Sicher fühlen oder sicher sein, das ist hier die Frage…
Rund 40 Personen fanden sich am vergangenen Donnerstag im Mehrgenerationenhaus „Pusteblume“ in Halle-Neustadt ein um über die Frage „Wie sicher sind wir?“ zu diskutieren. Zumindest hatte der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins und Stadtratsmitglied Eric Eigendorf zu einer Diskussionsveranstaltung eingeladen. Nach den einleitenden Worten der geladenen Gäste war jedoch schnell klar, dass es keine lebendige Diskussion sein würde sondern eine Frage-Antwort-Runde. Neben Eric Eigendorf standen somit Rüdiger Erben (MdL-SPD), Leitender Polizeidirektor Mario Schwan (Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd) und Polizeioberrat Andreas Dockhorn (Leiter des Reviereinsatzdienstes, Polizeirevier Halle) für Fragen zur Verfügung.
Eigendorf hob in seinen einleitenden Worten hervor, dass vor allem die sozialen Medien dafür verantwortlich seien, dass man heutzutage von vielen Straftaten so schnell und von anderen überhaupt erfahre. Durch diese hohe Dichte der Berichterstattung entstünde oft der Eindruck, dass Menschen sich subjektiv in ihren Wohngebieten nicht mehr sicher fühlen könnten.
Rüdiger Erben sprach zu Beginn davon, dass es ein hohes Maß an Unsicherheit bei den Menschen in Deutschland und in Sachsen-Anhalt gebe, welches sehr stark gefühlsbetont sei. „Die Menschen haben aber auch ein Anrecht darauf, sich sicher in einem Land zu fühlen, weil ich glaube das ist auch ein Grundrecht.“, so Erben weiter. Früher seien Anschläge auf Staatsoberhäupter geplant worden, es wurden Menschen als Geisel genommen oder entführt, heute könne es jeden treffen. Heutzutage kenne jeder jemanden in dessen Gartenlaube oder Garage eingebrochen worden sei.
Diese gefühlte Unsicherheit ließe sich jedoch nicht mit Zahlen belegen. Erben sieht vielmehr einen Hauptgrund in der schwindenden Präsenz der Polizei nah an den Bürgern. Auch sprach sich Erben gegen nicht realisierbare Ankündigungen von Seiten der Politik aus die getätigt würden, nur um die Bevölkerung zu beruhigen. Hier führte er die Entwaffnung von Reichsbürgern und die Ausweisung von straffälligen Ausländern als Beispiele an. Zum Abschluss sprach Erben den aktuellen Fall des Oberleutnants Franco A. an und sagte, er hätte dies noch vor zwei Monaten für unmöglich gehalten. Hier liege die Ursache seiner Meinung nach unter anderem in der dünnen Personalausstattung des BAMF.
Mario Schwan erörterte die Fallzahlen für das Stadtgebiet Halle der vergangenen Jahre und machte deutlich, dass gut 45% aller Straftaten Eigentumsdelikte seien und bei diesen seit dem Jahr 2013 ein starker Anstieg zu verzeichnen gewesen sei. Die Polizei sieht hier einen direkten Zusammenhang zu Betäubungmitteldelikten, ein Großteil der Eigentumsdelikte seien also Beschaffungskriminalität. Den offenen Drogenhandel im Bereich des Riebeckplatzes habe man erkannt und begonnen polizeiliche Maßnahmen durchzuführen. Im Jahr 2017 seien bereits etwas mehr als zehn Untersuchungshaftbefehle erwirkt worden. Die Gewaltkriminalität habe im Stadtgebiet von Halle in den letzten Jahren keine Zunahme erfahren, so Schwan weiter. Schwere Gewalttaten, wie das versuchte Tötungsdelikt im Juni 2016 auf der Ziegelwiese oder die Überfälle der so genannten Pizza-Bande, seien durch intensive Ermittlungsarbeit aufgeklärt worden. Auch an der Aushebung eines Drogenhändlerrings sei die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd in internationaler Zusammenarbeit mit Behörden aus Tschechien und Österreich erfolgreich beteiligt gewesen.
Im Bereich der politisch motivierten Kriminalität gebe es Schwerpunkte im Stadtgebiet welche die Polizei besonders seit dem Sommer 2014 beschäftige. Hier nannte Schwan beispielhaft den Zuzug von Roma in den Stadtteil Silberhöhe und die daraus resultierenden Proteste der Anwohner. Dem Protest der Anwohner haben sich Personen der rechten Szene angeschlossen und die „Brigade Silberhöhe“ ins Leben gerufen aus der sich später die „Brigade Halle“ entwickelte. Aus diesem Umfeld seien 20 bis 40 Personen verfestigt der rechtsextremen Szene zuzuordnenden. Diese Bewegung sei im vergangenen Jahr bei einem Umzug von Roma in den Südpark wieder aufgeflackert und beschäftige die Polizei weiterhin, da die Personengruppe die der „Brigade Halle“ zuzurechnen ist auch Bundesweit aktiv sei. Letztmalig in Erscheinung getreten sei diese Gruppierung am 1. Mai.
Abschließend machte Schwan Angaben zur allgemeinen Aufstellung der Polizei im Stadtgebiet. So seien je nach Wochentag und Tageszeit zwischen acht und zehn Streifenwagen im sogenannten Pflichtdiensteinsatz. Diese erreichen im Durchschnitt innerhalb von 14 Minuten den Einsatzort, was unter dem von der Polizei selbst gesteckten Ziel von 20 Minuten liegt. Weiter gebe es in Halle einen Kriminaldauerdienst der rund um die Uhr Einsatzbereit ist und bei entsprechenden Straftaten sofort erste Ermittlungen aufnehmen kann. Inzwischen seien 23 Regionalbereichsbeamte im Einsatz, die den direkten Kontakt mit Bürgern herstellen und zusätzliche Präsenz zeigen sollen.
Andreas Dockhorn wies zu Beginn direkt darauf hin, dass der Anteil von Straftaten in Halle Neustadt durchaus dem Anteil an der Bevölkerung von Halle entspreche. Knapp ein Fünftel der Einwohner Halles seien hier wohnhaft und mit rund 6.000 Straftaten im Jahr 2016 entspricht dies dem Anteil an Straftaten im Vergleich zur gesamten Stadt. Im Jahr 2016 sei jedoch ein Anstieg der Anzeigen von Straftaten vor allem im Südpark zu verzeichnen gewesen. Ab Oktober sei dann „auch auf Anweisung der [damaligen] Polizeipräsidentin“ die Videoüberwachung eingeführt worden. Die vier im Südpark installierten Kameras werden, wie alle anderen Kameras der Polizei im Stadtgebiet von Halle, rund um die Uhr von einem Beamten überwacht. Sowohl dem Einsatz der Videoüberwachung als auch dem Einsatz von Beamten in Uniform und Zivil sei der daraufhin erkennbare Rückgang der Straftaten in diesem Bereich zu verdanken.
Auch im Bereich Neustadt beschäftige die Polizei seit 2013 die ansteigende Zahl der Eigentumsdelikte, die Ermittlungen in diesem Bereich gestalteten sich jedoch aufgrund der Spurenlage oft sehr schwierig, vor allem bei Kellereinbrüchen. Hier verwies Dockhorn auf die Verantwortlichkeit der Bewohner, Hauseingangstüren stets verschlossen zu halten.
Gleich die erste Frage aus der Runde der Zuhörer sorgte für Raunen und teilweise offene Ablehnung von Anwesenden. Der Fragesteller kritisierte die „unsägliche Berichterstattung“ über jeden kleinsten Vorfall. Er äußerte, dass in der ehemaligen DDR, in der er großgeworden sei, anders berichtet worden sei, was zur Beruhigung der Bevölkerung beigetragen habe. Im Grunde forderte er die Polizei dazu auf, gewisse Fälle nicht an die Presse weiterzuleiten.
Rüdiger Erben berichtete daraufhin von einem Vorfall im Jahre 1983 oder 84 am Hauptbahnhof Erfurt den er selbst miterlebt hatte. Dort seien Fans von Carl-Zeiß-Jena aus einem „teilweise schon entglasten Zug“ ausgestiegen und die damals so genannte Trapo habe mit ihren Hunden die Flucht ergriffen. Darüber sei natürlich nicht berichtet worden. „Man stelle sich vor, heute würde auf dem Hauptbahnhof von Halle die Polizei, samt Diensthunden, die Beine in die Hand nehmen und abhauen wenn die Fußballfans aus dem Zug aussteigen. Das wäre ein Skandal, da wäre was los.“, so Erben. Die Medien hätten heutzutage ja gar keine andere Wahl als zu berichten, denn sonst würde sofort der Schrei laut, dass zensiert würde oder man der Lügenpresse angehöre. Die Flut an Informationen sei das Problem. Hier führte Erben als positives Beispiel die Polizei in München an, die im Juli 2016 bei dem Amoklauf von David S. immer auf der Höhe der Medien gewesen sei. „Ich glaube, das ist das Rezept.“, so Erben. Die Polizei, Behörden und Justiz müssten mit der öffentlichen Berichterstattung Schritt halten.
Mario Schwan verwies in Bezug auf die Zusammenarbeit mit den Medien auf das Landespressegesetz. „Die Polizei hat nach dem Landespressegesetz die Pflicht den Medien Sachverhalte die bekannt werden mitzuteilen.“, so Schwan. Hier gebe es jedoch auch Ausnahmen, wenn zum Beispiel die Sachlage in der Anfangszeit der Ermittlungen noch unklar sei, minderjährige Opfer beteiligt sind oder die Gefahr für Straftäter durch zum Beispiel Lynchjustiz hoch sei. „Gegebenenfalls müssen wir auch Tatverdächtige schützen.“
Ein Beispiel für den positiven Einsatz von modernen Medien hob Schwan hervor. Bei einem Spiel von Hansa Rostock in Halle sammelten sich viele frühzeitig angereiste Rostock-Fans vor dem ehemaligen Maritim Hotel, als es noch als Erstaufnahmeeinrichtung genutzt wurde. Auf Twitter wurde dies als Aufmarsch von Rechtsextremen verbreitet, welche das Maritim stürmen wollen. Durch einen Tweet der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd konnte dieses Missverständnis schnell bereinigt werden.
Ein weiterer Redner vermisste hingegen die vollumfassende Berichterstattung und warf der Polizei vor, dass diese auf Notrufe nicht reagiere. Seine Frau sei Zeugin geworden, wie zwei „Mediterrane“ noch am vergangenen Montag im Lidl-Markt an der Nietlebener Str. mit vollgepackten Rucksäcken ohne zu bezahlen herausspaziert seien. Weiter berichtete er von einem Vorfall im Kaufland am Zollrain bei dem seine und andere Frauen, ebenfalls von „Mediterranen“, mit ehrverletzenden Worten beleidigt worden seien. Auf die vom Redner gestellte Frage „Ob man noch mehr wissen wolle?“ wurde aus der gesamten Runde zu erkennen gegeben, dass dem nicht so sei. Mario Schwan bat dem Redner an, sich nach diesen Vorkommnissen zu erkundigen, nach der Veranstaltung sah man beide im angeregten Gespräch. Auch Herr Erben ging kurz auf diese Wortmeldung ein. In den allermeisten Fällen sei es so, dass solche Vorkommnisse nur durch Hörensagen verbreitet würden und auf Nachfrage kein direkt beteiligter Zeuge greifbar sei.
Auf eine Aussage aus dem Publikum, dass sich eine Zuhörerin nicht von ausländischen Clans vor Ort bedroht fühle sondern mehr von marodierenden Personen die regelmäßig am Bahnhof ihres Heimatortes Dieskau randalierten sagte Mario Schwan, er wolle sich mit dem Revier im Saalekreis und der Bundespolizei in Verbindung setzen, um die Vorkommnisse auf dem Gelände und an den Einrichtungen der Bahn AG zu erörtern. Erben nahm die Erwähnung der ausländischen Clans zum Anlass um auf die Vorkommnisse in Naumburg zu sprechen zu kommen: „Also ich sehe das mit den Familienclans etwas anders.“ Er kenne viele Naumburger, die sich nicht sorgen weil sie es in der Zeitung lesen, sondern weil sie es tagtäglich erleben, wie sich diese Menschen in der Stadt bewegen und wie sie provozieren. „Die Naumburger mit denen ich spreche, und das sind wahrlich keine Rechten, die da irgendwie gegen Ausländer hetzen wollen oder sonst irgendwas, da ist eine ganz große verbreitete Sorge […], die sagen ‚Hey was ist mit dem Staat eigentlich los, das Ihr Euch in der Weise auf der Nase rumtanzen lasst‘.“
Zu einem medienwirksamen Vorfall zu Beginn des Jahres 2015 bei dem angeblich eine Vielzahl von Fans des HFC bei gewalttätigen Ausschreitungen in Leipzig Connewitz beteiligt gewesen sein sollen bezog Schwan ebenfalls Stellung und konkretisierte die Zahl der festgestellten Tatverdächtigen. So seien insgesamt nur sechs Tatverdächtige aus dem Umfeld der Fanszene des HFC festgestellt worden, die ihren Wohnsitz im Bereich der PD-Süd haben, nur zwei dieser Personen haben ihren Wohnsitz in Halle. Die Dimension die zunächst in der Öffentlichkeit angenommen wurde, könne er von Seiten der Polizei somit nicht bestätigen.
Neben vielen komplexen Themen ging es dem ein oder anderen aber auch um ganz konkrete Dinge die Sicherheit betreffend. So fragte eine ältere Dame nach den Verantwortlichen für die schlechte Beleuchtung am barrierefreien Zugang am S-Bahnhof Zscherbener Straße in Neustadt. Weiter monierte Sie, dass auf dem Fahrradweg in der Mansfelder Straße in Fahrtrichtung Halle Neustadt ein großes Loch klaffe und wer sich hier für die Ausbesserung verantwortlich fühle. Beider Sachverhalte nahm sich Mario Schwan an und tauschte im Nachgang der Veranstaltung hierfür Kontaktdaten aus.
Nach der Veranstaltung sagte Eric Eigendorf zu dubisthalle.de: „Ziel der Veranstaltung war es, den Menschen vor Ort den Dialog mit Verantwortlichen und im Themenkomplex stehenden Personen zu ermöglichen. Wann kommen Bürger schon einmal direkt mit der Polizei, Verantwortlichen und Politikern ins Gespräch? Die Veranstaltung war aus meiner Sicht ein voller Erfolg und es wird sicher nicht die letzte dieser Art gewesen sein.“
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