Die „Schwester“ vom Schellenmoritz in der Moritzburg hängt wieder
Den Schellenmoritz kennt man als Hallenser. Geschaffen hat das Kunstwerk von mehr als 600 Jahren Conrad von Einbeck. Doch nicht nur in der Moritzkirche hat der Bildhauer seine Spuren hinterlassen, auch in der Moritzburg. Dort hängt seit Mittwoch wieder das Relief einer Maria mit Kind. Das Kunstwerk wurde restauriert und ist ab sofort im Gotischen Gewölbe zu sehen.
Dabei wäre die Restaurierung wegen der Corona-Krise fast gescheitert. Auch bei der Moritzburg musste gespart werden, die Mittel für die Restaurierung wurden gestrichen. Doch die Corona-Förderlinie der Ernst von Siemens Kunststiftung ist eingesprungen und hat die Restaurierung finanziell ermöglicht, der seit vielen Jahren für das Kunstmuseum tätige Bildhauer und Restaurator Christoph Reichenbach weiterarbeiten.
„Die vor etwa drei Monaten gestartete neue Corona-Förderlinie der Ernst von Siemens Kunststiftung zielte schnell und unbürokratisch auf freiberufliche Restauratoren und Wissenschaftler in den Museen, die dort wichtige Aufgaben erledigen und hohe Fachkompetenzen einbringen. Ausstellungsabsagen und Budgetkürzungen bedrohten Existenzen und ein einzigartiges Netzwerk von Fachkollegen. Für die Freiberufler sind Aufträge wichtiger als Kredite, die sie im Zweifel nicht mehr zurückzahlen können. Das Programm ist eingeschlagen wie eine Bombe. Inzwischen haben wir über eine Million Euro ausgeschüttet, über 100 Projekte und damit noch mehr Freiberufler unterstützt. Die Restaurierung des Marienreliefs von Conrad von Einbeck ist ein exemplarisches Beispiel aus dem Programm. Ein wertvolles Kunstwerk kehrt zurück in die Ausstellung und ein gefährdeter Restaurierungsauftrag konnte mit Fördermitteln vergeben werden“, freut sich Dr. Martin Hoernes, Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung.
Das aus dem Sandstein geschlagene Relief wies zahlreiche Schäden und teilweise unsachgemäße Ergänzungen aus früheren Zeiten auf. Ein Bruch im oberen Drittel teilt es quer. Dazu gibt es Ausbrüche an der Rahmenleiste oben rechts und im Bruchbereich links. Vermutlich war das Relief einst großen mechanischen Kräften ausgesetzt – denkbar wäre ein Absturz oder eine unglücklich verlaufene Demontage. Besonders der Kopf- und Brustbereich der Maria ist durch Verluste und teilweise störende Ergänzungen entstellt: Die linke, erhobene Hand des Jesuskindes ist abgebrochen, der Armstumpf derart ergänzt, dass er handlos in der Hintergrundfläche des Reliefs „verschwindet“. Ohne Anhaltspunkte über die ursprüngliche Gestaltung der Hand muss mit diesem Zustand jedoch vorliebgenommen werden.
Im Gesicht Marias, in dem die Nase ausgebrochen ist, wurde der untere Teil so entstellend ergänzt, dass die Entscheidung zur Abnahme der alten Ergänzungen fiel. Kleinere Partien in Gips ließen sich leicht entfernen, nicht jedoch eine große Partie in Beton. Sie wurde nun soweit abgetragen, dass sie durch eine besser angepasste Ergänzung überformt werden konnte.
Ein besonderes Problem stellt der alte Bruch des Werkes dar. Ursprünglich sollten die beiden Reliefteile durch Dübel wieder miteinander verbunden werden, doch die geringe Dicke des Steins im Bruchbereich ließ keine Bohrungen für die Dübellöcher zu. Deshalb wurden die beiden Teile nun in einem Stahlrahmen zusammengeführt, der weitgehend verdeckt ist. Damit wurden die konservatorischen Erfordernisse mit den ästhetischen verbunden, wobei die gesamte Konstruktion demontierbar und transportabel bleibt.
Zu Conrad von Einbeck:
Conrad war von 1382 bis zur Einwölbung 1511 oder 1519 als einer der beiden leitenden Baumeister am Bau der halleschen Moritzkirche tätig. Er hatte eine Lehrzeit in der Bauhütte der Parler in Prag durchlaufen, deren Wirken entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der Hallenkirche und eines in ganz Europa verbreiteten neuen Stils ausübte. Dieser „Weiche“ oder „Schöne Stil“ mit anfangs realistischen Zügen gewann um 1400 an emotionalem Ausdruck und durchdrang alles in einem dekorativen Sinn, der selbst den schmerzhaftesten Szenen oder Figuren Eleganz und Schönheit verleiht. Conrad brachte diese Ideen mit in die Saalestadt.
In den Quellen wird er als magister lapiciarum und 1415 als buwemestere tu sente Moritze bezeichnet. Von seiner Hand stammen fünf mit seinem Namen signierte und in ihrer Gestaltung bemerkenswerte Steinskulpturen in der Moritzkirche. Die Figur des heiligen Mauritius trägt zur Kleidung im Stil der Zeit einen Gürtel mit Glöckchen und wird deshalb auch populär „Schellenmoritz“ genannt.
Conrads Figuren sind dekorativ durchgestaltet und dabei doch von erstaunlichem Realismus. Eine Schmerzensmutter etwa, die um ihren gekreuzigten Sohn Jesus weint, trägt zwar ein elegantes, in Kaskaden fallendes Gewand des „Schönen Stils“, aber darin steckt eine alternde, von Sorgen und Leid gezeichnete Frau mit schwerem Körper, verquollenem Gesicht und verweinten Augen!
Dagegen ist die Gottesmutter auf dem Relief eine junge Frau von biegsamer Gestalt, mit rundem Gesicht und dicken, langen Zöpfen, die ihr lebhaft zappelndes Söhnchen auf beiden Armen vor ihrer Brust hält. Details wie die Hände, der Körper des Kindes oder auch seine Haare sind recht einfach, vielleicht hat es nicht der Meister selbst, sondern ein Werkstattmitarbeiter ausgeführt. Der ursprüngliche, nicht mehr bekannte Standort des Reliefs in der Moritzkirche, von wo es 1947 an das Museum abgegeben wurde, war mutmaßlich etwas nebensächlich.
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