„Entartete Kunst“: Moritzburg zeigt „geraubte“ Sammlung wieder
Die Nationalsozialisten haben in den Sammlungen der Moritzburg in Halle große Schäden angerichtet. 1937 haben sie mit ihrer Aktion „Entartete Kunst“ die Sammlung der Moderne beschlagnahmt. 147 Kunstwerke sind auf diese Weise verloren gegangen, 15 konnten bis heute wieder zurückerworben werden. Für dreieinhalb Monate 40 der verlorenen Arbeiten als Leihgaben aus öffentlichen und privaten internationalen Sammlungen aus den USA, Japan und zahlreichen Ländern Europas wieder zurück und lassen zusammen mit den 1937 nicht beschlagnahmten Werken die Sammlung von einst wieder erstehen. Insgesamt vereint die Sammlungsrekonstruktion knapp 300 Werke der bildenden und angewandten Kunst.
Zu sehen sind in der großen Sonderausstellung Bauhaus Meister Moderne. DAS COMEBACK hochkarätige Meisterwerke aus internationalen Sammlungen mit bislang selten beziehungsweise noch gar nicht gezeigten Werken aus den Museumsbeständen, unter anderem von Feininger, Heckel, Kandinsky, Kirchner, Klee, Kokoschka, Lissitzky, Marc, Nolde, Rohlfs.
Komplettiert wird das außergewöhnliche Comeback der historischen Moderne-Sammlung des Landeskunstmuseums Sachsen-Anhalts durch den digitalen Teil der Ausstellung. 1927 hatte Walter Gropius am Architekturwettbewerb der Stadt Halle (Saale) für eine moderne Stadtkrone teilgenommen. Aufgabe war es, auf einem 11 Hektar großen Gelände hoch über der Saale einen Gebäudekomplex zu entwerfen, bestehend aus einer multifunktionalen Konzert- und Kongresshalle, einem modernen Sportforum und einem neuen Kunstmuseum für die Sammlungen des Kunstmuseums in der Moritzburg. Gropius‘ Entwurf wurde nicht gewürdigt. Er war zu visionär. Die Stadtkrone wurde nie realisiert.
Dank einer Kooperation mit dem Studiengang Multimedia | VR-Design der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle ist mittels Virtual Reality das Stadtkronen-Gelände sowie vor allem das von Walter Gropius entworfene Kunstmuseum erstmals begehbar. Im Inneren dieses beispielhaften Museumsprojektes der Moderne – es wäre 30 Jahre vor der Errichtung von Frank Lloyd Wrights New Yorker Guggenheim Museum der Museumsbau der Moderne geworden –, ist die Sammlung der Moderne des halleschen Museums in 5 Ausstellungshallen in kuratierter Form zu erleben, darunter zahlreiche Werke, die heute nicht mehr reisen dürfen bzw. zerstört oder in ihrem Verbleib unbekannt sind. Zu sehen sind: die vollständige Halle-Serie Lyonel Feiningers, die vollständige Sammlung Ludwig und Rosy Fischer, die Highlights der Sammlung, sämtliche 1937 als „entartet“ beschlagnahmte Werke, mehr als 80 3-D-Objekte (Plastiken, Skulpturen, Kunsthandwerk). Hierfür wurden mehr als 400 Kunstwerke gescannt, fotografiert und in 3-D modelliert sowie in die neuen virtuellen Ausstellungsräume integriert. Das virtuelle Gropius-Museum setzt den Ausstellungsrundgang auf der Empore im Westflügel mit dem sogenannten Fenster zur Stadt fort, durch das man auf jene Hauptwerke der Architekturgeschichte der Stadt Halle (Saale) blickt, die die Motive des Gemälde-Zyklusses von Lyonel Feininger bilden.
Ergänzt wird die Ausstellung in der großen Box im 2. Obergeschoss des Westflügels der Moritzburg durch eine Präsentation von Meisterwerken der fünf Bauhaus-Meister Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Georg Muche und Oskar Schlemmer. Bis auf Muche waren und sind alle Künstler mit repräsentativen Werken in der Sammlung des Museums vertreten. Mit selten und zum Teil erstmals zu sehenden Meisterwerken aus internationalen Sammlungen wird ihr Schaffen während der 14 Jahre des Bestehens des Bauhauses in Weimar, Dessau und Berlin in einer eindrucksvollen Inszenierung erlebbar. Die interaktive Ausstellung „rot, gelb, blau. Das Bauhaus für Kinder“ im Kabinett der sogenannten Westbox richtet sich an Kinder von 6 bis 12 Jahren und steht unter dem Motto: Das Bauhaus war eine Schule! Meister des Bauhauses standen Pate für die verschiedensten Exponate. So können die jungen Museumsgäste Bilder von Lyonel Feininger nachempfinden und auch Formen selber zusammenstellen, Licht, Farbe und Schatten erleben in einer Station von László Moholy- Nagy, groß zeichnen wie Johannes Itten, sich verkleiden und tanzen wie die Figuren von Oskar Schlemmer, weben wie Gunta Stölzl, Metallstäbe biegen wie Marcel Breuer und Mart Stam und der Form eines Stahlrohrstuhles mit einem „elektrischen Draht“ nachspüren. Im Büro von Walter Gropius werden Meisterhäuser im Maßstab gebaut, auch können typische Materialien, die am Bauhaus verwendet wurden, erspürt und in der Druckerei eine Schablonenschrift à la Joost Schmidt kreativ angewandt werden. An einer Hörstation gibt es Geschichten über die Akteure am Bauhaus zu erfahren. Die Exponate und die Ausstellung wurden konzipiert, gestaltet und umgesetzt von 14 Studierenden des Studiengangs Spiel- und Lerndesign der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle unter der Leitung von Stefanie Kretschmer und Prof. Karin Schmidt-Ruhland.
Die zweite Präsentation der Ausstellungsreihe zu den Stiftern & Schenkern des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) korrespondiert mit dem Hauptausstellungsprojekt „Bauhaus Meister Moderne. DAS COMEBACK“. In der Kabinettausstellung im 2. Obergeschoss des Nordflügels rücken Objekte und ihre Schenker in den Vordergrund, die zum Zeitpunkt der jeweiligen Schenkung zwar nicht der damaligen Avantgarde angehörten, dafür aber den Ausbau der jeweiligen Sammlung vor allem in Hinblick auf Entwicklungstendenzen oder aber mit besonderen Einzelstücken bereicherten. Es geht um die Einbindung der Moderne in die Traditionslinien der Kunstgeschichte.
In der Gemäldesammlung und in der Sammlung Grafik sind dies vor allem Werke deutscher Künstler des 19. Jahrhunderts bis zum Impressionismus – hier auch die regional bedeutenden Maler Adam Weise und Carl Adolf Senff. Für die Sammlung Plastik sind nur wenige Schenkungen verzeichnet, dafür aber mit ausgesprochen starken und eigenständigen Künstlerpersönlichkeiten, wie Hermann Haller und Georg Minne. Im Bereich des Kunsthandwerkes gelangten insbesondere seltene Objekte aus Glas und herausragende Beispiele der Porzellankultur in die Sammlung. Aus dem Landesmünzkabinett wird die Schenkung von Theodor Heynemann vorgestellt.
Auf diese Weise zeigt die Ausstellung erneut das Potenzial und die Vielfalt bürgerlichen Engagements in einer städtischen Umgebung, das von den jeweiligen Direktoren geschickt und auf ganz unterschiedliche Weise zum planvollen Ausbau der Museumssammlungen genutzt wurde. Die mehrteilige Ausstellungsreihe „Stifter & Schenker“ wird vom Verein der Freunde und Förderer des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) e. V. initiiert.
Stimmen zum Projekt Prof. Monika Grütters Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien
„Das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) bildet im Rahmen der Feierlichkeiten eine Besonderheit: Es macht seine Sammlung moderner Kunst, die bis 1933 zu den bedeutendsten in Deutschland gehörte, erstmalig nach 80 Jahren mit einer aufwendigen Inszenierung und durch Anwendung neuer Technologien wieder erleb- und erfahrbar. Ich freue mich sehr, dass wir mit Mitteln des Bundes zur Umsetzung dieses bemerkenswerten Projekts beitragen konnten. In einem virtuellen Kunstmuseum, das Walter Gropius für ein neues Stadtareal entworfen hat und dessen Realisierung nach 1933 nicht mehr möglich war, können die Besucher nun eine herausragende Sammlung der Moderne besichtigen und sich einen Eindruck von den bahnbrechenden Ideen der Bauhäusler samt der von Gropius für die Stadt Halle (Saale) konzipierten Stadtkrone verschaffen.“
Dr. Reiner Haseloff Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt
„2019 ist für Sachsen-Anhalt ein besonderes Jahr. Das Bauhaus, das seine international bedeutendste Phase zwischen 1925 und 1932 in Dessau erlebte, wird 100. Aus diesem Anlass haben wir vor wenigen Tagen das Bauhaus Museum in Dessau eröffnet und ab 29. September ist im Kunstmuseum unseres Landes die große Sonderausstellung zum Jubiläumsjahr zu sehen. Das Großprojekt ‚Bauhaus Meister Moderne. Das Comeback‘ ist die zentrale Sonderausstellung Sachsen-Anhalts und thematisiert verschiedene Aspekte der Moderne: die einzigartige Sammlung des Museums, wie sie bis 1937 existierte, das visionäre Kunstmuseum, das der Bauhaus-Direktor Walter Gropius 1927 für Halle entwarf, und die Werke der berühmten Bauhaus-Meister aus der Zeit des Bestehens des Bauhauses. Diese Ausstellung ist ein kulturelles und touristisches Aushängeschild für unser Land und wird viele Besucher aus ganz Deutschland anziehen. Ich freue mich über diesen wertvollen Beitrag des Kunstmuseums der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt zum national gefeierten Bauhaus-Jubiläum.“
Dr. Michael Ermrich Vorstandsvorsitzender der Ostdeutschen Sparkassenstiftung und Geschäftsführender Präsident des Ostdeutschen Sparkassenverbandes
„Das Comeback zahlreicher Werke, die bis 1937 zur Sammlung des Museums gehörten und durch die verheerende Aktion ‚Entartete Kunst‘ verloren gingen, und ihre Wiedervereinigung mit jenen Werken, die aus dieser einst so renommierten Sammlung bis heute im Museum sind bzw. in den vergangenen Jahren zurückerworben werden konnten, ist für die Identität des Museums und damit für das Land Sachsen-Anhalt und Mitteldeutschland von großer Bedeutung. So wird deutlich, wie zukunftsorientiert und fortschrittlich die Museumsdirektoren und Stadtoberhäupter in einigen mitteldeutschen Städten bis 1933 waren. Darauf aufmerksam zu machen, ist heute noch wichtiger als in der Vergangenheit. Es freut uns in diesem Zusammenhang sehr, dass dabei auch Werke eine Rolle spielen, an deren Rückerwerb die Ostdeutsche Sparkassenstiftung gemeinsam mit der Saalesparkasse und ihrer Stiftung wiederholt beteiligt sein konnte.“
Thomas Bauer-Friedrich Direktor des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale)
„Die Kombination aus analogen und digitalen Elementen, die wir in unserer Sonderausstellung präsentieren, macht das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) in seiner Vergangenheit und Gegenwart anschaulich und als Ort der Moderne erfahrbar. Unsere Gäste werden hier ein einmaliges und unwiederbringliches Ausstellungs- und Museumserlebnis genießen können.“
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