendbeauftragten der Stadt Halle und der Landeszentrale für politische Bildung konzipiert.
Die historisch-kritischen Editionen sind ein Markenzeichen des Verlags der Franckeschen Stiftungen. 2019 wird eine umfangreiche Edition zur Geschichte der hallischen Pastoren in Pennsylvania (1743–1825) vorbereitet, bis 2021 sind 8 Bände geplant. Im Mai erscheint der »Bibliographische Nachweis der Drucke des Waisenhausverlags zu Halle (1698–1806) in Sulechów (Züllichau) und Cieszyn (Teschen)« im Rahmen des polnisch-deutschen Kooperationsprojektes »Halle und Züllichau als Pietismus- und Bildungszentren«. Das dreijährige Forschungsprojekt wird vom Polnischen Ministerium für Wissenschaft und Hochschulwesen gefördert und mit einer Konferenz (12.–14.5.) anlässlich des 300. Bestehens der Züllichauer Anstalten in Sulechów abgeschlossen. Erstmals wird 2019 die Studientagung der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie (29.7.–2.8.) in den Franckeschen Stiftungen stattfinden. Das Thema »Geistliches Singen in Kindheit, Jugend und Erziehung« passt zum Tagungsort, an dem das pietistische Liedgut gepflegt und im Gesangbuch von Johann Anastasius Freylinghausen (1670–1739) gesammelt wurde. Die Reihe »Internationale Begegnungen« in den Franckeschen Stiftungen wird das Baltikum in den Blick nehmen. Die Tagung will die Ostsee und ihre Anrainerstaaten als einen pietistischen Handlungsraum mit seinen historischen Möglichkeiten, Grenzen und Konkurrenzen analysieren und den Impact pietistischer Frömmigkeitspraxis, der Sozial- und Bildungsarbeit und auch der entsprechenden Propaganda (etwa gegen die Herrnhuter) reflektieren und beschreiben.
International sind die Franckeschen Stiftungen auch in Indien im Rahmen des »Museum für den interkulturellen Dialog« aktiv. Über 6.000 Gäste besuchten im ersten Jahr die Ausstellung. Einzigartig in Deutschland ist die seit den 1990er Jahren kontinuierlich bestehende Zusammenarbeit mit russischen Partnern. 2019 wird insbesondere die Kooperation mit dem Museum für Anthropologie und Ethnographie Peter der Große – Kunstkamera der Russischen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg ausgebaut. Ziel ist es, gemeinsam die Kulturgeschichte des Sammelns und die Geschichte des Wissens am Beispiel der Wunderkammern zu erforschen.
Drei große Jubiläen werden das Jahr 2019 begleiten: Zum 250. Mal jährt sich der Todestag Gotthilf August Franckes (1696–1769), der nach seinem Vater das Amt des Direktors der Franckeschen Stiftungen übernahm. Eine Tagung im Juni wird seiner Person gewidmet sein. Am 10. Juli jährt sich zum 300. Mal der Geburtstag des ersten Missionars der Dänisch-Halleschen Mission und ersten deutschen Drawidologen Bartholomäus Ziegenbalg (1682–1719). Zum 300. Mal jährt sich auch der Todestag des Freiherrs Carl Hildebrand von Canstein (1667–1719), der 1710 am Halleschen Waisenhaus die erste Bibelanstalt der Welt gegründet hatte. Damit setzte er die reformatorische Forderung in die Tat um, jedermann eine Bibel in die Hand zu geben.
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