Unterrichtsversorgung in Sachsen-Anhalt: Reaktionen der Parteien
Einen Tag vor der Zeugnisübergabe an die fast 192.000 Schülerinnen und Schüler hat der Bildungsminister Sachsen-Anhalts in seiner heutigen Regierungserklärung dargestellt, wie er den Unterricht in den nächsten Jahren sichern will.
Zur heutigen Regierungserklärung „Gute Unterrichtsversorgung als Kern guter Bildungspolitik“ von Bildungsminister Marco Tullner (CDU) erklärte die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Angela Kolb-Janssen, dass „eine gute Unterrichtsversorgung Grundvoraussetzung für gute Bildung ist. Der derzeitige Zustand von nur 98 Prozent Unterrichtsversorgung ist alarmierend. Wir brauchen dringend mehr Lehrerinnen und Lehrer.“ Die SPD-Landtagsfraktion hält deshalb an ihrem Vorschlag fest, durch eine solidarische Umlage von 0,5 Prozent auf die Personalhaushalte aller Ministerien eine personelle Flexibilitätsreserve zu schaffen, um in den nächsten zwei Jahren 250 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer einzustellen – über den Ersatz für die aus dem Schuldienst ausscheidenden Lehrkräfte hinaus. „Ich begrüße ausdrücklich die Ankündigung des Ministers, keine Erhöhung der Wochenstundenzahl bei unseren Lehrkräften vorzunehmen. Darüber hinaus bleibt aber unklar, ob und in welchem Umfang die vorgeschlagenen Maßnahmen zu mehr Lehrerinnen und Lehrern in den Schulen führen“, erklärte Kolb-Janssen weiter. „Die Referendare unserer Universitäten werden nicht einmal ausreichen, um die Altersabgänge zu füllen. Es war keine kluge Idee, 105 Sprachlehrkräfte zum 3. Januar 2017 zu entlassen, denn dadurch ist die Unterrichtsversorgung weiter gesunken.“ Von den im letzten Schuljahr eingestellten 189 Sprachlehrern wurden nur 84 weiterbeschäftigt, die zum Schuljahresende ebenfalls ausscheiden. „Um die Unterrichtsversorgung in den nächsten Jahren zu sichern, brauchen wir so schnell wie möglich konkrete Maßnahmen und Weiterbildungsangeboten für Quer- und Seiteneinsteiger“, so Kolb-Janssen.
Zur heutigen Regierungserklärung des Ministers für Bildung im Landtag von Sachsen-Anhalt gibt die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion von Sachsen-Anhalt, Angela Gorr, folgende Stellungnahme ab: „Sicherlich ist das Thema Unterrichtsversorgung nicht das einzige bildungspolitische Thema. Aber eines steht auch fest: Ohne ausreichende Unterrichtsversorgung ist in >Schule< alles Nichts! Deshalb ist es die zentrale und vordringliche Aufgabe der Schulbehörden, aber auch die der Verantwortlichen für Bildungspolitik in diesem Land, die Unterrichtsversorgung an unseren Schulen auf einem ausreichend hohen Niveau zu halten. Bei der Betrachtung und Einschätzung, ob die Unterrichtsversorgung ausreicht, müssen allerdings auch regionale Unterschiede von Schule zu Schule in Rechnung gestellt werden. Wenn an einer Schule einer bestimmten Schulform landesweit die Versorgung noch bei über 100 Prozent liegt, dann kann dies auch bedeuten, dass an einer anderen Schule derselben Schulform die Versorgung leider unter 100 Prozent liegt. Diese landesweiten Durchschnittswerte gilt es zu berücksichtigen und richtig zu interpretieren. Wenn es uns als Koalition gemeinsam mit dem Ministerium für Bildung gelingt, in den kommenden Jahren die altersbedingt ausscheidenden Lehrkräfte vollständig durch Neueinstellungen zu ersetzen, dann haben wir gute Voraussetzungen geschaffen, unser Ziel zu erreichen. Die mehr als 720 Neueinstellungen im letzten Jahr sind Beleg für unsere Anstrengungen. Sorgen bereitet mir eher die Frage, ob wir zukünftig überhaupt genügend Lehrkräfte rekrutieren können, die unseren Qualitätsansprüchen für den Lehrerberuf entsprechen. Hier gilt es, das Augenmerk zu schärfen und die Referendarausbildung auf unserem hohen Standard zu halten.“ In der heutigen Regierungserklärung zu Unterrichtsversorgung in Sachsen-Anhalt hat der Bildungsminister Marco Tullner einen Maßnahmenkatalog vorgestellt. Dazu kommentiert der bildungspolitische Sprecher der Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Wolfgang Aldag: „Die Unterrichtsversorgung in Sachsen-Anhalt liegt durchschnittlich bei ca. 99 Prozent (Stand: 21.09.2016) für alle Schulformen. Einige Schulformen liegen mit 97 Prozent (Gemeinschaftsschulen) deutlich darunter und andere haben einen guten Ausgangspunkt mit 104 Prozent (berufsbildende Schulen). Eine Unterrichtsversorgung von durchschnittlich 103 Prozent aktiv ist das erklärte Ziel der Koalition und daran müssen wir weiter arbeiten. Das Ziel ist noch nicht in Sicht.“ „Die Lehrkräfte, Schulleiterinnen und Schulleiter und auch die Eltern da draußen erwarten, dass wir jetzt Perspektiven aufzeigen und handeln, wie wir den gegenwärtigen und anstehenden Herausforderungen gerecht werden wollen. Ich denke aber, dass zehn Monate ein ausreichendes Zeitfenster für eine angemessene Einarbeitung aller Akteure auf diversen Entscheidungsebenen sind, um den Herausforderungen progressiv und mit Lösungen zu begegnen.“ „Ich begrüße ausdrücklich die Ankündigung des Ministers, keine Erhöhung der Wochenstundezahl bei unseren Lehrkräften vorzunehmen. Wir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, plädieren außerdem seit langem dafür, mehr Verantwortung in die Schulen vor Ort zu geben, so dass die Schulen selbstständig arbeiten können. Die Schulleitungen bestimmen dann selbst über Personen und pädagogische Konzepte und darüber wie viel Geld in Lehrmittel oder in Personal investiert wird. So sieht es auch der Koalitionsvertrag vor. Wir werden darauf drängen, dass wir unsere Forderung und die von Minister angekündigten Maßnahmen im Dialog umsetzen.“ „Die Herausforderungen liegen auf dem Tisch und das Schuljahr 2017/2018 steht an. Die BÜNDNISGRÜNE Fraktion ist gewillt, zusammen mit den Koalitionsfraktionen und Ihnen, Herr Minister Tullner, den Koalitionsvertrag umzusetzen und gute Bildung in Sachsen-Anhalt für alle zu ermöglichen. Dazu erwarten wir vom Minister Tullner ein klares Zeichen, eine verbesserte Kommunikation und den angekündigten Start eines offenen Dialogs.“ Die angedachten Maßnahmen sind kaum belastbar, einige sogar kontraproduktiv, meint die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften. Vieles bleibt im Unklaren. Aus Sicht der GEW sind konkrete Einstellungszahlen über die nächsten Jahre der entscheidende Faktor für alle weiteren Planungen. Mit dem gesetzten Ziel von 14.500 vollen Lehrerstellen gibt es einen ersten Lichtblick in einem System, das über Jahre von einem enormen Abbau geprägt war. Die Entwicklungen der letzten Monate zeigen aber, dass dieser Weg ein sehr steiniger wird. „Im letzten Jahr fand trotz der höchsten Einstellungszahlen seit Jahrzehnten noch weniger Unterricht regulär statt. Insgesamt haben mehr Lehrkräfte den Schuldienst verlassen als neue hinzukamen“, erklärte dazu heute in Magdeburg Eva Gerth, Vorsitzende der GEW Sachsen-Anhalt. Im Gegensatz zum Bildungsminister sieht sie einen klaren Bezug zu den laufenden Haushaltsberatungen. „Die Regierung und allen voran der Ministerpräsident müssen sich endlich zu konkreten Einstellungszahlen bekennen und dafür auch die notwendigen finanziellen Mittel vorhalten“, sagte Gerth weiter. „Nach unseren Berechnungen muss diese Zahl für die nächsten zehn Jahre bei mindestens 800 liegen.“ Eine Fokussierung auf weniger Abordnungen, veränderte Stundenzuweisungen und die Reduzierung von Anrechnungsstunden werde das System nicht retten und mitunter für neue Verwerfungen sorgen. Dass Minister Tullner die Forderung der GEW nach der Festschreibung der Pflichtstunden der Lehrkräfte übernommen hat, zeugt von einem gewissen Verständnis für die gegenwärtigen Belastungen der Beschäftigten an den Schulen. Die in der Regierungserklärung vorgestellten Ideen zum Ausbau der Ausbildungskapazitäten an den Hochschulen und Seminaren sowie zur Qualifizierung von Seiteneinsteigern müssen schnell und umfassend umgesetzt werden. „Die Grundlage dazu bildet aber das klare Bekenntnis der Regierung, wieviel Bildung sie für die Schülerinnen und Schüler vorhalten will“, schloss Gerth. Nach einem Bericht des Bildungsministeriums hat sich die Unterrichtsversorgung in Sachsen-Anhalt weiter verschlechtert. Trotz enormer Anstrengungen, neue Lehrer einzustellen, ist es nicht gelungen, die Lücken in der Unterrichtsversorgung zu schließen. In Grundschulen, Sekundarschulen, Gemeinschaftsschulen, Gesamtschulen und Förderschulen liegt die Unterrichtsversorgung unter 100 Prozent. Dabei schreibt der Vertrag der Kenia-Koalition 103 Prozent als Zielmarke fest. Dazu erklärt Dr. Hans-Thomas Tillschneider, bildungspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion Sachsen-Anhalt: „Die mangelnde Unterrichtsversorgung ist die Folge eines Lehrermangels, der sich nicht von heute auf morgen beheben lässt. Wir sparen uns deshalb kopflose Forderungen nach Einstellung von mehr Lehrern. Das überlassen wir der Linksfraktion. Gefordert ist ein komplexer Lösungsansatz, der den akuten Mangel überbrückt und gleichzeitig seine Ursachen angeht. Zusätzlich zu den bereits ergriffenen Maßnahmen sollte das Ministerium darüber nachdenken, wie in Hessen Pensionäre zu reaktivieren. Die erfahrenen alten Lehrer sind oft noch die Besten. Langfristig aber muss die Attraktivität des Lehrerberufs gesteigert werden. Das wiederum kann nur gelingen, wenn endlich das Kernproblem des Bildungssystems erkannt und benannt wird: Das schon seit Jahrzehnten sinkende Niveau der Abschlüsse und der immer schlechter werdende Ruf der Institution Schule!“ Der aktuelle Bericht des Bildungsministeriums zeige, dass die Probleme des Landes die Unterrichtsversorgung sicherzustellen, nicht abnehmen, so die FDP. Im Gegenteil. Trotz der Einstellung von 700 Lehrerinnen und Lehrern fallen mehr Stunden aus. Das ist nicht nur den steigenden Schülerzahlen geschuldet, auch die Grippewelle zieht Unterrichtsausfall in Größenordnungen nach sich. "Um dem zeitnah und effizient begegnen zu können, sollte man Mehrstunden bei Lehrerinnen und Lehrern endlich angemessen entlohnen. Die Vergütung dieser Stunden sollte dem Lehrpersonal als vorübergehende Alternative zum Aufbau von Überstundenkonten angeboten werden", so der Vorschlag der stv. FDP-Landesvorsitzenden Dr. Lydia Hüskens. Aktuell versuche das Land, Überstunden durch Freizeit auszugleichen und nur selten, diese finanziell abzugelten. Die aktuelle Vergütung für Mehrstunden stelle zudem keinen hinreichenden Anreiz dar, zusätzliche Unterrichtsstunden zu übernehmen oder sich zusätzlich geleistete Stunden finanziell statt durch Freizeit ausgleichen zu lassen. "Gerade für junge Lehrerinnen und Lehrer könnte eine angemessene Finanzierung aber ein Anreiz sein, vorübergehend mehr Stunden zu übernehmen, bis mit neu eingestelltem Personal die optimale Unterrichtsversorgung wieder sichergestellt werden kann", so Hüskens weiter. Zusätzlich regt die FDP an, für ausfallende Unterrichtsstunden digitalen Ausgleichsunterricht an den Schulen in Sachsen-Anhalt einzuführen. Dieser beinhaltet: themenspezifische Lernvideos, angepasst an die jeweilige Klassenstufe, digitale Experimentierlandschaften, Lernaufgaben. Der Ausgleichsunterricht stellt dabei keinen Ersatz zum Unterricht im üblichen Sinne dar: "Natürlich bleibt es das Ziel, die Unterrichtsversorgung durch ausreichend Lehrkräfte zu garantieren. Der digitale Ausgleichsunterricht kann aber dazu beitragen, bestimmte Lerninhalte gezielt zu festigen und ermöglicht zudem eine individualisierte Unterrichtsplanung", so Hüskens. Insofern wäre der digitale Ausgleichsunterricht Teil der ohnehin vom Land forcierten und mit Bundesmitteln unterstützten Digitalisierung an den Schulen. Bei der Umsetzung regen wir an, die Zusammenarbeit mit den Hochschulen in Sachsen-Anhalt anzustreben.
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