Historischer Triebwagen wird saniert: Halle-Hettstedter Eisenbahnfreunde haben den ersten Rekonstruktionsabschnitt vom “Alten Dessauer” beendet

Auf den ersten Blick wirkt der Triebwagen VT 764 wie ein ausrangiertes Relikt aus einer längst vergangenen Zeit. Doch wer genauer hinschaut – und das tun die Mitglieder des Vereins Freunde der Halle-Hettstedter Eisenbahn (HHE) – erkennt etwas anderes: Potenzial. Geschichte. Herz.
Denn dieser Triebwagen ist nicht einfach alt. Er ist ein Zeitzeuge. Ein Original aus dem Jahr 1928, gebaut zur Blütezeit der deutschen Industrialisierung. Und wenn alles klappt, wird er zu seinem 100. Geburtstag im Jahr 2028 wieder auf Schienen unterwegs sein – als Botschafter mitteldeutscher Industriekultur.
„Das ist kein Nostalgieprojekt“, sagt Olaf Raabe, Vorsitzender des Vereins. „Das ist gelebte Geschichte. Wir wollen nicht nur etwas erhalten, sondern etwas erzählen. Über Technik, über Fortschritt – und über die Menschen dahinter.“
Ein langer Weg zurück
Der VT 764 hat viel erlebt. Ursprünglich war er benzolbetrieben, später wurde er auf Diesel umgerüstet. Jahrzehntelang war er im Einsatz, zuletzt in Baden-Württemberg, auf der sogenannten Tälesbahn der Württembergischen Eisenbahn-Gesellschaft (WEG). Dort ereilte ihn im Jahr 2001 ein tragisches Schicksal: Der Triebwagen kollidierte mit einem Güllefass. Eine Seite wurde schwer beschädigt – das wirtschaftliche Aus schien besiegelt.
Doch das Schicksal meinte es gut. Eisenbahnfans aus Ulm retteten den Wagen vor dem Schneidbrenner. 2009 übernahm ihn schließlich die HHE, seither steht er in Halle – und seit 2023 sogar offiziell unter Denkmalschutz.
Ein Projekt zwischen Werkbank und Wissenschaft
Die Restaurierung des VT 764 ist ein Mammutprojekt – nicht nur technisch, sondern auch organisatorisch. Jedes Bauteil muss überprüft, viele Teile in Handarbeit nachgefertigt werden. Das Fahrzeug darf nicht einfach geschweißt oder neu konstruiert werden. Was zählt, ist Originaltreue. „Alles wird geschraubt oder genietet“, erklärt Raabe. „So, wie es damals gemacht wurde. Sonst gibt es keine Fördermittel.“
Der erste große Rekonstruktionsabschnitt ist bereits geschafft: Der Wagenkasten wurde gerichtet, neue Bodenbleche eingezogen, Achsen ersetzt und die Drehgestelle instand gesetzt. Die Arbeiten führte die MSG Ammendorf aus – ein Unternehmen mit Sitz auf dem historischen Waggonbau-Gelände. Hier trifft Vergangenheit auf Gegenwart.
Die Toilette, die im Laufe der Zeit verlegt wurde, kommt nun wieder an ihren ursprünglichen Platz. Dafür wurde sogar die alte Fensteröffnung im Blech rekonstruiert. Die Liebe zum Detail zieht sich durch das gesamte Projekt.
Auch der Innenraum wird originalgetreu wiederhergestellt. Die alten Holzbänke sind noch vorhanden, wurden aber im Laufe der Jahre mit Schaumstoff und Kunstleder überzogen. In der ersten Klasse zierten einst textile Wandtapeten die Wände – Reste davon konnten gerettet werden. Ein spezialisierter Tischler aus dem Erzgebirge soll nun nach Wunsch des Vereins den Innenausbau übernehmen, samt Holzvertäfelung und Sitzbänken.
Technik aus einer anderen Zeit
Vier 6-Zylinder-Dieselmotoren mit je 225 PS sollen den Triebwagen künftig wieder antreiben. Die Kühlung – einst auf dem Dach, später ins Wageninnere verlegt – wird wieder originalgetreu montiert. Auch die Bremsen, Signalleuchten und die komplette Verrohrung müssen erneuert werden. Nichts davon ist Standard. Alles ist Einzelanfertigung.
Zeichnungen? Kaum vorhanden. Fotos? Selten. Vom Innenraum des VT 764 existieren überhaupt keine historischen Aufnahmen. Die Lösung: Ein Schwesterfahrzeug mit ähnlichem Aufbau, ein elektrischer Triebwagen, dessen Innenleben dokumentiert wurde. Daraus entwickelten Maschinenbaustudenten im Rahmen eines Semesterprojekts technische Rekonstruktionen. Ohne diese Grundlagen wäre eine originalgetreue Wiederherstellung kaum möglich.
Bürokratie, Begeisterung und eine Frage der Farbe
Bei jedem Schritt sind das Denkmalschutzamt und das Eisenbahnbundesamt eingebunden. Selbst Kleinigkeiten wie die Art der Abgasführung oder das Material der Fensterrahmen müssen genehmigt werden. Auch die Frage der Farbgebung ist noch offen. In den 1930er-Jahren fuhr der VT 764 in rot-beige. Beim Bau 1928 war er flaschengrün – und genau das ist Raabes Favorit: „Es wäre ein schönes Zeichen, ganz zum Anfang zurückzukehren.“
Neben der handwerklichen Arbeit ist auch bürgerschaftliches Engagement gefragt. Ohne ehrenamtliche Helfer, Spenden und Fördergelder wäre das Projekt nicht umsetzbar. Halles Kulturdezernentin Judith Marquardt betont: „Die Menschen müssen mit Herzblut für ihre Eisenbahn brennen.“ Und das tun sie, das spürt man bei jedem Besuch auf dem Gelände.
Mehr als Nostalgie
Bis 2028 ist noch viel zu tun. Aber das Ziel ist klar: Der VT 764 soll nicht einfach im Museum enden. Er soll rollen. Zwischen Halle, dem Harz, dem Mansfelder Land. Und er soll Geschichten erzählen – über Technik, Wandel, Verlust und Wiederaufbau.
Industriekultur ist mehr als Stahl und Schrauben. Sie ist Identität, Stolz, Vergangenheit und Zukunft zugleich. Und in Halle steht ein fast hundertjähriger Triebwagen, der genau das verkörpert. Noch braucht er etwas Pflege. Aber sein Motor, der könnte bald wieder starten.













Der aktuelle Trend ist es, einen YouTube-Kanal einzurichten, auf dem man den Fortschritt dokumentiert, und darüber dann Geld einzuwerben.
Hallo,
Ich finde es toll, dass ein Triebwagen aus der Reichsbahnzeit aufgebaut wird. Gibt es auch ein Spendenkonto?
Tschüss Frank Heidrich
Ein mögliches Spendenkonto ist in einem anderen Zusammenhang hier vermerkt:
https://hhe.de/spendenaufruf
Aber dieses Fahrzeug mit eigenem Antrieb hat wegen der Schraubenkupplung+ Puffer sogar eine Einsatzmöglichkeit als Bauzuglok. So zumindest wurde sie ihrer aktiven Zeit auch gelegentlich eingesetzt.
Wegen der recht hohen Motorisierung konnten Turmwagen, Gleisbautechnik, Schotterwagen usw. mitgegeben werden und zusammen mit dem Bautrupp zum Einsatzort fahren.
So könnte er sogar im Idealfall über einen Verleih Zusatzeinnahmen generieren, aber das ist wohl Zukunftsmusik.
Das Vorhaben ist aber eine echte Ansage und es wert gefördert zu werden.
Mehr Werbung täte Not aber für‘s erste eine wirklich gute Nachricht, alle Achtung !