Stadtrat lamentiert und palavert: Neustädter kritisieren Debatten um die Scheiben
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Es waren vorwiegend ältere Hallenser, die am Donnerstag den Weg ins Neustadt-Centrum zur Diskussionsrunde um die Scheiben-Hochhäuser gekommen waren. Doch ihr Votum war eindeutig: es muss endlich etwas passieren. Oberbürgermeister Bernd Wiegand und CDU-Stadtrat Andreas Schachtschneider als Verfechter des Projekts, SPD-Stadtrat Johannes Krause als kritische Stimme sowie Peter Frießleben, einst Mitglied des Planungskollektivs der Scheiben und heute im Vorstand der Architektenkammer Sachsen-Anhalt. Konkret geht es mittlerweile um die Anmietung der Scheibe A für maximal 9.90 Euro Kaltmiete über einen Zeitraum von 30 Jahren. Ursprünglich hatte in der Stadtratsvorlage der Kauf durch die Stadt gestanden. Nun soll ein Investor das Gebäude kaufen und sanieren.
Oberbürgermeister Wiegand will in der langen Diskussionszeit ein „normales Beratungsprozedere“ erkennen. Da sei es auch normal, dass neue Informationen kommen. Wichtig für ihn sei, dass am Mittwoch eine Entscheidung getroffen wird, „das wäre ein politisches Signal für den Investor.“ Kommenden Mittwoch soll der Stadtrat über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens sowie über die Verwaltungsvorlage zur Anmietung entscheiden.
Ein „politisches Hin und Her“ sei der Diskussionsprozess nicht, erklärte Johannes Krause auf die Frage, warum sich der Stadtrat mit einer Entscheidung so schwer tut. Vielmehr sei es eine fachliche und inhaltliche Debatte, man suche nach dem richtigen Weg. Insgesamt genommen gehe es um ein „wichtiges Signal für Halle insgesamt.“ Ursprungsgedanke sei jedoch gewesen, die Zahl der derzeit 26 Verwaltungsstandorte zu optimieren. Eine tiefgründige Diskussion hält Krause für wichtig. „Wir wollen nicht die Kritik der nächsten Generation auf uns ziehen.“ Schließlich binde sich die Stadt für 30 Jahre. Und das da hart diskutiert werde sei normal, „Demokratie lebt vom Streit.“
Auch wenn die CDU-Fraktion im Stadtrat immer wieder mit OB Wiegand aneinander gerät, ist Andreas Schachtschneider einer der großen Befürworter der Scheiben-Pläne, schließlich hat er das Bürgerbegehren ins Leben gerufen. Und er will weiter Unterschriften sammeln. „Wir lehnen uns keinesfalls zurück“, sagte er. „Wir haben die Sache angefangen und wollen mit diesem Votum in den Stadtrat.“ Der Zuspruch aus der Bevölkerung sei groß.
Am Bau der Scheiben beteiligt war Architekt Peter Frießleben. Er ging noch einmal in die Geschichte zurück, Neustadt sei als „helle, moderne Stadt“ angelegt worden. Die Architektursprache sei eine besondere. Seit 20 Jahren befasse er sich mit der Zukunft der Scheiben, habe für Investoren Konzepte erstellt, ebenso eine Studie zur Unterbringung des Finanzamts in Neustadt. Heute seien die Scheiben zumeist Spekulationsobjekte. Deshalb sei es wichtig, ein Zeichen zu setzen, „das kann die Verwaltung tun.“ Es habe bisher der Impuls gefehlt. Frießleben zeigte sich überzeugt, dass nach einer Sanierung einer Scheibe für die Verwaltung auch andere Investoren nachziehen.
Doch warum nun die plötzliche Eile, wurde Wiegand gefragt, schließlich stehen die Häuser ja seit Jahren leer. Wiegand verwies auf die gute Konjunkturlage. Derzeit ergebe sich eine realistische Chance, Investoren zu bekommen. Doch Eile sei geboten, „Die Investoren warten nicht ab.“ Ein Stadtratsvotum sei eine Stärkung. Ziel müsse es sein, die Zahl der Verwaltungsstandorte von 24 auf 17 zu reduzieren. Er sei in guten Gesprächen mit den Fraktionen. Die Vorfreude auf einen Umzug in der Verwaltung sei groß, schließlich sei der Ausblick aus den oberen Etagen „gigantisch.“ Wiegand kündigte erneut eine informelle Arbeitsgruppe mit Beteiligung der Fraktionen zu gründen, um zu klären, welche Verwaltungseinheiten hier untergebracht werden können.
Krause wies noch einmal auf die Genese des Antrags hin. Im ersten Entwurf sei noch von einem Kauf die Rede gewesen. Erst später habe die Stadt einen Änderungsantrag der Linken übernommen, der nur noch eine Anmietung vorgesehen hatte. Er wies auch zurück, die Stadträte würden das ausstehende Votum des Bürgerbegehrens nur vorschieben, um die Thematik zu verzögern. Stattdessen nehme man das Bürgervotum ernst. „Wir verstecken uns nicht dahinter“, so Krause. Er machte nochmal klar: „das sind keine Peanuts. Wir haben die Pflicht nachzufragen. Wir binden uns für 30 Jahre.“
In der CDU-Fraktion ist Schachtschneider mit seiner Scheiben-Meinung durchaus ein Exot. „Wir halten auch andere Meinungen aus. Ich bin durchaus streitbar, wenn es um die Sache geht. Auch mit der eigenen Fraktion.“ Er sehe endlich die Möglichkeit eines Impulses, das „Schandmal“ zu beseitigen. Neustadt habe es verdient.
Um die 30 Millionen, so sehen es derzeitige Berechnungen vor, könnte eine Sanierung kosten. Architekt Frießleben erklärte, er könne zwar die Kosten auf Grund der großen Fläche und Baunebenkosten nur schwer schätzen. Er gehe aber davon aus, dass die kolportierte Summe reicht. In diesem Zusammenhang erklärte Wiegand, dass der Stadtratsbeschluss eine Maximalmiete von 9.90 Euro pro Quadratmeter vorsieht. Sobald der Rat beschlossen habe, werde man in Verhandlungen eintreten. Sollte die Summe nicht einzuhalten sein, entfalte der Ratsbeschluss keine Wirkung. Und Johannes Krause hat da so seine Bedenken bezüglich der Baukosten. Durch den Bauboom sei es teils zu Kostensteigerungen von mehr als 300 Prozent gekommen. Wiegand ist jedoch der Meinung, ein Investor wird im Kostenrahmen bleiben. Er sei optimistisch, dass die Preise trotz der Debatten in der Öffentlichkeit nicht in die Höhe getrieben werden.
„Eine kommunale Nutzung hat unsere volle Unterstützung“, meinte ein älterer Herr. „Die Bürger von Neustadt erwarten, dass endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden.“ Der Stadtrat solle endlich die Querelen sein lassen, es sei eine Abstimmung des Volkes. Er habe den Eindruck, dass sich einige Leute insgeheim freuen, wenn das Vorhaben misslingt. Er fragte zudem, welche Möglichkeiten die Stadt für die übrigen Hochhäuser hat. OB Wiegand verwies auf die beschlossene Sanierungssatzung. Sein großes Ziel: „Man schiebt und drückt solange, bis man die Zwielichtigen rausdrückt.“
„100 Prozent dafür“ ist auch Herr Herrmann, der durch den Umzug in die Scheibe auch die Möglichkeit sieht, die Vernetzung und Kommunikation innerhalb der Verwaltung zu verbessern und die Arbeitseffektivität zu erhöhen. Zudem sieht er das Land in der Pflicht, mit Fördermitteln beizuspringen, schließlich sei dies auch beim Umzug einer Bäckereikette von Weißenfels nach Wittenberg gegangen. Auf die Frage, welche Ämter einziehen, konnte OB Wiegand noch nicht antworten. Und auch zur Frage, welche Investoren sich interessieren, gab es keine Antwort. Zumindest aber versprach OB Wiegand, dass zum Bürgerentscheid am 24. September Namen auf dem Tisch liegen. Neustadt sei das „größte städtebauliche Ensemble Europas“, warb ein weiterer Zuhörer. Die fünf Scheiben seien das Pendant zu den fünf Türmen der Altstadt. „Ich war der erste Arzt in Neustadt“, stellte sich ein weiterer Gast vor. Er sei ein persönlicher Freund der Erbauers und erklärte, „ich unterstütze sehr, was Herr Wiegand hier unternimmt, um Neustadt aufzuwerten.“ In Richtung Stadtrat äußerte er dagegen etliche Vorwürfe. „Was hier draußen passiert, ist ein Skandal. Sie lamentieren, was in 30 Jahren sein wird. Die Scheiben sehen seit 30 Jahren so aus. Die Damen ihrer Parteien waren die meiste Zeit Oberbürgermeisterin“, will er eines der Probleme ausgemacht haben. „Wir müssen jetzt Veränderungen haben.“ „Unsere Aufgabe ist es, die richtigen Fragen zu stellen vor der Entscheidung“, sagte Krause. Er wünsche sich auch, dass sich das Projekt zum Guten entwickelt, dies wäre ein wichtiger Impuls. „Aber wir kommen nicht herum, auch die Wirtschaftlichkeit zu prüfen.“ Ein weiterer Gast gab sich als Stimmensammler zu erkennen. Mehr als 300 Stimmen habe er schon gesammelt. Sein Vorschlag für die anderen Scheiben ist die Einrichtung von altersgerechten Wohnungen. Schließlich habe man im Neustadt Centrum alles an einem Ort. Andreas Schachtschneider räumte noch mit dem Märchen auf, die Einwohner der Altstadt seien gegen den Erhalt der Scheiben. Er habe Zuspruch quer durch Halle erhalten. „Aber die Bürger glauben nicht daran, dass sie wirklich was entscheiden können.“
André Stettin vom Bürgerverein Stadtgestaltung meinte, bei Halle-Neustadt seien die Bedenken im Rat offenbar besonders groß. Bei der Berliner Brücke und der damaligen Kostensteigerung hätte es keine großen Einwände gegeben. Und auch die Aussage, erst jetzt habe die Stadt die Möglichkeit, will er nicht gelten lassen. Das Land habe bereits der damaligen Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados die Scheibe C für 0 Euro angeboten. Sie habe sich aber nicht im Ansatz die Mühe gemacht, die Idee in den Stadtrat einzubringen. Johannes Krause meinte dagegen, die jetzigen Diskussionen gebe es nur, damit so etwas wie bei der Berliner Brücke nicht noch einmal passiert. „Wir wollen, dass es hält und Substanz hat. OB Wiegand verwies dagegen auf eine vorhandene wirtschaftliche Analyse. Auch der maximale Mietpreis von 9.90 Euro pro Quadratmeter sei genau errechnet. „Die Investoren gehen davon aus, dass sie damit gut arbeiten können.“ Architekt Frießleben würde eine Mitarbeit an der Revitalisierung der Scheibe „reizend“ finden. OB Wiegand meinte, ähnliche Projekte in Leipzig würden zeigen, dass eine Herrichtung machbar sei. Auch sei die Grundsubstanz in Ordnung. „Der Beton aus DDR-Zeiten ist unübertroffen.“ Im Stadtrat werde nur „palavert“, meinte ein weiterer Gast, „der Stadtrat kommt mir manchmal vor wie Kabarett.“ Der Rat habe Neustadt auf das Nebelgleis schieben wollen, beispielsweise mit der angedachten Schließung des Friedhofs. Beim Markt, der Sanierung der Leipziger Straße oder dem MMZ-Bau habe der Rat kein gutes Bild abgegeben. Er habe den Eindruck, wäre die Scheiben-Idee von den Parteien gekommen, „wäre diese Diskussion nicht entstanden.“ In Richtung Johannes Krause äußerte er: „Sie schmeißen dem OB solange Knüppel zwischen die Beine wie er im Amt ist.“ Doch das Volk habe ihn gewählt. „Und wir hoffen, dass er es wieder wird.“ Kritik, die Johannes Krause nicht stehen lassen wollte. Er sei einer der größten Kritiker bezüglich der Kostenerhöhung bei der Berliner Brücke gewesen. Zudem sei viel geschafft worden in der Stadt. „Ich versuche, mein Mandat so redlich wie möglich zu machen.“ Dass die Diskussionen im Stadtrat oft nicht in die Tiefe gehen, sei nicht verwunderlich, denn dafür seien die Fachausschüsse da.
Und wenn schon von Seiten der Neustädter keine Kritik am Vorgehen Wiegands aufkommt, dann muss der SPD-Ortsverband Neustadt eben persönlich ran. Heinrich Wunderlich, etlichen auch noch wegen der Klage am Gimritzer Damm bekannt, wollte die Namen der Investoren wissen und ob es sich nicht um ein „Inhouse-Geschäft“ handeln könnte. Die Namen der Investoren wollte Wiegand nicht nennen. „Lassen Sie sich überraschen“, sagte er.
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