Uniklinik Halle schlägt Corona-Alarm: Beschäftigte kritisieren Durchökonomisierung

Mehrere Mitarbeiter der Krankenhäuser Mitteldeutschlands, darunter auch das Universitätsklinikum in Halle (Saale) schlagen Alarm. Das Netzwerkes aktiver Krankenhausbeschäftigter aus verschiedensten Kliniken in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen hat einen offenen Brief an die Politik geschrieben. Darin wird ein Durchökonomisierung des Gesundheitsbereichs kritisiert, die sich spätestens in der aktuellen Krise als ungeeignet darstelle. Man fordere eine Umsetzung von Sofortmaßnahmen zum Schutze der Gesundheit von Patienten und Beschäftigten und eine Rekommunalisierung des Gesundheitssystems von und für die Gesellschaft.
Brief in voller Länge
Sehr geehrter Bundesgesundheitsminister Jens Spahn,
Sehr geehrte Landesministerin Petra Köpping (Sachsen),
Sehr geehrte Landesministerin Petra Grimm-Benne (Sachsen-Anhalt),
Sehr geehrte Landesministerin Heike Werner (Thüringen),
Die Covid-19-Pandemie ist für uns alle eine noch nie dagewesene Situation. Diese Pandemie trifft auf ein kaputtgespartes deutsches Gesundheitssystem. Mit Einführung der DRGs in Deutschland gab es einen grundlegenden Kurswechsel. Nicht mehr die Bedürfnisse der Patient*innen stehen im Mittelpunkt, sondern die betriebswirtschaftlichen Aspekte jeder einzelnen Erkrankung. Aufgrund des politisch gewollten Wettbewerbs zwischen den Krankenhäusern wurde über Jahrzehnte an Personal und Material gespart. Zentrale Teile des Klinikbetriebs wurden outgesourct, von der Wäscherei über die Küche bis zur Reinigung. Die Durchökonomisierung des Gesundheitsbereichs wie etwa die Einführung von just-in-time-Belieferung zeigt sich spätestens in der aktuellen Krise als ungeeignet.
Zudem werden mehr und mehr Kliniken privatisiert, was zu einer zunehmenden Profitorientierung und dem Verlust von Eingriffsmöglichkeiten durch die Öffentlichkeit führt.
Durch Entscheidungen der letzten Jahrzehnte wurden Krankenhäuser zu Fabriken umgebaut. Während landesweit der Fachkräftemangel beklagt wird, kehren viele Kolleg*innen dem Beruf aufgrund der enormen Belastung und sich verschlechternden Arbeitsbedingungen den Rücken oder werden langfristig psychisch und physisch krank. Die Fallzahlen steigen, doch das benötigte Personal fehlt. Seit Jahren appellieren die Beschäftigten im Gesundheitswesen an die Politik, endlich zu handeln, um die unhaltbaren Zustände in deutschen Krankenhäusern zu beenden. Krankenhäuser gehören unter öffentliche Kontrolle, denn Gesundheit ist keine Ware, sondern Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Wir, Beschäftigte aus Krankenhäusern in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, sind täglich rund um die Uhr und an 365 Tagen im Jahr mit Fachwissen, Leidenschaft und Engagement für unsere Patient*innen und deren Angehörige im Einsatz. Wir bieten den Menschen Hilfe in akuten Notlagen und die bestmögliche medizinische und pflegerische Versorgung. Jedoch haben wir auch Forderungen an die politischen Entscheidungsträger.
Wir erwarten in dieser zugespitzten Situation die Umsetzung von Sofortmaßnahmen zum Schutze der Gesundheit von Patient*innen und Beschäftigten:
- Bereitstellung von ausreichendem Schutzmaterial für alle Beschäftigten im Gesundheitswesen – notfalls durch staatliche Verordnung an entsprechende Unternehmen
- Quarantäne muss auch für infizierte Krankenhausbeschäftigte gelten – krank ist krank.
- Staatlich voll refinanzierte Zahlung einer steuerfreien Belastungs-Zulage von 500,00 € im Monat für alle Beschäftigten im Gesundheitswesen inklusive ausgegliederter Tochtergesellschaften sowie in weiteren versorgungsrelevanten Bereichen (Einzelhandel etc.)
- Hundertprozentige Vergütung von Arbeits- bzw. Gehaltsausfällen (z.B. wegen Quarantäne oder Kinderbetreuung)
- Rücknahme des gelockerten Arbeitszeitgesetzes mit einer Ausweitung des Arbeitstages auf 12 Stunden und eine Verkürzung der Mindestruhe auf 9 Stunden
Über diese kurzfristigen Maßnahmen hinaus erwarten wir eine politische Weichenstellung für die Zukunft, welche grundlegende Probleme des deutschen Gesundheitssystems angeht:
- Abschaffung der Fallpauschalen und kostendeckende Finanzierung der Krankenhäuser
- Einführung gesetzlich verbindlicher, bedarfsgerechter Personalschlüssel und entsprechender Konsequenzen bei Unterschreitung
- Rekommunalisierung des Gesundheitssystems von und für die Gesellschaft
- Insourcing von Reinigung, Küchen und anderen ausgegliederten Servicegesellschaften, denn auch diese Mitarbeiter*innen sind unersetzliche Teile des Teams
- Deutliche Anhebung der Löhne und attraktivere Arbeitsbedingungen in Gesundheitsberufen. Nur so können wir genug qualifiziertes Personal für die Gesundheitsversorgung gewinnen und halten.
Hierzu möchten wir mit Ihnen zu gegebener Zeit in einen konstruktiven Dialog treten.
Wir sind das Netzwerk aktiver Krankenhausbeschäftigter in SAT und arbeiten in verschiedensten Kliniken in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Wir erwarten eine zeitnahe Stellungnahme zu den hier formulierten Forderungen und deren konsequente Umsetzung.
Ihren Kommentar kann ich nur unterstützen.Ich bin zwar in Rente, habe aber mein ganzes Leben im Gesundheitswesen gearbeitet. Ich musste miterleben, wie nach der Wende alles zerschlagen wurde, was da einmal gut und richtig war.Vor allem die Privatisierung der Krankenhäuser schlägt da sehr negativ zu Buche, wie auch alle anderen einst öffentlichen Bereiche wie Bahn, Post, Dienstleistungen usw. In diesen Bereichen gibt es nun Geschäftsführer, die sich selber die besten Gehälter bezahlen und die Mitarbeiter ausbeuten. Eben Kapitalismus von der schlimmsten Sorte.Wenn ich geahnt hätte, was uns nach der DDR erwartet, hätte ich lieber auf Bananen und Reisefreiheit verzichtet. Ausserdem kann ich mir Reisen sowieso nicht leisten. Die Renten werden besteuert und eine Erhöhung wird vom Finanzamt sofort kassiert. Das ist für mich auch Ausplünderung des Rentensystems hintenrum. Leute, wacht endlich auf, es muss sich in Deutschland gewaltig was ändern !
Also! Summen zu nennen ist das Eine, wo diese dann aber „landen, ist das Andere und da wird es interessant! Aber genau das fehlt bei Ihrer Darlegung. Sie haben zwar Recht, das die Ausgaben erheblich gestiegen sind, aber genauso wahr ist auch, dass beim Pflegepersonal beträchtlich eingespart wurde. Zahlen, die Sie un d andere einmal aufrütteln sollten, in Deutschland betreut 1 Pflegekraft im Schnitt 13 Patienten! In Norwegen sind es gerade einmal 4! Hier mal ein Auszug aus einem Faktencheck der Bertelsmann Stiftung (die Daten stammen von der Hans Böckler Stiftung):
„Krankenpfleger in Deutschland müssen viel mehr Patienten betreuen als in anderen Ländern. Laut einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung sind der Personalmangel und damit die hohe Arbeitsbelastung hierzulande besonders groß.
So müssten Krankenpfleger in Deutschland im Schnitt 13 Patienten betreuen. In der Schweiz kommen dagegen nur rund acht Patienten auf eine Pflegekraft, in den Niederlanden 6,9 und in den USA sogar nur 5,3, wie die Statista-Grafik zeigt.
Je mehr Patienten gleichzeitig betreut werden müssen, desto größer ist die Arbeitsbelastung und desto schlechter fällt auch die Qualität der Pflege aus. Als Grund für den Personalmangel nennt die Hans-Böckler-Stiftung die langjährige Unterfinanzierung in den sozialen Dienstleistungsberufen.
Laut OECD, und das wird schon seit 2010 signalisiert, ist die Pflegeversorgung überhaupt nicht ausreichend und schneiden schlecht ab! Auch hier gibt es Statistiken, die das eindeutig belegen!
Meine Aufforderung an Sie, Seien sie bitte mit solchen pauschalen Aussagen, die eine tiefergründige Betrachtungsweise vermissen lassen, vorsichtig. Sie treten damit gerade denen noch zusätzlich ins Kreuz, die schon alles aushalten müssen.