Corona, Digitalisierung, Überwachung: Symposium des Netzwerks Kritische Richter und Staatsanwälte am Samstag im Volkspark
Am Samstag, dem 29. November 2025, öffnet der Volkspark Halle (Saale) seine Türen für das vierte Symposium des Netzwerks Kritische Richter und Staatsanwälte (KRiStA). Von 10 bis 19 Uhr widmet sich die Veranstaltung der Frage, wie es aktuell um Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und individuelle Selbstbestimmung in Deutschland steht. KRiStA, gegründet 2021, versteht sich als Zusammenschluss von Juristinnen und Juristen, die staatliches Handeln kritisch begleiten. Dass Grundrechte fragil sind und stets neu behauptet werden müssen, ist für die Mitglieder zentraler Ausgangspunkt – und darauf verweist auch das dem Symposium vorangestellte Goethe-Zitat aus Faust II. Das diesjährige Thema „Vom Freiheits- zum Überwachungsstaat?“ zielt jedoch weniger auf kulturhistorische Betrachtungen als auf eine konkrete Bestandsaufnahme unserer Gegenwart: Welche Entwicklungen stärken Freiheit – und welche bedrohen sie?
Rückblick: Grundrechte in der Pandemie
Die einleitenden Gedanken der Veranstalter lassen keinen Zweifel daran, dass die Aufarbeitung der Corona-Jahre im Zentrum steht. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie führten im Frühjahr 2020 zu tiefgreifenden Eingriffen in das öffentliche Leben. Nie zuvor wurden Grundrechte in vergleichbarer Breite eingeschränkt. Richterinnen und Richter im ganzen Land hatten über Klagen und Eilanträge zu entscheiden – ein sichtbarer Ausdruck der gesellschaftlichen Verunsicherung. Ein Großteil der Entscheidungen bestätigte die staatlichen Maßnahmen. Dass diese Rechtsprechung bis heute kontrovers diskutiert wird, zeigt die nach wie vor große Spannbreite an Bewertungen.
In diesem Spannungsfeld setzt der erste Vortrag an:
Prof. Dr. Jörg Benedict, Rechtsphilosoph an der Universität Rostock, beleuchtet juristische und rechtsphilosophische Fragen der Zeit. Bekannt geworden ist er durch seinen kritischen Beitrag zur juristischen Aufarbeitung der Coronapolitik, der im März 2025 im Magazin Cicero erschien. Benedict wirft die Frage auf, inwieweit richterliche Entscheidungen in Krisenzeiten tatsächlich frei von äußeren Einflüssen getroffen wurden – und was dies für die Vertrauensbasis zwischen Justiz und Gesellschaft bedeutet.
Institutionen unter Druck: Wie Freiheit verloren gehen kann
Ein weiteres Schwerpunktthema des Symposiums betrifft die Rolle von Bildungs- und Kulturinstitutionen. Sie sind traditionell Orte gelebter Wissenschafts-, Lehr- und Kunstfreiheit – Rechte, die für eine offene Demokratie unverzichtbar sind. Aus Sicht der Veranstalter geraten diese Institutionen zunehmend in Problemfelder, die mit Digitalisierung, politischer Kommunikation, moralischem Druck und ideologisch aufgeladenen Debatten zusammenhängen. Die Folge könne ein „Rückkoppelungseffekt“ sein: Einrichtungen übernehmen die Einflüsse, denen sie ausgesetzt sind, und verstärken sie in ihrem eigenen Handeln. Der Philosoph Dr. Harry Lehmann, der an der Universität Luxemburg lehrt, analysiert in seinem Buch „Ideologiemaschinen“ Mechanismen, mit denen sich Institutionen in Systeme transformieren können, die Vielfalt und Debatte eher eindämmen als fördern. In Halle wird er erläutern, wie solche Prozesse entstehen, welche Rolle digitale Medien und Kommunikationsformen dabei spielen und ob bzw. wie Institutionen die Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Freiheitsauftrag schaffen können.
Digitalisierung zwischen Fortschritt und Überwachung
Digitalisierung und künstliche Intelligenz sind seit Jahren gesellschaftliche Megathemen – und auch dieses Symposium nimmt sie in den Blick. Mit Anwendungsbeispielen aus Gesundheitswesen, Justiz und Verwaltungsmodernisierung zeigen die Veranstalter, wie durch Technik Effizienzgewinne, aber zugleich auch Kontrollmöglichkeiten entstehen. Elektronischer Impfpass, elektronische Patientenakte, digitale Identität, KI-gestützte Verwaltungs- und Justizprozesse: Diese Entwicklungen werden kontrovers diskutiert. Prof. Dr. Christoph Lütge, Wirtschaftsethiker und Direktor des Instituts für Ethik in der KI an der TU München, bringt eine differenzierte Perspektive ein. Lütge beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Frage, wie technologische Innovationen in Einklang mit Grundrechten und ethischen Prinzipien gestaltet werden können. In seinem Vortrag wird er Chancen und Risiken nebeneinanderlegen: Wo kann KI dem Menschen dienen – und wo beginnt sie, ihn zu ersetzen oder zu steuern? Die Veranstalter verweisen in ihrem Programm auf Beispiele aus dem Alltag, etwa algorithmisch gesteuerte Service-Systeme oder digitale Verwaltungsprozesse, die zwar Effizienz versprechen, aber gleichzeitig die Interaktion zwischen Menschen reduzieren. Daraus ergeben sich zentrale Fragen: Wird der Mensch durch Technologie entlastet – oder wird er entmündigt? Und wie schützt man Freiheitsrechte in einer zunehmend vernetzten Welt?
Der Mensch im Mittelpunkt: Psychologie einer „angepassten Gesellschaft“
Den vierten großen Themenblock des Symposiums bildet die Perspektive der Psychologie. Dr. Hans-Joachim Maaz, langjähriger Chefarzt am Diakoniekrankenhaus Halle und Bestsellerautor, untersucht seit Jahrzehnten die seelischen Bedingungen gesellschaftlicher Entwicklungen. Seine Diagnose einer „normopathischen Gesellschaft“ beschreibt eine Kultur, in der Menschen zwar funktionieren, aber emotional entfremdet und angepasst leben. Maaz analysiert, wie sozialer Druck, Angst vor Ausgrenzung und die Orientierung an vermeintlichen Mehrheitsnormen dazu führen können, dass kritisches Denken abnimmt. Für eine freiheitliche Demokratie sei diese Dynamik gefährlich: Nur innerlich freie Individuen könnten eine freie Gesellschaft gestalten und erhalten. Seine Ausführungen verbinden individuelle Psychologie mit gesellschaftlichen Strukturen – und schaffen damit eine Perspektive, die quer zu den rein juristischen oder technologischen Analysen des Symposiums steht.
Abschluss: Podiumsdiskussion und Dialog mit dem Publikum
Nach den Vorträgen führt Dr. Michael Andrick, Philosoph und Essayist, durch die Podiumsdiskussion. Andrick beschäftigt sich in seinen Büchern mit Freiheitsbegriffen, moralischen Normen und der Gestaltung einer offenen Debattenkultur. Unter seiner Moderation sollen die verschiedenen Perspektiven des Tages zusammengeführt werden. Die Veranstalter betonen, dass das Symposium ausdrücklich keine Fachtagung allein für Juristen ist. Es richtet sich an alle Bürgerinnen und Bürger, die sich mit Fragen der Freiheit, der staatlichen Verantwortung und der digitalen Zukunft beschäftigen möchten. Die Diskussion soll Raum bieten für kritische Rückfragen, eigene Erfahrungen und Perspektiven aus dem Publikum.










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