“Zwischen Schönheit und Wahrheit”: Ausstellung zu fünf Jahrzehnten Schaffen von Karl Hofer in der Moritzburg
Nach fast fünfzig Jahren widmet das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) dem bedeutenden Maler der Moderne, Karl Hofer, erneut eine große Einzelausstellung. Unter dem Titel „Zwischen Schönheit und Wahrheit“ zeigt das Museum rund fünfzig Werke aus der Leipziger Collection Arthous sowie ein eigenes Museumswerk – eine Zusammenstellung, die in Umfang und inhaltlicher Breite seit Jahrzehnten einmalig ist. Dass die Schau ausgerechnet in Halle stattfindet, ist mehr als eine zufällige museale Entscheidung. Die Stadt war Hofer gegenüber stets ungewöhnlich aufgeschlossen. Schon 1948 und 1949 zeigte die Galerie Henning seine Werke, und 1978 widmete das Kunstmuseum Moritzburg ihm zum 100. Geburtstag eine große Ausstellung. Die neue Präsentation knüpft an diese Traditionslinie an und erweitert sie zugleich um ein historisches Bewusstsein, das erst im Laufe der Vorbereitungen deutlich wurde: Hofer starb vor fünfzig Jahren. Die Schau ist daher nicht nur eine Ausstellung, sondern auch eine Geste des Erinnerns. Nach der Saalestadt geht die Schau noch nach Bayern, Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern.
Karl Hofer – Künstler zwischen den Zeiten
Karl Hofer zählt zu den bekanntesten Malern der deutschen Moderne. Die Spannweite seines Œuvres – das Werkverzeichnis nennt rund 2.900 Arbeiten – zeigt einen Künstler, der sich immer wieder neu hinterfragte und dessen Stil sich keinem festen Raster unterordnete. Vieles von Hofers Schaffen ging im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges verloren: Sein Berliner Atelier und seine Wohnung brannten 1943 aus, zahlreiche Werke wurden vernichtet. In einer Gartenlaube in Potsdam fand er ein provisorisches Exil und begann dort, teils aus Erinnerung, teils aus künstlerischer Notwendigkeit, Bilder zu restaurieren, Motive neu zu fassen und zugleich neue Arbeiten zu schaffen. Bemerkenswert ist die Entwicklung seines Namenszuges: Aus dem „Karl“ der frühen Jahre wurde später „Carl“. Diese Veränderungen der Signatur spiegeln jene biografischen und stimmungsbezogenen Wandlungen wider, die den Künstler sein Leben lang begleiteten – zwischen Aufbruch und Verlust, zwischen innerer Einkehr und äußerer Erschütterung, zwischen Schönheit und Wahrheit, wie die Ausstellung es treffend formuliert.
Hofers künstlerische Sprache: Menschliche Dramatik im Spannungsfeld der Moderne
Die Ausstellung macht sichtbar, dass Hofer sich konsequent einer eigenen, unverwechselbaren Bildsprache verschrieb. Zwischen Expressionismus, Neuer Sachlichkeit und magischem Realismus entwickelte er eine malerische Form, die sich sowohl an der modernen Farbpsychologie als auch an klassischen Kompositionsprinzipien orientiert. Im Zentrum seines Werkes steht stets der Mensch – oft allein, manchmal in Gruppen, fast immer jedoch in einem Zustand kontemplativer Verschlossenheit. Die Figuren begegnen dem Betrachter selten direkt. Ihre Augen sind geschlossen, verdunkelt oder nach unten gerichtet. Die Gemälde wirken wie Momentaufnahmen einer inneren Landschaft, die der Betrachter nur indirekt betreten kann. Umso bemerkenswerter ist das einzige erhaltene Selbstbildnis Hofers. Es zeigt den Maler im direkten Blickkontakt, ein motivischer Ausnahmefall innerhalb seines Werkes. Sammlungsleiterin Anke Dornbach weist darauf hin, dass Hofer ein äußerst selbstkritischer Künstler gewesen sei. Viele seiner Werke übermalte er später, weil sie ihm nicht gut genug erschienen. Diese Strenge sich selbst gegenüber macht die Kraft seines Werkes ebenso verständlich wie die teils ambivalente Wirkung seiner Gemälde.
Die thematische Gliederung: Sieben Kapitel eines Lebenswerks
Da sich Hofers Stil nicht klar in kunsthistorische Phasen unterteilen lässt, ist die Ausstellung in sieben Themenbereiche gegliedert. Jedes Kapitel beleuchtet ein bestimmtes Motivfeld seines Schaffens und zeigt zugleich, wie der Künstler diese Themen im Lauf der Jahrzehnte variierte. Im Mittelpunkt steht der Mensch, dargestellt in Momenten der Verletzlichkeit, Einsamkeit und Suche nach Identität. Masken und Harlekine fungieren als Sinnbilder gesellschaftlicher Rollen und psychologischer Verkleidungen. Szenen von Verwundung, Schutzlosigkeit und Entfremdung greifen die Erfahrungen von Krieg, Verlust und persönlichem Leid auf, während Landschaften und Stillleben Hofer als Experimentierfelder für Farben, Rhythmen und Kompositionsversuche dienten. Die Ausstellung spürt nicht nur Hofers Motivwelt nach, sondern erlaubt zugleich einen Einblick in seine Entwicklung: vom jungen Künstler, der mit der Moderne ringt, bis hin zum späten Meister, dessen Bilder von einem stillen, beinahe meditativen Ernst geprägt sind.
Biografische Schatten: Verlust, Verfolgung und ein Leben im Umbruch
Hofers Lebensweg ist nicht ohne jene historischen Brüche zu verstehen, die fast ein ganzes Jahrhundert deutscher Geschichte umspannen. Seine Ehe mit der jüdischen Sängerin Mathilde Scheinberger führte 1938 zu einem folgenschweren Einschnitt. Obwohl die beiden nicht mehr zusammen lebten, waren sie weiterhin verheiratet. Als seine Entlassung aus der Reichskammer der bildenden Künste drohte, drängte Hofer auf eine Scheidung – eine Entscheidung, die Mathilde Hofer den Schutz der sogenannten „privilegierten Mischehe“ entzog. Später wurde sie in Auschwitz-Birkenau ermordet. Die nationalsozialistische Kulturpolitik traf Hofer mehrfach: 1937 wurden 313 seiner Werke aus deutschen Museen entfernt, neun davon im Rahmen der berüchtigten Ausstellung „Entartete Kunst“ in München diffamiert. Nach der Scheidung 1938 wurde er zwar wieder in die Reichskammer aufgenommen, doch seine beruflichen Möglichkeiten blieben eingeschränkt. Die Zerstörung seines Ateliers 1943 schließlich traf ihn nicht nur materiell, sondern auch persönlich – ein großer Teil seines Lebenswerks ging unwiederbringlich verloren. Nach Kriegsende kehrte Hofer an die Hochschule für Bildende Künste in Berlin zurück und wurde deren Direktor. Doch die Spannungen im Kunstbetrieb der Nachkriegszeit, vor allem im Konflikt zwischen gegenständlicher und abstrakter Kunst, führten 1955 zu seinem öffentlich ausgetragenen Streit mit dem Kritiker Will Grohmann und letztlich zu Hofers Rücktritt. Kurz darauf starb er an einem Schlaganfall.
Die Moritzburg und Halle – ein Ort der Hofer-Rezeption
Die Beziehung zwischen Hofer und Halle hat eine besondere Tradition. Während in vielen Teilen Deutschlands die Diskussion über moderne Kunst noch von politischen und gesellschaftlichen Spannungen geprägt war, zeigte die Galerie Henning in Halle schon 1948 und 1949 zwei Einzelausstellungen mit seinen Werken. In der DDR blieb Hofer eine ambivalente Figur: Einerseits entsprach seine symbolhafte, introspektive Bildsprache nicht den Forderungen des staatlich geförderten Sozialistischen Realismus. Andererseits fanden Künstlerinnen und Künstler der sogenannten Halleschen Schule gerade in seiner stillen Expressivität ein wichtiges Gegenmodell zur offiziellen Doktrin. Seine Bildstimmungen, die reduzierte Farbigkeit und die konzentrierte Komposition wirkten in Halle nachhaltig weiter – eine Wirkung, die auch in der aktuellen Schau sichtbar gemacht wird. Nach der Ausstellung 1978 ist die nun gezeigte Präsentation die zweite große Würdigung Hofers in der Moritzburg. Sieben Werke, die damals gezeigt wurden, sind erneut vertreten. Besonders bemerkenswert sind zwei Bilder aus dem Jahr vor seinem Tod – Arbeiten, die einen späten, fast versöhnlichen Ton anschlagen, obwohl sie in einem von Spannungen gezeichneten Lebensabschnitt entstanden.
Die Sammlung Arthous und der besondere Charakter der Schau
Möglich wurde diese Ausstellung vor allem durch die Leipziger Collection Arthous, deren umfangreicher Bestand an Hofer-Gemälden erstmals in dieser Form öffentlich gezeigt wird. Fünfzig Werke, entstanden zwischen 1900 und 1954, erlauben einen seltenen Überblick über Hofers gesamtes Schaffen. Das Zusammenspiel mit dem eigenen Museumsbestand und mit Werken der Halleschen Schule erzeugt eine vielschichtige Wirkung. Die Ausstellung zeigt Hofer nicht isoliert, sondern in einem Netzwerk aus Rezeption, Einfluss und Nachwirkung. Der Besucher wandert so durch Räume, in denen nicht nur die Geschichte eines Künstlers, sondern auch die eines kunsthistorischen Umfeldes sichtbar wird. Die Atmosphäre der Ausstellung verstärkt dieses Erleben: behutsame Lichtregie, ruhige Hängung, viel Raum für die Gemälde. Nichts drängt sich auf, und doch ist jeder Raum ein intensiver visueller Moment. Die Dramatik, die Hofers Figuren in sich tragen, überträgt sich so unmittelbar auf den Besucher, ohne laute Effekte zu benötigen.
Die Bedeutung heute: Schönheit, Wahrheit und moderne Verletzlichkeit
Warum ist Karl Hofer heute noch relevant? Warum wirkt seine Kunst, die nach den Maßstäben zeitgenössischer Kunstgeschichte anachronistisch erscheinen könnte, weiterhin so eindringlich? Die Antwort findet die Ausstellung in ihrem Titel: „Zwischen Schönheit und Wahrheit“. Hofer konzentriert sich auf jene menschlichen Grundfragen, die unabhängig von Epoche und Stil bestehen: Einsamkeit, Identität, Verletzbarkeit, Würde. Die Stille, die seine Bilder ausstrahlen, wirkt heute fast visionär. In einer Welt, die von visueller Reizüberflutung geprägt ist, öffnet Hofer Räume der Verlangsamung. Seine Figuren verweigern den direkten Blick und damit die schnelle Deutung – und gerade dadurch entsteht eine Intensität, die in der modernen Kunst selten geworden ist. Auch die historische Perspektive der Ausstellung eröffnet neue Deutungen. In Zeiten politischer Unsicherheit, sozialer Spannungen und zunehmender Ideologisierung wirkt Hofers Werk wie ein Gegenentwurf, der sich jeder politischen Vereinnahmung entzieht. Seine Kunst bleibt dem Menschen verpflichtet, nicht der Macht. Und sie zeigt, wie Mut und Verletzlichkeit, Schönheit und Wahrheit miteinander verbunden sind.


















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