Die Havag und blinde Fahrgäste
Halles Paralympics-Medaillengewinner Tino Kolitscher hat ein Problem mit der Halleschen Verkehrs AG (HAVAG). Denn Kolitscher ist blind. Und immer wieder kommt es vor, dass die Straßenbahnen nicht dort halten, wo sie sollten. Für ihn als blinder Mensch schwierig, denn er orientiert sich an den Leitstreifen an den Stationen.
„Zurzeit ist es so in Halle, dass es den Straßenbahnfahrer nicht interessiert, ob da ein blinder Fahrgast an der Haltestelle steht und wie der Blinde sein Fahrziel erreicht. Zudem halten die Fahrer wo sie wollen“, kritisiert Kolitscher. „Aufmerksamkeitsfelder, an neuen barrierefreien Haltestellen werden von den Fahrer nicht eingehalten. Die Bahn sollte so halten, dass eine Tür bei dem Aufmerksamkeitsfeld ist.“
Fahrer würden nicht verstehen, „dass ich mich an jeder Haltestelle so positioniere, dass mich der Fahrer beim Einfahren in die Haltestelle sieht, da ich immer meinen weißen Blindenlangstock bei mir habe“, sagt Kolitscher. „Für mich ist dies ein Zustand der Unmenschlichkeit, fehlenden Service, Ausgrenzung, Ignoranz und auch Diskriminierung!“
Seit Jahren würden die örtlichen Stellen des Blindenverbandes, verschiedene Selbsthilfegruppen und auch Orientierungs- und Mobilitätslehrer die Führungsspitze der HAVAG auf den Missstand und Probleme hinweisen, so Kolitscher. Die Havag habe immer wieder Ausreden und Ausflüchte, warum irgendetwas nicht gehe. „Zur zukünftig vollumfänglichen barrierefreien Nutzung unseres Mobilitätsangebots gehören neben barrierefreien Haltestellen und Fahrzeugen auch die Information von Liniennummern und Zielen von einfahrenden Straßenbahnen und Bussen in die Haltestellen. Es tut uns leid, wenn unser blinder Fahrgast hier schlechte Erfahrungen gemacht hat. Dafür entschuldigen wir uns. Denn die umfassende Fahrgastinformation, hier im speziellen Fall von Blinden und Sehbehinderten, gehört zu unserem Serviceverständnis.“
Kolitscher berichtet von einer Situation, die er am eigenen Leibe spüren durfte. „Ich bin auf dem Marktplatz, komme vom Kaufhof und möchte zur Haltestelle Richtung Rannischer Platz. Eine Bahn steht bereits an der Haltestelle. Dahinter wartet bereits die nächste Bahn und möchte die Haltestelle bedienen“, so Kolitscher. „Ich überquere die Schienen zwischen beiden Bahnen, somit laufe ich direkt in das Blickfeld des Fahrer, der als nächstes in die Haltestelle einfährt. Um die Bahn die bereits an der Haltestelle steht kümmere ich mich nicht, da schon die Türen zugehen und somit warte ich auf die Bahn, die schon als nächstes bereit stand. Es kam keine Ansage vom Fahrer. Nichts! Somit musste ich wieder andere Fahrgäste suchen und ansprechen. Sie können sich selbst Ihre Gedanken darüber machen. Das ist doch egoistisch vom Fahrer. „
Die HAVAG selbst teilt mit, dass sie die barrierefreie Mobilität weiter verbessern wolle. Dazu setze man auf einen mehrstufigen Lösungsansatz.
So teste man derzeit eine technische Lösung (BIOS) zur Ansage von Liniennummern und Fahrtziel bei der Einfahrt von Fahrzeugen in die Haltestellen. Dieses System (BIOS) könnten mobilitätseingeschränkte Fahrgäste über den Einsatz von Bluetooth-Sendern oder ihr Smartphone selbstständig steuern und auslösen.
„In der Sitzung des Fahrgastbeirates im März informierte die HAVAG über den aktuellen Stand des Projektes BIOS. Der Fahrgastbeirat konnte seine Fragen zur technischen Lösung stellen. Als nächsten Schritt waren Vertreter der Blinden-und Sehbehindertenverbände und des Berufsförderungswerk Halle zur Vorbereitung der geplanten Praxistests im Herbst 2019 in Straßenbahnen von der HAVAG zu einem Termin eingeladen worden“, sagt Peter Kolbert, Verantwortlicher der HAVAG für das Projekt barrierefreies Informations-und Orientierungssystem (BIOS). „Gemeinsam mit der Projektsteuerungsfirma pwp-systems GmbH informierte die HAVAG über den geplanten Ablauf, die Rahmenbedingungen und die vorgesehene Umsetzung für die Anwendungstests und lud die anwesenden Vertreter zur Teilnahme ein.“
Auch teste man derzeit Haltepositionsmarkierungen am Berufsförderungswerk Halle in der Beesener Straße. Ein wichtiges Thema für Sehbehinderte und Blinde sowie die HAVAG sei auch der Zugang zur ersten Doppeltür der Straßenbahn an extra vorgesehenen Aufmerksamkeitsfeldern der Haltestellen, welche man vor allem im Rahmen des Stadtbahnprogramms barrierefrei ausbaut. Aufgrund von unterschiedlichen Ausbautypen von Straßenbahnhaltestellen im Stadtgebiet könne es jedoch vorkommen, dass die Fahrzeuge an unterschiedlichen Punkten an der Haltestelle halten. Dies wolle man umgehend lösen und teste deshalb derzeit die Haltepositionsmarkierungen am Berufsförderungswerk Halle in der Beesener Straße (Haltestelle: Kantstraße), um eine optimale Positionierung der einfahrenden Straßenbahnen zu garantieren und damit einen einheitlichen Zustieg von Blinden und Sehbehinderten zu ermöglichen. Bei erfolgreicher Auswertung solle diese Lösung schnell stadtweit umgesetzt werden.
Weiterhin werde man das Fahrpersonal nochmals mit Nachdruck in den Dienstunterrichten auffordern, bei Erkennen eines blinden oder sehschwachen Fahrgastes an der Haltestellen, über die Außenlautsprecher eine Ansage zur Liniennummer und zum Fahrtziel zu machen, so die Havag.
„Allerdings wird die Aufmerksamkeit der Fahrer*innen im täglichen Fahrbetrieb durch vielfältige Einflüsse in Anspruch genommen. So kann es vorkommen, dass Blinde und Sehbehinderte nicht immer zu Hundertprozent an den Haltestellen wahrgenommen werden“, so Iris Rudolph, Pressesprecherin der Stadtwerke Halle. „Stellen Sie sich die sehr stark frequentierten Haltestellen am Markt vor: Die Fahrer*innen haben auf viele unaufmerksame Menschen zu achten, die mit Kopfhörern im Ohr auf ihr Smartphone schauen (der Trend wächst stetig). Immer wieder können sie nur knapp Unfälle verhindern, weil ihnen Radfahrer oder andere Verkehrsteilnehmer vor die Bahn laufen bzw. die StVO nicht beachten. Tipp: Mobilitätseingeschränkte Menschen sollten sich immer vorn positionieren, damit sie von den Fahrer*innen besser gesehen werden.“
Scheinbar besteht das Problem darin, überhaupt kein richtiges Konzept zu haben. 2019!
Es würde schon helfen, wenn grundsätzlich an allen Haltestellen die Straßenbahnen immer an derselben Position (+- 25 cm) halten. Beispiel Endstelle Kröllwitz, Gleis der Linie 7 in Fahrtrichtung Reileck: Das Gleis ist so lang, dass sowohl einfache als auch doppelte Wagenzüge dort halten können – so weit, so gut. Nur: Dass die Linie 7 einmal als Doppelzug unterwegs ist, kommt so gut wie nie vor; und die Einzelzüge halten innerhalb des Haltestellenbereiches, wo sie wollen: zwar meist vorne, aber manchmal eben auch zentral, oder hinten … Es ist jedesmal eine Lotterie, ob man richtig steht oder nicht – und für geh- oder sehbehinderte Fahrgäste ist das natürlich besonders frustrierend.
Ich wäre deshalb dafür, zumindest an den Haltestellen, wo das ohne größeren Aufwand möglich ist, schnellstmöglich Haltemarkierungen anzubringen, die für die Straßenbahnfahrer(innen) verpflichtend sind – und mittelfristig im Rahmen des Stadtbahnprogramms alle Haltestellen entsprechend aufzurüsten.
Dein Zitat: ,,Ich wäre deshalb dafür, zumindest an den Haltestellen, wo das ohne größeren Aufwand möglich ist, schnellstmöglich Haltemarkierungen anzubringen, die für die Straßenbahnfahrer(innen) verpflichtend sind – und mittelfristig im Rahmen des Stadtbahnprogramms alle Haltestellen entsprechend aufzurüsten.“
Man sollte den Beitrag mal von oben lesen. Zitat von Anfang des Beitrages: ,,Und immer wieder kommt es vor, dass die Straßenbahnen nicht dort halten, wo sie sollten. Für ihn als blinder Mensch schwierig, denn er orientiert sich an den Leitstreifen an den Stationen.“, die seit den 1990er Jahren erneuert wurden. Also gibt es schon diese Sachen für die Sehbehinderten und Blinden. Aber ich schätze Du willst auch was anderes. wahrscheinlich Türen am Bahnsteig zur Fahrzeugseite. Wenn Du das so willst, dann müsste die HAVAG erstmal ihre Fahrzeugflotte auf ein einheitliches Grundfahrzeug umrüsten. Tatras könnten dann nicht mehr fahren.
Soweit ich mich erinnern kann, sollen die Tatras doch sowieso abgelöst werden? Ist es nicht sogar so, dass es in Halle nur noch 1 oder 2 Tatrabahnen gibt, die mehr oder weniger regelmäßig im Linienverkehr unterwegs sind? Und deren Abschaffung auch schon beschlossen ist? Damit fällt dann über kurz oder lang (eher kurz) dieses Argument weg.
Der Rest – nun, der ist entweder intensive Schulung der Fahrer (inklusive Fahrtraining, damit sie diese Haltemarkierungen möglichst genau treffen) – oder ein hardwaremäßiges Upgrade der Straßenbahnen mit einem Sensor, der automatisch den Abstand zu den entsprechenden Markierungen mißt und ggf. per Software automatisch die Bremsung einleitet bzw. unterstützt … (sofern die Straßenbahnen computerunterstützt unterwegs sind – wovon ich bei den Niederflurwagen aber eigentlich ausgehe; modern genug dafür sollten sie jedenfalls sein)
In den neuen InterCity-Wagen der Deutschen Bahn geben die Türen akustische Signale von sich (ein Knackgeräusch wie an manchen Ampeln), um sehbehinderte Fahrgäste zu leiten. Die HAVAG könnte ihre Bahnen ja auch damit nachrüsten, das stelle ich mir kostengünstiger vor als Leitstreifen an den Haltestellen anzupassen oder zu bauen.
Jedes Jahr erhöht die HAVAG die Ticketpreise. Dann kann man wenigstens erwarten, dass sich auch der Service verbessert, insbesondere für Fahrgäste mit Behinderung. Warum stellt die HAVAG keine Mitarbeiter ein, die sich vom frühen Morgen bis zum späten Abend an bestimmten Brennpunkten wie dem Markt oder dem Bahnhof speziell um Menschen mit Behinderung kümmern? Es gibt doch in Halle genügend Dauerarbeitslose denen man so eine neue Beschäftigung vermitteln könnte.
Ja, Gibt es diese? Und will man diese auch nach Tarif bezahlen? Und in Vollzeit oder nur Tz, oder gar nur Minijob?
Und wie wäre es einfach für angesprochene Hallenser, den beeinträchtigten Menschen auch ohne großes Brimborium zu helfen?
Guter Mann! Ich helfe in solchen Situationen immer!
Es gibt diesen Service bereits seit Jahren, guggst du hier:
https://havag.com/mobilhelfer
Den Begleitservice muss man vorher bestellen! Mein Vorschlag betrifft eine permanente Präsenz dieser Helfer auf dem Markt, am Bahnhof usw.
Das gab es doch schon!
Waren Ein-Euro-Jobber vom Jobcenter. Die hatten blaue(oder rote?) Jacken an. Eine Zeit lang fuhren die auch in den Bahnen mit.
Das Problem mit denen: Die haben meistens irgendwo in einer Ecke rumgelungert, weitab von jeder Haltestelle.