„Die Peer-Arbeit gibt mir selbst extrem viel“. Langjährig Querschnittgelähmte und Angehörige unterstützen auch in Halle bei der Bewältigung der neuen Lebenssituation

Die 56-Jährige Christiane Arendt stürzte 2008 bei einer Höhlentour ab und ist seitdem querschnittgelähmt. Das war während eines gemeinsamen Slowenienurlaubs mit ihrem Mann. 2017 wurde sie von einer Psychologin des BG-Klinikums Halle gefragt, ob sie Peer bei der Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten in Deutschland (FGQ) werden möchte. Seitdem berät sie Menschen, die neu querschnittgelähmt sind oder zu einem späteren Zeitpunkt Rat und Unterstützung suchen. Auch nach Eintritt ihrer Querschnittlähmung hat Christiane Arendt sich ihre sportliche Natur bewahrt. Neben zwei Touren mit dem Handbike pro Woche, trainiert sie ein- bis dreimal in der Woche Bogenschießen. Ein Handbike ist eine Art Fahrrad-Ersatz mit Handkurbel, der vor den Rollstuhl gespannt werden kann.
Auch für ihren Ehemann und ihre damals 18-Jährige Tochter hat sich nach dem Unfall Vieles geändert. Nach anfänglichen Problemen hat Christiane Arendt heute zu beiden ein gutes Verhältnis, sich aber auch ein eigenständiges Leben aufgebaut. Leider wurde die gelernte Schlosserin, studierte Maschinenbauerin und langjährige Leiterin einer Konditorei nach ihrem Unfall schnell in die Rente gedrängt, was sie heute sehr bedauert: „In den ersten Jahren nach dem Unfall war aus gesundheitlichen Gründen an Arbeit nicht zu denken. Ich bin immer gerne arbeiten gegangen und hätte später sehr gerne weitergearbeitet.“, sagt die ehemalige Kletterin.
Der bundesweite Verband Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten in Deutschland e.V. ist der größte unabhängige Ansprechpartner für das Thema Querschnittlähmung in Deutschland. Ziel ist es, die Lebenssituation von Menschen mit Querschnittlähmung zu verbessern. Um dieses Ziel zu erreichen, fußt die Arbeit der FGQ auf drei Säulen: PeerBeratung, politische Interessensvertretung und Einzelfallhilfe. Die Peer-Beratung ist das Kernstück der Arbeit der 1981 gegründeten und 2016 neu organisierten Selbsthilfeorganisation. Peer bedeutet „Gleicher unter Gleichen“ und im Falle der FGQ beraten erfahrene Querschnittgelähmte und erfahrene Angehörige frisch Betroffene und ihre Angehörigen ehrenamtlich. 9 ehrenamtliche Helfer sind in Halle (Saale) tätig.
Die Peers werden durch die FGQ ausgewählt und geschult, um auf die Beratung frisch Betroffener gut vorbereitet zu sein. Die Peers sind an den 28 spezialisierten Querschnittgelähmtenzentren in ganz Deutschland aktiv, unter anderem in Halle an der Saale. Neben Christiane Arendt besteht das Team aus vier weiteren weiblichen und vier männlichen Peers. Man unterscheidet bei der Querschnittlähmung verschiedene Lähmungsarten und Lähmungshöhen. Bei der Lähmungsart wiederum unterscheidet man zwischen einer kompletten Lähmung, bei der keine Muskelfunktionen oder Sensibilität in den gelähmten Bereichen vorhanden sind und einer inkompletten Lähmung, bei der noch Restfunktionen oder eine Teilsensibilität vorhanden sind. Welche Funktionen das sind, hängt von der Lähmungshöhe und der Schwere der Verletzungen ab. Bei der Zusammensetzung der Peer-Teams wird darauf geachtet, die vielfältigen Erscheinungen einer Querschnittlähmung durch die einzelnen Peers zu repräsentieren, um möglichst allen Ratsuchenden einen passenden Peer zur Seite stellen zu können. Auch bei der Altersstruktur und den Interessen der Peers wird auf eine große Bandbreite und Vielfalt geachtet.
Christiane Arendt ist es wichtig, die Angehörigen in die Beratung mit einzubeziehen. Auch sie sind durch den Eintritt der Querschnittlähmung plötzlich mit einer Vielzahl an Herausforderungen konfrontiert: „Die Angehörigen kennen einen ja nicht im Rollstuhl, höchstens aus der kurzen Besuchszeit in der Klinik.“, erklärt sie die Bedeutung der Angehörigenberatung. Die Angehörigen sind mit der massiven Lebensveränderung meist in der gleichen Situation wie die Betroffenen und benötigen ebenfalls Unterstützung bei der Verarbeitung des Schicksalsschlages. Selbst Peer zu sein, bringt die sich selbst als zurückhaltend beschreibende Paraplegikerin in ihrer Persönlichkeitsentwicklung enorm weiter: „Die Peer-Arbeit gibt mir selbst viel. Wenn mir vor fünf Jahren jemand gesagt hätte, dass ich dort vor wildfremden Menschen etwas erzähle und zeige, wie ich meinen Alltag gestalte, das hätte ich nicht geglaubt. Die Peer-Arbeit hat mir viel Selbstvertrauen gegeben.“
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