CDU Sachsen-Anhalt: „das Soziale mit dem Nationalen versöhnen“

Ein aktuelles Diskussionspapier der CDU sorgt derzeit für Diskussionen in der Landespolitik. Zum einen werben die Verfasser dafür, das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen. Geschimpft wird über linke Politik und like Medien, Gutmenschentum und Klimaverständnis. „Der Sehnsucht nach Heimat und nationaler Identität ist durch eine klare Abgrenzung gegen multikulturelle Strömungen linker Parteien und Gruppen entgegenzutreten. Nationale Identität, Stolz und Heimatverbundenheit haben nichts mit nationalsozialistischer, rechtsradikaler oder revanchistischer Politik zu tun“, heißt es in dem Schreiben. Verfasst haben es die Landtagsabgeordneten Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer. Thomas ist CDU-Vorsitzender im Landkreis Harz, Zimmer der stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Landtag.
„Mit diesem Vorstoß wird überdeutlich, dass eine Stimme für die CDU bei der nächsten Landtagswahl eine Stimme für eine Regierungsbeteiligung der AfD bedeuten kann. Welcher Gefahr damit für die Demokratie und den sozialen Zusammenhalt droht, hat die AfD immer wieder mit ihren Anträgen gezeigt, zuletzt mit ihrem Antrag, das Mittel eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses als Tribunal gegen demokratische Organisationen zu missbrauchen und so den Boden für deren Beseitigung zu bereiten“, erklären der Linken-Landesvorsitzende Andreas Höppner und der Linken-Fraktionsvorsitzende Thomas Lippmann. „Die CDU muss deutlich machen, wo Konservativismus endet und wo völkischer Nationalismus beginnt.“, hat zuletzt Ruprecht Polenz, der ehemalige Generalsekretär der Bundes-CDU, in einem Gastbeitrag für SPIEGEL ONLINE geschrieben. Die CDU in Sachsen-Anhalt ist gut beraten, das zu beherzigen. Dass Thomas und Zimmer davon schreiben, das „Nationale“ mit dem „Sozialen“ versöhnen zu wollen, ruft historische Anleihen auf, die erschreckend sind. Genauso die Übernahme unbelegter Behauptungen der extremen Rechten, wie die einer angeblichen „Zunahme an neuer brutaler Kriminalität“ im Kontext von Migration. Die CDU muss nun dringend zwei Fragen für sich klären. Will sie weiter Teil des demokratischen Spektrums bleiben, oder will sie aus purem Machterhalt dieses durch den Schulterschluss mit den Rechtsaußen verlassen. Und welche Verantwortung trägt die Partei selbst für das Erstarken der extremen Rechten durch die fortschreitende Übernahme rechter Parolen in ihre politische Agenda. Wenn die CDU-Führung hier jetzt keine Klarheit schafft, müssen SPD und Bündnis90/Die Grünen die Grundlagen der Zusammenarbeit neu bewerten. Die Kenia-Koalition war als Zweckgemeinschaft gebildet worden, um ein „Bollwerk von Demokraten gegen die AfD“ zu bilden. Diese gemeinsame Grundlage hätte die CDU dann endgültig zerstört. Eine Fortführung wäre eine Farce und würde die politische Arbeit im Land vollständig lähmen.“
Die „Denkschrift“ aus der CDU-Landtagsfraktion für eine mögliche Koalition mit der AfD führt in der SPD Sachsen-Anhalt zu großer Besorgnis über die Verlässlichkeit der Zusammenarbeit mit der CDU in der gemeinsamen Regierungskoalition mit den Grünen. „Wenn es der CDU-Landesvorsitzende Holger Stahlknecht nicht endlich schafft, eine Linie in seinen Laden zu bekommen und alle in der CDU auf eine konstruktive Zusammenarbeit der Demokraten einerseits und klare Abgrenzung von der AfD andererseits zu verpflichten, dann wird es wirklich eng“, erklärt der SPD-Landesvorsitzende Burkhard Lischka. „Solche Vorstöße setzen das aufs Spiel, was Reiner Haseloff immer die ,Koalition der Vernunft‘ nennt. Und es lässt erst recht das Schlimmste für die Zeit nach der nächsten Landtagswahl befürchten.“ Zur Zusammenarbeit in der Koalition ergänzt die SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Pähle: „Beschlüsse reichen nicht aus. Wir haben es schon nach dem Eklat in der Landtagssitzung im Mai gesagt: Wir messen die CDU an ihren Taten, insbesondere an der Verlässlichkeit in der Umsetzung der gemeinsamen Beschlüsse und an der Unterstützung für die gemeinsam getragene Landesregierung.“ Pähle erinnerte daran, dass die SPD sich 2016 für die Koalition entschieden hatte, damit Rechtsextremisten keinen Einfluss auf die Landespolitik bekommen können: „Das ist die rote Linie.“
Zu dem Forderungspapier von den Mitgliedern der CDU-Landtagsfraktion Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer erklärt Susan Sziborra-Seidlitz, Landesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt: „Die CDU Sachsen-Anhalt muss sich bekennen, ob sie sich weiter als Teil der demokratischen Mitte versteht. Wir sind in diese Koalition eingetreten, um die Mitte zu stabilisieren. Das ist unsere Arbeitsgrundlage. Hochrangige Politiker in der CDU Sachsen-Anhalt werben nun öffentlich für eine Koalition mit der rechtsextremen AfD. Sie tun dies mit der empörend geschichtsvergessenen Aussage, man müsse „das Soziale und das Nationale wieder miteinander versöhnen“. Das zeigt, dass in der CDU gehörig etwas ins Rutschen gekommen ist. Wir erwarten eine klare und konsequente Distanzierung unseres Koalitionspartners von diesem Papier und wir erwarten ein Bekenntnis zum Kurs der demokratischen Mitte. Die CDU in Sachsen-Anhalt muss ein Bündnis mit der AfD klar ausschließen.“ Auch die Landesvorsitzende Britta-Heide Garben sieht den Ausfall als ein Problem der CDU: „Demokraten stehen mit beiden Beinen auf dem Grundgesetz. Wir sind nach wie vor der verlässliche, sachliche Anker dieser Koalition. Wir werden die Grundwerte verteidigen und nicht Rechts blinken.“
Das Diskussionspapier der CDU in voller Länge:
Die Wahlergebnisse der Union erodieren seit der Flüchtlingskrise im Jahre 2015 auf allen Ebenen. Die leichten Zugewinne der CSU zur Europawahl und der überraschende Wahlsieg im kleinsten Bundesland Bremen können die Verluste nicht kompensieren. Bei den kommenden Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt droht der CDU ein Fiasko. Nur durch große Vorsprünge aus der Vergangenheit konnte zu den Kommunal- und Europawahlen der Spitzenplatz unter erheblichen Verlusten gehalten werden. Dank einer hauptamtlichen Struktur gelang es, landesweit über 4500 Kandidaten zu mobilisieren.
Auf Bundes- und Landesebene wird in der Öffentlichkeit der Eindruck des Regierens um des Regierens Willen erweckt. Das thematische Agieren der Koalitionspartner SPD und Grüne erhält zunehmend eine Eigendynamik, die weder den Vereinbarungen des Koalitionsvertrages entspricht, denn die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der Koalitionen auf Bundes- und Landesebene widerspiegelt. Dies wird innerhalb der CDU, aber auch bei den Wählerinnen und Wählern im Land immer weniger akzeptiert.
Die SPD ist im freien Fall und droht sich in den kommenden Monaten durch eine anstehende Personaldiskussion weiter zu schwächen. Die AfD als Neupartei hat beachtliche Wahlergebnisse eingefahren, in Ostdeutschland stellt sie den größten Konkurrenten für die CDU dar. Skandale, Straftaten und politische Fehlhandlungen hatten bisher auf das Wahlverhalten der AfD-Wähler keinen Einfluss. Die linksorientierte Medienberichterstattung stärkt die AfD als Protestpartei und hilft ihr, große Teile der Nichtwählerschaft zu aktivieren. Die Grünen profitieren vom Wohlstandsmainstream vor allem in den westdeutschen Großstädten. Sie setzen die Spaltung der Gesellschaft zwischen Stadt und Land weiter fort. In den neuen Bundesländern zünden deren Themen bisher kaum, so dass eine weitere Spaltung zwischen West- und Ostdeutschland vorprogrammiert ist. Bisher profitiert die Partei ausschließlich von einer gutsituierten Wohlstandsschicht, die im zehnten Jahr des Wirtschaftsbooms plötzlich grüne Themen entdeckt. Die aktuelle Stärke der Grünen speist sich aus der Verweigerungshaltung einer öffentlichen Diskussion zu zentralen gesellschaftlichen und politischen Themen, aber auch zur Migrationspolitik. Spätestens nach dem Abflauen des Hypes, wird die Vielfalt dieser für die Grünen ungelösten Fragen, wieder deren allgemeines Erscheinungsbild bestimmen.
Die kommenden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen werden absehbar nicht an die alten Erfolge anknüpfen können. Die Themen des Ostens sind nicht die Themen des Westens. Die Biografien in den neuen Ländern sind durchweg geprägt von erheblichen Umbrüchen. Die Wahlergebnisse zeigen deutlich, dass es der CDU nicht gelungen ist, diese unterschiedlichen Befindlichkeiten politisch zu nivellieren.
EU-Ebene:
Das europäische Parlament hat es bisher nicht geschafft, die Abstraktheit der EU-Politik auf die nationalen Ebenen herunterzubrechen. In der Flüchtlingspolitik hat die EU versagt. Regierungen, die sich erfolgreich gegen die Flüchtlingsströme stellen, werden als Rechtspopulisten stigmatisiert. Der Einlassung des Unionsspitzenkandidaten Weber diesbezüglich war überflüssig. Der ungelöste Brexit und die schlechte allgemeine Situation der EU überlagern alle anderen Politikfelder. Nicht zuletzt war die Flüchtlingskrise eines der Hauptargumente für das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU.
Europa wird durch die Menschen nicht mehr als Lösung, sondern als Teil des Problems empfunden. Insbesondere hierzulande sinkt die Zustimmung zur EU rapide. Deutschland wird zunehmend als Zahlmeister ohne Einfluss wahrgenommen. Die Nullzinspolitik der EZB und die üppigen Verschuldungsraten der Mitgliedsländer verunsichern das spargewohnte und eigentumsstarke Deutschland. Wiederkehrende Reparationsansprüche von Polen und Griechenland heizen die Stimmung weiter an.
Das Versagen bei der Aufteilung der Flüchtlinge auf einzelne Mitgliedsstaaten verstärkt den Eindruck deutschen Einflusses und des Nichthandelns der EU. Die deutsche Politik lässt sich zunehmend an der Nase herumführen, inzwischen gibt es innerhalb der EU Verweigerer und Allianzen (z. B. Visegrád-Staaten), die mit dem Ziel agieren, Deutschlands Leitposition politisch und wirtschaftlich zu schwächen. Die Politik gegen den Wirtschaftsstandort Deutschland durch überhöhte Auflagen, Verordnungen und beim Klimaschutz richtet sich gegen die exportstarken deutschen Unternehmen. Hinzu kommen Liberalisierungsangriffe auf weltweit geachtete Strukturen, wie dem deutschen Ingenieur, den Meister und das deutsche Bildungssystem (Bologna).
Europäische Rechtsprechung im Hinblick auf Sozialleistungen und Flüchtlingspolitik werden in der Regel zu Ungunsten Deutschlands gefällt. Interpool versagt im Kampf gegen die organisierte Kriminalität, unter der vor allem Deutschland aufgrund seiner hohen Sozialstandards und der damit verbundenen Zuwanderung leidet. Europa wird durch die deutschen Wähler als Melkkuh wahrgenommen. Die Ursprünge der AfD, als diese noch den Ausstieg aus dem Euro wollte, sind nicht ernst genommen worden.
Das unglückliche Agieren im Hinblick auf die DSGVO und beim Urheberschutz haben große Teile der vor allem jungen Internet Community ohne Not auf die Seite von Linken und Grünen gebracht und die Position der EU gegen Google (YouTube), Facebook und Co dauerhaft geschwächt. Dieses Versagen hat die Grüne- und Linksbewegung gestärkt, die diese Entwicklung im Kontext der europäischen Klima- und Umweltschutzpolitik umgedeutet hat. Die Wahlergebnisse der Grünen in den klassischen jungen Altersgruppen, die in der Vergangenheit eine sichere Bank für die Union waren, ist ein beredter Beweis dafür. Sollte die deutsche Bundes- und EU-Politik mittelfristig weiterhin mit verhaltener Drohkulisse gegenüber jenen Mitgliedsstaaten, die sich eigenen Interessen verschrieben haben, agieren dann werden radikale und populistische Kräfte nicht nur in Deutschland weiter gestärkt.
Bundesebene:
Die Wahl eines neuen CDU-Generalsekretärs hat sich auf den Europawahlkampf nicht ausgewirkt. Der Umgang mit Influencern, Bloggern und bei YouTube war kontraproduktiv. Der große Schwung des Parteitages im zurückliegenden November ist verpufft. Die Union hat keine Antwort auf den Stillstand in der großen Koalition. Zu Mainstreamthemen, wie Klimaschutz, DSGVO oder zu den durch das EU-Parlament eingeführten Uploadfiltern, gab es sogar fachlich kontraproduktive Antworten. Die Flüchtlingskrise ist nicht im Ansatz gelöst. Die SPD ist vollständig gelähmt und reißt die Union mit. Dies gilt für Entscheidungen im Bundestag wie auch im Bundesrat oder auf Länderebene. Eine völlig devote SPDAußenpolitik, wird nicht mehr als Interessenvertretung Deutschlands wahrgenommen. Unnötige Irritationen der letzten Wochen über die Wirtschafts- und Industriepolitik tangieren die Kernkompetenzen der Union.
Die neue Bundesvorsitzende bemüht sich um eine inhaltliche Schärfung, kann aber nicht offen gegen die amtierende Bundeskanzlerin agieren. Dies ist ein Dilemma. Die Union braucht einen klaren Kompass, was in dieser Wahlperiode noch erreicht werden soll. Das Befrieden der innerparteilichen Flügel hat viel Kraft gekostet, aber in der Öffentlichkeit wenig erreicht.
Der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und sozialer Leistungsfähigkeit muss neu gedacht und politisch diskutiert werden. Dies gilt auch für die Neujustierung auf Personen, die künftig diesen Grundsatz über unterschiedliche Politikbereiche glaubhaft und argumentativ verkörpern. Der Kurs der asymmetrischen Demobilisierung und Beliebigkeit ist gescheitert. Die Union muss sich vom Koalitionspartner emanzipieren. Es bedarf wieder einer neuen Streitkultur um den besten politischen Weg.
Der klassische Mittelstand, als Kernklientel der Union, ist seit langem enttäuscht. Die letzte Steuerreform fand in den Achtzigerjahren unter Gerhard Stoltenberg statt, die letzte Sozialstaatsreform hat ausgerechnet rot-grün zu verantworten. Das einzige Argument der Union auf Bundesebene war über Jahre die Kernmarke Merkel. Nach dem schrittweisen Rückzug der Bundeskanzlerin offenbart sich das wahrnehmbare Dilemma der Union. Neben der Abschaffung der Wehrpflicht und der Einführung eines Mindestlohns bleibt eine überteuerte Stromrechnung aus der Ära zurück.
Deutschland wählt immer noch mehrheitlich konservativ. Der bisherige politische Kurs hat jedoch dazu geführt, dass die konservativen Wähler nur bis zum Erscheinen der AfD und mangels Alternative bei der Union verblieben sind. Gleichzeitig blieb der Anteil der Nichtwähler in den zurückliegenden Jahren konstant hoch. Diese Wähler müssen zurückgewonnen werden. Dies kann nur mit klaren Botschaften in der ungelösten Flüchtlingsfrage, der Klima- und Umweltpolitik, der Wirtschafts- und Energiepolitik, in der Innen- und Sicherheitspolitik, im Umgang mit EU-Mitgliedstaaten oder bei zentralen sozialen Themen gelingen. Die ungesteuerte Migration, die Zunahme an neuer brutaler Kriminalität und ein völlig unvorbereiteter Rechtsstaat drohen die Sympathie für das Demokratiemodell zu überdehnen.
Am Beispiel des Niedergangs der SPD muss unter Zuhilfenahme einer offenen politischen Fehleranalyse eine ähnliche Entwicklung der CDU vermieden werden. Große Teile der SPD sehnen sich danach, keine Verantwortung übernehmen zu müssen. Diese Sehnsucht führt dazu, dass es in der SPD stets mehr Gesinnungs- als Verantwortungsethiker gibt.
Gesinnungsethiker träumen von der Opposition, weil sie immer die richtige Meinung haben, deren Praktikabilität aber nie beweisen müssen. Auch aus diesem Grunde wird die SPD auf allen politischen Ebenen als ernsthafter, verlässlicher und standhafter Koalitionspartner mittelfristig ausfallen.
Die aktuellen Schuldzuweisungen der Bundesspitze an einzelne Vereinigungen und bezüglich des Klimaschutzes sind falsch und kontraproduktiv. Die Bundesebene hat keine eigenen Themen gesetzt. Vielmehr wurden wichtige strukturelle Entscheidungen Deutschlands, wie die Energiewende, vor allem zu Lasten der neuen Länder getroffen. Dies hat auch damit zu tun, dass die ostdeutsche CDU personell erheblich an Kraft in bundespolitischen Gremien und innerhalb der Partei verloren hat. Die Lebensleistung und die Aufbauarbeit der Menschen in Mittel- und Ostdeutschland müssen innerhalb und außerhalb der Partei glaubhaft Anerkennung finden. Vielfach gebrochene Biografien, brutaler Strukturwandel und Veränderungsprozesse haben die Menschen in den neuen Ländern geprägt und in politischen Fragen sensibilisiert. Die Union muss deutlicher herausstellen, dass die friedliche Revolution und der Aufbau der neuen Länder keine Angelegenheit der alten Bundesrepublik waren, sondern zu gleichen Teilen erfolgreich bewältigt wurde.
Die Aufbaupolitik der 90er Jahre, vertreten durch angesehene CDU-Köpfe und Persönlichkeiten, ist ins Stocken geraten. Der verlangsamte Aufholprozess und die ungelösten Probleme der Zuwanderungspolitik lassen die AfD in Ostdeutschland überproportional erstarken. Die Auswahl der Spitzenkandidatur muss als schicksalhafte Entscheidung für die Zukunft der Union in allen Teilen der Bundesrepublik verstanden werden.
Landesebene:
Der Kommunalwahlkampf der CDU in Sachsen-Anhalt wurde erstmalig in einer außerordentlich verhaltenen Form geführt. Die Kampagnenfähigkeit der Landes-CDU war regional unterschiedlich ausgeprägt, insgesamt aber deutlich schwächer gegenüber früheren Wahlen. Dies gilt sowohl für die organisatorische als auch für die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Ein eigenständiges Profil und Corporate Identity war nicht erkennbar.
Zwei Jahre vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt sind die landesweiten Ergebnisse erneut nach unten erodiert. Trotz klarer Positionierung der CDU bei vielen Sachthemen ist bei vielen Parteimitgliedern sowie in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, die CDU ist nicht Seniorpartner, sondern Juniorpartner in der aktuellen Koalition. Ein zu frühes und zu starkes Nachgeben bei politischen Entscheidungen endet oft in einem Kompromiss des kleinsten gemeinsamen Nenners, der im Ergebnis Stillstand bedeutet. Dies wird hauptsächlich der CDU angelastet und zeigt sich in deutlichen Stimmenverlusten bei den Wahlen in Sachsen-Anhalt.
Die Abstände zwischen dem größten Mitbewerber AfD schmelzen. Ein Szenario, das die CDU zu den kommenden Landtagswahlen nur noch zweitstärkste Kraft werden lässt, rückt in den Bereich des Möglichen. Seit dem Wahlsieg der CDU im Jahre 2002 haben sich sämtliche Wahlergebnisse nach unten bewegt. Das Agieren in der Flüchtlingskrise haben die Aussichten der ostdeutschen CDU auch in einstigen Hochburgen, wie Sachsen und Thüringen, dramatisch verschlechtert. Die Tatsache einer demoskopisch nicht beschreibbaren Stimmungslage unmittelbar vor den Wahlen, hat politisch und organisatorisch eher zur Demobilisierung der CDU beigetragen.
Sachsen-Anhalt hat sich über Jahre und vor der Flüchtlingskrise in wichtigen Bereichen, wie der Polizei, der Feuerwehr, bei der Vereins- und Sportförderung, den Rettungsdiensten, Lehrern und nicht zuletzt bei der Universitätsmedizin, regelrecht kaputtgespart. Inzwischen gibt es eine mühsame Gegenbewegung. Dies macht es der AfD leicht, eine Argumentation gegen die Haushaltspolitik der Landesregierung aufzubauen. Die KENIA-Koalition gilt nicht als Gestaltungskoalition, sondern als Bremser im Hinblick auf die Zukunft für das Land. Bis heute fehlt eine politische Vision, wo Sachsen-Anhalt in Zukunft stehen soll. Trotz eines dramatischen Anstiegs des Haushaltes von 9,5 auf 11,5 Mrd. Euro ist es nicht gelungen, nachhaltige politische Akzente zu setzen. Vielmehr muss sich die KENIA-Koalition mit dem politischen Phänomen auseinandersetzen, dass Ausgabenerhöhungen bisher nur zu noch mehr Unzufriedenheit geführt haben.
Weder bei Sozialleistungen, wie dem KiFöG, bei der Digitalisierung, bei der Finanzierung der Universitätsmedizin oder bei den Kommunalfinanzen wurde eine entsprechende Auskömmlichkeit erreicht. Die KENIA-Koalition hat in Zeiten hoher Steuereinnahmen durch eine völlig falsche Prioritätensetzung ein unverantwortliches Ausgabeproblem verursacht. Dabei entsprach die Ausgabenpolitik anteilig nicht der Stärke der Parteien. Dies hat u. a. zu Dauerkonflikten mit den Waldbesitzern und Landwirten geführt, die vor allem auch der CDU in ihren Stammwählerbereichen in den ländlichen Regionen geschadet haben. Die Debatte um die Straßenausbaubeiträge und auch die für die Sportstättenförderung haben sich im Wahlkampf als nachteilig erwiesen. Positiv hervorzuheben sind die CDUForderungen im Bereich der invasiven Arten, beim Wolf, der Stärkung des regionalen Tourismus, der Funklochfinderaktion oder bei der Finanzierung der Universitätsklinika.
Damit konnten vor allem in ländlichen Räumen eigene Akzente gesetzt werden. Die Unterstützung der CDU-Landesgruppe hätte im Hinblick auf die für das Land wichtigen Themenschwerpunkte deutlicher artikuliert werden können. Diese muss ihr Profil deutlich schärfen und offensiver nach außen tragen. Die Strukturdebatte um die Braunkohle wurde trotz erheblicher finanzieller Mittel für Sachsen-Anhalt bisher als unnötige Abwicklungsdebatte zu Lasten des Ostens wahrgenommen. Die Wirtschaftsverbände waren in den öffentlichen Debatten um Enteignungen, Klimaschutz und Kohleausstieg nur ungenügend wahrnehmbar.
Der Organisationsgrad der CDU im Kommunalwahlkampf ist differenziert zu betrachten. Durch die weggefallenen Wahlkreisbüros, vor allem im Süden des Landes, erodiert auch die Kampagnenfähigkeit der CDU. Dies äußert sich sichtbar in sparsamer Plakatierung, weniger werdenden Wahlkampfständen und einem völlig uneinheitlichen Layout. Es muss die Frage beantwortet werden, wie man die Strukturen im Landesverband bis zur Landtagswahl neu festigt und organisiert. Die Streitigkeiten in einzelnen CDU-Kreisverbänden, Abspaltungen sowie Neugründungen von Wählergemeinschaften mit der partikularen Interessenlage der CDU zu schaden, haben weitere Kraft und Stimmen vor Ort gekostet. Es ist dringend erforderlich, diesen Tendenzen mit satzungsrechtlicher Stringenz entgegenzutreten. Nur eine geschlossene CDU kann gemeinsame Werte und Ziele erfolgreich umsetzen. Wer diesen Grundsatz aus persönlichen Profilierungs- oder Karriereabsichten verlässt, gefährdet das öffentliche Wahrnehmungsverhalten der gesamten CDU Sachsen-Anhalt.
Fazit:
Der Doppelhaushalt 2020/21 ist der letzte Haushalt vor der Landtagswahl. Er muss die Interessen des Landes, der Bürgerinnen und Bürger sowie die Handschrift der CDU deutlich abbilden. Die haushaltärische Ausgewogenheit der Kenia Koalition muss die tatsächliche Kräfteverteilung der beteiligten Parteien widerspiegeln. Dabei ist eine Orientierung an den nötigen Problemen des Landes, wie beispielsweise den Erhalt und Ausbau unserer Infrastruktur oder die deutliche Verbesserung der Kommunalfinanzen, dringend geboten. Investieren geht vor konsumieren. Sämtliche Finanzmittel im konsumtiven Bereich gehören auf den Prüfstand. Es bedarf eines finanzpolitischen Reset‘s.
Bei zentralen politischen und gesellschaftlichen Themen muss die CDU bei ihrer Linie bleiben. Die Wahlergebnisse in den Wahlkreisen haben eindrücklich bestätigt, dass Kandidaten mit klaren politischen Akzenten, z. T. weit über dem Landesdurchschnitt der CDU liegen. Die Erwartungen der eigenen Klientel sind nicht nur in Beschlüssen der Partei, sondern auch in konkreten Entscheidungen zu erfüllen. Ein Umschwenken gefährdet mehr Wählerschichten, als dauerhaft gewonnen werden könnten. Stattdessen muss die CDU wieder ein klares und abgegrenztes Profil in den entscheidenden politischen und gesellschaftlichen Fragen zurückgewinnen.
Falsch ausgeübte Toleranz bei linksorientierten Politikfeldern und in sicherheitspolitischen Fragen schwächen die zugeordnete Kompetenz als Partei der inneren Sicherheit. Zugeständnisse an andere Parteien bei wirtschaftlichen Kernthemen untergraben die Wirtschaftskompetenz der CDU. Am Ende muss die Frage, wofür steht die CDU, wieder klar und deutlich beantwortet und durch klares Agieren in der Kenia Koalition bewiesen werden. Andernfalls ist ein weiterer Abstieg vorgezeichnet.
Bisher hat der eigenständige Kurs zu zahlreichen Bundesthemen einen Absturz der CDU bei zurückliegenden Wahlen verhindern können. Dies sollte Grund genug sein, sich weiterhin als „die“ Sachsen-Anhalt Partei mit eigenen Themen und mit klarer konservativer Haltung zu emanzipieren. Dies gilt besonders im Hinblick auf die kommende Landtagswahl, die unmittelbar vor den Wahlen zum deutschen Bundestag stattfindet.
Die CDU steckt in einem Dilemma. Auf der einen Seite profiliert sich die AfD mit Themen der CDU, auf der anderen Seite wird sie durch die Zwänge der KENIA-Koalition politisch und inhaltlich geschwächt. Für das Unvermögen der Koalitionspartner, zentrale gesellschaftspolitische Themen zu lösen, wird sie in Mithaftung genommen. Sowohl die Große Koalition auf Bundesebene als auch die KENIA-Koalition schaden der CDU nachhaltig, da sie ausgerechnet in Zeiten der globalen und europäischen Umbrüche für politischen Stillstand stehen.
Auch aus diesem Grunde müssen sich zukünftige strategische Überlegungen ausschließlich daran orientieren, mit welchen Parteien die eigene Politik und der mehrheitliche Wille der Wähler in Sachsen-Anhalt tatsächlich umgesetzt werden kann. Aktuelle Konstellationen führen zur deutlichen Schwächung der CDU, als letzte verbliebene Volkspartei, weil sie die partikularen Interessen von Randgruppen, kleiner Parteien und der Opposition zulasten eigener Inhalte stärken.
Für die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner ist das künftige politische Profil zu straffen. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass zahlreiche Themen, die für die innerparteilichen Flügel einer Volkspartei zweifelsohne von Belang sind, in der Öffentlichkeit keinen Anklang finden. Stattdessen hat die Bearbeitung dieser Themen viel Kraft und Zeit gekostet. In Zukunft ist daher eine Konzentration auf politische Schwerpunkte, die sich an den Kernkompetenzen der CDU und den Themen der eigenen Wählerklientel orientieren, unumgänglich. Dies gilt auch für die Formulierung einer politischen Vision für das Land Sachsen-Anhalt.
Die CDU muss angesichts einer bevorstehenden Phase der Rezession wieder eine breite Diskussion über die Herkunft und den Erhalt des Wohlstandes führen. Es muss wieder gelingen, das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen. Sicherheit vor sozialem Absturz mit Sicherheit vor Kriminalität. Der Sehnsucht nach Heimat und nationaler Identität ist durch eine klare Abgrenzung gegen multikulturelle Strömungen linker Parteien und Gruppen entgegenzutreten. Nationale Identität, Stolz und Heimatverbundenheit haben nichts mit nationalsozialistischer, rechtsradikaler oder revanchistischer Politik zu tun. Vielmehr sind sie die Grundlage für das Zusammenleben, die Geschichte und das gegenseitige Verständnis in unserer Gesellschaft. Linke Parteien und Gruppierungen haben diese Zusammenhänge auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen über Jahrzehnte erfolgreich untergraben, wohlwissend dass dies den Markenkern konservativer Politik schädigt. Die CDU in Gänze hat den historischen Fehler begangen, dieser Entwicklung defensiv zu begegnen. Der Erfolg der AfD ist Teil dieses historischen Fehlers und wird durch die ungelöste Flüchtlingskrise weiter verstärkt. Die CDU ist gut beraten, dem linken Mainstream aus gesteuertem
Gutmenschentum und Klimaverständnis durch eine deutliche Politik mit klaren Aussagen zu begegnen. Dazu sind auch die Vereinigungen wieder stärker in die Pflicht zu nehmen. Am Beispiel des Kohleausstiegs wird sichtbar, dass trotz erfolgreicher Verhandlungen um Strukturhilfen, die Angst vor der unnötigen Zerstörung einer gut bezahlten Schlüsselbranche überwiegt. Der ökonomische Schaden und die realen klimapolitischen Wirkungen eines nationalen Kohleausstiegs stehen in keinerlei Verhältnis zueinander. Die CDU Sachsen-Anhalt hat immer eine sichere, preisgünstige und unabhängige Energieversorgung am aktuellen Stand der Technik orientiert, vertreten. Mit dem aus Berlin aufdoktriniertem Kohleausstieg hat die Union ohne Notwendigkeit ein Schlüsselthema aufgegeben. Die Hoffnung eines eigenen klimapolitischen Akzents wird sich nicht erfüllen. Stattdessen hat man ein neues Thema für die Befürworter des Kohleausstiegs geschaffen, die nun in den nächsten beiden Jahrzehnten einen sofortigen Ausstieg aus der Kohleverstromung fordern können.
Die derzeitige Klimadiskussion ist ohne Korrektur der Todesstoß für die Industrie, die Landwirtschaft und die Mobilität in Deutschland. Es wird höchste Zeit den Wählern mitzuteilen, dass eine derartige Politik im Kontext weltweiter Verschiebungen der Märkte, den Erfolg einer ganzen Volkswirtschaft und demzufolge eines der üppigsten Sozialsysteme der Welt zur Disposition stellt. Ferner bedarf es über alle Politikbereiche einer offensiven Strategie, gegen Grüne, SPD und Linke, die durch Verbote, Gängelung und Verstaatlichung die Freiheit und den Wohlstand Deutschlands gefährden. Der Diskurs darüber hat verstärkt auch über die sozialen Medien zu erfolgen. Dazu muss das bisherige Agieren überdacht, analysiert und deutlich verbessert werden. Die Bedeutung der gesellschaftlichen Gruppe heranwachsender Schüler und die Wählergruppe der Jugendlichen, die sich besonders gut mit sozialen Medien auskennen, ist bezüglich des Einflusses auf Eltern- und Familienteile unterschätzt worden.
Zwei Jahre vor der Bundestagswahl muss Sachsen-Anhalt nicht nur für die CDU die Sprecherrolle auf Bundesebene für die neuen Länder übernehmen. Die bisherigen Bemühungen unseres Ministerpräsidenten sind zu begrüßen und weiter auszubauen. Die CDU Sachsen-Anhalt ist in Gänze aufgerufen, sich stärker und deutlicher für die Ziele und Überzeugungen der Union zu positionieren!
Die Heilserwartung eines neuen Nationalismus und die Hinwendung zu Antidemokraten für eine Koalitionsbildung ist in Zeiten globaler Probleme wie der #Klimakrise geeignet, nicht nur Parteien von innen heraus zu zerstören. #ltlsa
— Sebastian Striegel (@StriegSe) 20. Juni 2019
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