Deutschlands Fahrgastbeiräte treffen sich in Halle (Saale)
In immer mehr Regionen Deutschlands begleiten Fahrgastbeiräte die Entwicklung des Nahverkehrs. Die Stadt Halle (Saale) gilt dabei vielen als Vorbild, denn immerhin gibt es hier schon seit 20 Jahren einen Fahrgastbeirat. Der ist auch bei der Halleschen Verkehrs AG (HAVAG) anerkannt und respektiert. Immerhin bekommt das Unternehmen so direkt von den Fahrgästen gespiegelt, was wichtig ist. Am Freitag und Samstag haben sich rund 60 Vertreter aus ganz Deutschland im halleschen Dorint-Hotel getroffen, um über aktuelle Entwicklungen im Nahverkehr und die Zukunft zu sprechen. Natürlich war auch das Deutschland-Ticket ein Thema, wozu die Beiräte auch eine Resolution an die Politik beschlossen haben, in der eine Fortführung des einfach zu handhabenden Tickets beschlossen wurde.
Doch es ging eben nicht nur darum. Sachsen-Anhalts Verkehrsministerin Lydia Hüskens äußerte sich zur “Verkehrswende”, auch wenn sie diesen Begriff nicht mag. “Wir haben als Deutschland gar nicht die Voraussetzungen, was wir als Gesellschaft beschlossen haben”, sagte sie mit Blick auf fehlendes Personal oder auch Engpässe bei der Infrastruktur. Sie freue sich, dass die Bahn endlich aufgehört habe zu sagen, alles sei gut. Nötig sei jede Menge Geld zur Ertüchtigung der Infrastruktur. Die Gefäße seien zu modernisieren – damit meint Hüskens die Fahrzeuge. Insbesondere die Hochgeschwindigkeitsstrecken seien zu ertüchtigen und die Taktung zu erhöhen. Ein besonderes Problem in Sachsen-Anhalt stellt die Einwohnerdichte dar. “Bis auf Halle und Magdeburg ist alles ländlicher Raum”, sagte sie. Auf das ganze Land gerechnet gibt es eine Einwohnerdichte von 107 Personen pro Quadratkilometer. Das ist schon wenig als beispielsweise die Eifel, diese Region gilt in Rheinland-Pfalz als dünnbesiedelt. Betrachtet man beispielsweise die Altmark, dann kommt diese Region auf gerade einmal 29 Personen pro Quadratkilometer. “Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen.” Dann natürlich bedeuten weniger Einwohner auch weniger potentielle Fahrgäste. Sachsen-Anhalt habe aber das Ziel zumindest die Grundzentren stündlich an den ÖPNV anzuschließen. Auch sprach sich Hüskens für mehr Digitalisierung aus, das sei nötig, um dichtere Taktfolgen zu ermöglichen. Das Auto sei derzeit im ländlichen Raum oft ohne Alternative. Deshalb wolle man den ÖPNV vernetzter denken, Bus on demand-Systeme sollen eingerichtet werden.
HAVAG-Vorstand Vinzenz Schwarz stellte das Unternehmen den Besuchern vor. So beschafft die Hallesche Verkehrs AG 56 neue Straßenbahnen vom Typ “Tina” für insgesamt 172 Millionen Euro. Der Fahrgastbeirat war in die Entwicklung mit einbezogen, weshalb die Türen in den neuen Bahnen mit 1.50m um 20 Zentimeter breiter sind als die MGT6D-Züge, die ausgemustert werden sollen. Ende kommenden Jahres werden die ersten Straßenbahnen erwartet. 85 Prozent der jährlich 56 Millionen Fahrgäste nutzen die Straßenbahn. Das liege daran, dass die Busse in Halle als Zubringer zu den Bahnen fungieren und es deshalb die wenig wirtschaftliche Parallelverkehre von Bus und Bahn nicht mehr gibt. Die beiden Expressbuslinien von Neustadt und der Silberhöhe in den Star Park werden immer besser angenommen. Derzeit sollen die Bordrechner zwischen HAVAG und den Regionalbusunternehmen kompatibel gemacht werden. Dadurch sollen die Fahrer mögliche Verspätungen der jeweils anderen Fahrten angezeigt bekommen, um somit noch kurz warten zu können. Im Gespräch ist ja immer wieder eine “Taktverstärkung” – also ein 10-Minuten-Takt auf allen Straßenbahnlinien. Dazu sei man bezüglich der Finanzierung in Gesprächen mit dem Land. Solch eine Änderung würde aber auch mit einer Linienreform einhergehen. Das betrifft Streckenäste, auf denen drei und mehr Linien unterwegs sind. Zum Deutschlandticket konnte Schwarz ausführen, dass es derzeit 37.000 Nutzer bei der HAVAG gibt, die Hälfte davon sind Neukunden. Aber 50 Prozent der Abokunden bleiben auch bei ihrer alten Karte, auch wenn die teurer ist als das Deutschlandticket. Das liegt auch an den Mitnahmeregeln – abends und am Wochenende kann man mit diesen Tickets noch einen Erwachsenen und bis zu drei Kinder mitnehmen, zudem sind diese Tickets teilweise übertragbar.
Zu Wort kam auch Steffen Lehmann vom Mitteldeutschen Verkehrsverbund (MDV). Der berichtete von Änderungen, die durch den MDV bei den Busunternehmen umgesetzt werden konnten. Die Busnetze wurden umgebaut, rund 150 neue Haltestellen sind über die Jahre hinzugekommen – um kürzere Wege zu den Buslinien zu ermöglichen. Lehrmann berichtete von Gewerbegebieten, an denen zwar die Bus vorbei gefahren sind, es dort aber keine Haltestellen gab. Das wurde geändert. 50 Plusbus (stündlich) und Taktbus-Linien sind eingeführt worden. Das Deutschland-Ticket sei “aus perspektive der Menschen ist es eine coole Sache.” Allerdings reduziere es durch geringere Einnahmen den Gestaltungsrahmen der Verkehrsunternehmen und Kommunen. “Es braucht zwingend Wege zur Finanzierung des Nahverkehrsangebotes.” Bei einigen Busunternehmen hat das Ticket zu einem großen Fahrgastanstieg geführt. So habe ein Unternehmen ursprünglich überlegt, Kleinbusse anzuschaffen. Nun redet jenes Unternehmen von Gelenkbussen. Zudem biete das Deutschland-Ticket die Chance einer Vereinheitlichung der Kontrollstandards, aber auch der Reduzierung der bisher hundert verschiedenen Apps. Braucht es aber angesichts des Deutschland-Tickets überhaupt noch Verkehrsverbünde? Ja, findet Lehmann. Denn die Tarifgestaltung sei nur ein kleiner Teil der Aufgaben. Stattdessen gehen es beispielsweise um die Vernetzung der Verkehrsleistungen untereinander oder Haltestellenbau.
Es gab auch noch eine kleine Podiumsdiskussion. Verkehrsministerin Lydia Hüskens sprach die unterschiedlichen Zuständigkeiten von Bund, Land und Kommunen an. “Aber das interessiert den Nutzer natürlich nicht.” Sie respektiere zwar kommunale Selbstverwaltung. Aber man dürfe nicht aus den Augen verlieren, dass die Kommunen die ihnen auferlegten Leistungen auch finanziell stemmen können. Er stelle fest, das oft schon die Stadtgrenzen, meist aber auch die Ländergrenzen ein Problem sind, sagte ein Tagungsteilnehmer. Ein anderer Mann sprach sich für die Schaffung von regionalen Knotenpunkten aus. Als Beispiel nannte er den Ort Sandersleben. Dort halten zwei verschiedene Zuglinien. Die sind aber nicht aufeinander abgestimmt. Wenn man das ändert, könnten sich die Fahrbeziehungen durch einfache Umstiege ohne lange Wartezeit verdoppeln. Zudem kritisierte er auch, dass jedes Bundesland für sich die Liniengestaltung macht und es kaum Abstimmungen gibt. Beispielhaft ist der einstige Regionalexpress von Halle nach Hannover. Der wurde auf zwei Linien aufgeteilt, nun muss in Goslar umgestiegen werden. Verkehrsministerin Hüskens betonte in der Debatte, dass Sachsen-Anhalt aktuell keine stillgelegten Strecken entwidmen wird, so dass eine Inbetriebnahme bei Bedarf einfacher wird. Hüskens betonte aber auch, dass sich für 200 Einsteiger am Tag keine Schienenverbindung lohnt. Bezüglich der Zugverbindung im Harz gebe es aber weiterhin Gespräche mit Niedersachsen. MDV-Chef Steffen Lehmann verwies auf den Föderalismus. “Jedes Land bestellt in eigener Verantwortung, es sei denn es gibt länderübergreifende Verkehrsverbünde wie den MDV, wo eine gemeinsame Planung erfolgt. Zudem werden auch die Gespräche zwischen der Politik und den Verkehrsunternehmen einfacher. Die rund 60 Verbünde vertreten 2.000 Verkehrsunternehmen. Ohne die Verbünde müsste die Politik mit jedem einzelnen Unternehmen sprechen.
HAVAG-Chef Schwarz hob das Förderprogramm “StadtLand+” hervor. 16 Maßnahmen in Halle und dem Umland können dadurch umgesetzt werden. “Wir waren begeistert, dass der Bund ideenoffen agiert hat”, so Schwarz. Inzwischen habe der ÖPNV bei vielen Landräten eine andere Wertigkeit erhalten, sagte Verkehrsministerin Hüskens.
Ein Thema war auch die Personalsituation. Viele Unternehmen haben mit Fahrermangel zu kämpfen. “Wir befassen uns branchenweit zu wenig mit dem Thema”, befand HAVAG-Chef Schwarz. “Wir können nicht über mehr Verkehr reden, wenn wir das gar nicht anbieten können.” Ein Thema ist natürlich die Zahlungen, doch es geht auch um Arbeitsbedingungen. So habe man mit dem Fahrpersonal die Pausen optimiert. Nötig sei es, die Menschen für die Branche zu begeistern. Wie Schwarz berichtete, haben die HAVAG in diesem Jahr schon über 500 Bewerbungen erreicht. Doch nur ein Bruchteil davon erfüllt die Voraussetzungen. Man müsse inzwischen mehr Aufwand in die Personalgewinnung investieren. Ähnlich sich das MDV-Chef Lehmann. “Wir müssen die Wertigkeit des Berufsfahrers im Nahverkehr aufwerten.” Ihm fehle da der Blick aus der Politik und Wirtschaft.
Ein Mann aus Berlin sprach noch das Thema Auto und Bahn an, also beispielsweise P+R-Plätze. Ein Thema, um das sich Sachsen-Anhalt bereits kümmert. Verkehrsministerin Hüskens verwies auf das Schnittstellenprogramm des Landes, wodurch bereits an vielen Bahnhöfen Parkplätze für Pendler entstanden sind. Und auch die Stadt Halle geht hier mit einem positiven Beispiel voran. “Unsere Prämisse ist es, an jeder Endhaltestelle gute Verknüpfungspunkte zu errichten.”
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