Böllberger Weg: Mischverkehr statt Künstlerhaus-Abriss
Das Künstlerhaus 188 muss stehen bleiben, so hatte es ein Gericht entschieden. Eigentlich wollten Stadt und HAVAG die einstige Weingärten-Schule abreißen, um hier den Böllberger Weg zu verbreitern. Wegen des Gerichtsentscheids musste umgeplant werden.
Und so hat der Stadtrat am Mittwoch bei einer Enthaltung die neuen Baupläne beschlossen. Die sollen voraussichtlich in drei Jahren umgesetzt werden. Dabei geht es um den Abschnitt zwischen Torstraße und Künstlerhaus. Die Straßenbahn wird hier kein eigenes Gleisbett bekommen, sondern sich den Straßenraum mit den Autos teilen.
Christian Feigl (Grüne) erinnerte an die langen Diskussionen zum Erhalt des Künstlerhauses in der Vergangenheit. Lange habe die Stadt gesagt, es gehe nicht ohne Abriss. „Und nun geht es doch.“ Er appelliere für künftig Diskussionen: „Kompromisse müssen möglich sein, nicht nur im Rat, auch städtebaulich.“ Feigl freue sich, ein Stückchen Stadt gerettet zu haben.
Der nun beschlossene Gestaltungsbeschluss sieht vor, dass sich im Bereich des Künstlerhauses Autos und Straßenbahn eine Spur teilen. Ursprünglich wollte die HAVAG als Bauträger ein eigenes Gleisbett, dies würden die Fördermittelbedingungen so verlangen. Doch weil durch den untersagten Abriss nicht einmal 15 Meter Straßenquerschnitt bereit stehen, ist diese Lösung nicht möglich. So werden sich als am Künstlerhaus als „Engpass“ Straßenbahnen und Autos den gleichen Verkehrsraum teilen, während im restlichen Böllberger Weg die „Bimmel“ ein eigenes Gleisbett hat. Der Kurvenradius der Gleise zwischen Torstraße und Böllberger Weg wird vergrößert. Hierzu ist es nötig, Teile eines Eckgrundstücks zu erwerben. Dort hatte bis vergangenes Jahr noch ein Haus gestanden, dass einem Feuer zum Opfer fiel und wenig später abgerissen wurde.
Auf der Ostseite des Böllberger Wegs, also an der Wohnbebauung, wird es einen 2.50m breiten Geh- und einen 2.10m breiten Radweg geben, also regelkonform. Aus Platzgründen ist das auf der Westseite am Künstlerhaus nicht möglich. Dort wird der Radweg 1.50m breit, der Fußweg 2.20m.Ursprünglich wollte man dort ohnehin nur einen gemeinsamen Geh- und Radweg errichten. Auf Wunsch des Radfahrbeauftragten gebe es nun aber doch den separaten Weg. Die Kreuzung zur Torstraße bekommt eine Ampel.
Ein Stadtrat mit Sinn für Realität würde sich erst freuen, wenn das Haus sich auch selber trägt.
Städtebaulich ist es egal, ob das Haus sich selber trägt oder ob es verkauft und privat betrieben wird. Realität ist, dass ein Wohngebiet, das nur aus Straßen und nicht aus Häusern besteht, städtebaulich nicht attraktiv ist. Das Haus selbst mag vielleicht sogar ein Minusgeschäft sein, aber das Umfeld profitiert davon und erzeugt, ganzheitlich betrachtet, möglicherweise auch finanziell einen positiven Anreiz. Sowas nennt man „weiche“ Standortfaktoren. Um das zu verstehen, muss man aber auch ein bisschen um die Ecke denken können – das ist der wahre Sinn für Realität.
Wie profitiert denn das Umfeld vom Künstlerhaus finanziell?
Indem „hochwertiger Wohnraum“ in einem städtebaulich weitgehend intakten Umfeld geschaffen werden kann, statt an einer breiten Straße mit Blick auf zur Straße hin sichtbare Hinterhöfe und/oder Parkplätze (und wenn ich mich richtig erinnere, sollen im Gebiet der „Weingärten“ tatsächlich Wohnungen gebaut werden). Mit „städtebaulich weitgehend intakt“ meine ich explizit nicht den Erhaltungsstand der bestehenden Gebäude, sondern die gesamte städtebauliche Struktur, also das Netzwerk aus Blockrandbebauung und Straßen. Und – wer weiß – vielleicht motiviert eine saubere, sanierte Straße auch die Besitzer der angrenzenden Gebäude zu einer Sanierung und somit Schaffung von (bezahlbarem) Wohnraum? In anderen Straßen hat das auch funktioniert.
Und du meinst, in Halle wollen nur Nichtautofahrer wohnen? Das sieht aber anders aus, wenn ich eine Parklücke suche.
Na wie geht das denn zusammen, dass die Mieten im Paulusviertel im Durchschnitt höher sind als in Halle-Neustadt? Offensichtlich wollen selbst viele Autobesitzer lieber in tendenziell autounfreundlichen Vierteln wohnen. Klar ist das ein Widerspruch, aber ich vermute, dass (relativ) geschlossene, abwechslungsreiche Blockrandbebauung irgendwas an sich hat, das die Leute attraktiv finden. Wenn man das für breite Hauptverkehrsstraßen opfert, dann hat man sowas wie vom Übergang der Merseburger Straße zum Riebeckplatz. Und auch da sind die Mieten und der Anspruch der Mieter entsprechend geringer.
Für alternativlose Situationen gibt es Alternativen. Sollte in zukünftigen Diskussionen nicht vergessen werden.