Unterrichtsversorgung in Sachsen-Anhalt sinkt weiter
Von großen Maßnahmen gegen den Lehrermangel ist in der Politik immer die Rede. Doch wer Kinder hat, der kennt die Realität. In Halle gab es Schulen, die hatten zwei Wochen nach Schuljahresbeginn noch immer keinen Stundenplan.
Aktuelle Zahlen des Landes bestätigen es. Der Gesamtbedarf von 304.196 Lehrerwochenstunden kann nicht abgedeckt werden, nur 302.245 können mit Blick auf die zur Verfügung stehenden Lehrer erteilt werden. Das Defizit von 1.951 Lehrerwochenstunden entspricht 77 Lehrkräften, so das Bildungsministerium. Da sind aber dauerkranke Lehrer noch gar nicht mit eingerechnet. Immerhin hat das Land 200 Stellen neu ausgeschrieben. Doch eine Ausschreibung bedeutet nicht eine Besetzung.
Auf Basis der gemessenen Schülerzahlen betrug die Unterrichtsversorgung zum Schuljahresbeginn 99,4%. Sie liegt damit leicht unter dem Wert des Vorjahres von 101% und auf dem niedrigsten Wert seit der Wende. Innerhalb des Schuljahres kommt es immer wieder zu Schwankungen in der Unterrichtsversorgung, verteidigt sich das Bildungsministerium. Auch zusätzliche Neueinstellungen seien nicht berücksichtigt.
Die Schülerzahlen steigen dagegen weiter an, der Trend der vergangenen Jahre setzt sich fort. Seit dem Schuljahr 2015/2016 ist die Anzahl der Schülerinnen und Schüler um insgesamt 5.472 angestiegen. Seit dem Schuljahr 2010/2011 stieg die Zahl insgesamt sogar um 13.429 an.
„Trotz intensiver Bemühungen und der größten Einstellungswelle, die es an Sachsen-Anhalts Schulen bisher gegeben hat, sind die Zahlen ernüchternd. Viele Maßnahmen und Einstellungen werden durch gestiegene Schülerzahlen und eine stetig steigende Zahl von Lehrkräften, die nicht vor der Klasse stehen, nivelliert. Mit der aktuellen Ausschreibung von 200 Stellen, befinden wir uns an der Grenze der Möglichkeiten des Haushalts. Zum kommenden Haushalt wird die Zahl der Lehrkräfte erneut steigen. Es ist geplant, dass ursprünglich für 2021 vorgesehene Ziel von 14.500 Vollzeitlehrerstellen (VZÄ – Vollzeitäquivalenten) bereits zu Beginn des Jahres 2019 zu erreichen. Wenn sich allerdings gewisse Entwicklungen fortsetzen, wird auch dies letztlich nicht genügen“, erklärte Tullner.
Insgesamt verfügt Sachsen-Anhalt über ein theoretisches Arbeitsvolumen von 114%. Aufgrund verschiedener Faktoren wird dieses Arbeitsvolumen reduziert. Aufgrund von Langzeiterkrankungen, Elternzeiten und Mutterschutz sowie Anrechnungen wird dieses Arbeitsvermögen reduziert. Weiterhin wird das Arbeitsvermögen u. a. gemindert durch Altersermäßigungen, Schwerbehindertenermäßigungen, Vorrübergehend geminderte Dienstfähigkeit, Anrechnungen für Schulleitungsaufgaben, Anrechnungen für besondere Belastungen und die Anrechnungen für Unterricht in der Qualifikationsphase. Allein die Zahl der Personen, die sich im Mutterschutz bzw. in Elternzeit befinden, hat sich in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt. Im Schuljahr 2013/2014 waren 161 Personen in Elternzeit oder Mutterschutz. Im vergangenen Schuljahr waren es 372. Die Tendenz ist weiter steigend. „Wir werden in den kommenden Wochen mit allen Beteiligten intensive Gespräche führen und weitere Instrumente entwickeln müssen. Das Ziel ist dabei klar, wir müssen die Zahl der Lehrer, die letztlich vor der Klasse stehen, erhöhen“, so Tullner abschließend.
Eva Gerth, Vorsitzende der GEW Sachsen-Anhalt, sagte dazu: „Die steigenden Schülerzahlen sind nicht vom Himmel gefallen, aber selbst ohne diesen zusätzlichen Bedarf läge die Unterrichtsversorgung unter 100 Prozent. Diese skandalöse Entwicklung kann der Bildungsminister bisher allenfalls etwas bremsen, eine Umkehr ist aber nach wie vor nicht in Sicht.“ Überträgt man die Ausfallquoten der letzten Jahre auf die jetzige schlechte Grundversorgung, werden in diesem Schuljahr wahrscheinlich fünf Prozent des Unterrichts ersatzlos ausfallen. Im Laufe einer zehnjährigen Schulkarriere entspricht dies genau einem halben Schuljahr. „Dies lässt die Bemühungen für mehr Schulerfolg und für weniger Schulabgänger ohne Abschluss vielfach ins Leere laufen. Alle Ankündigungen, in diesem Zusammenhang über neuerliche bedarfsmindernde Maßnahmen nachzudenken, werden das Problem nicht lösen, sondern weiter verschärfen“, ergänzte Gerth und kündigte den entschiedenen Widerstand der GEW gegen solche Pläne an. Stattdessen wäre eine Senkung der gegenwärtigen Belastungen angezeigt, mit der auch der hohen Zahl der Langzeiterkrankten entgegengewirkt werden könnte. Die GEW sieht bei der Gewinnung neuer Lehrkräfte weiterhin Potential und ist gern bereit, ihre Expertise in Gesprächen mit dem Land einzubringen.
Mit dieser Katastrophe soll Integration gelingen?