Sven Liebich beruft sich auf die Meinungs- und Kunstfreiheit – Neonazi vor Gericht: ist das Kunst oder kann das weg?
Die ersten Minuten im Sitzungssaal X 1.1/1.2 am Amtsgericht Halle sind schon ein Schauspiel für sich. Stoisch sitzt der Angeklagte Neonazi Sven Liebich rund zehn Minuten allein an seinem Tisch. Die Augen geradeaus, keine Reaktion auf die Fragen der Journalisten, die mit ihren Kameras wie Fliegen um einen Haufen Scheiße schwirren.
Die Verlesung der Anklagepunkte durch Oberstaatsanwalt Ulf Lenzner, welche gut 15 Minuten in Anspruch nimmt, ist für die meisten Anwesenden im Raum wohl nichts Neues und liest sich wie das „who is who“ der Straftatbestände geistiger Brandstifter: Verleumdung, Beleidigung, üble Nachrede, Volksverhetzung und Beschimpfung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen.
Bereits in seinen Einlassungen zu Beginn wird deutlich, auf Basis welcher Argumentation Sven Liebich seine Verteidigung aufbauen wird: Interpretation gedeckt durch Meinungsfreiheit und künstlerische Freiheit. So versucht er hier und auch im weiteren Verlauf des Tages immer wieder, die menschenverachtenden Darstellungen auf den im Internet vertriebenen Aufklebern mit der Freiheit der Kunst und der dahinter stehenden satirischen Bedeutung zu rechtfertigen, seine Politikern in den Mund gelegten Worte seien keine Zitate, sondern nur seine Interpretationen und daher von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Eigentlich ist es überflüssig, doch der Vollständigkeit halber möchten wir es nicht unter den Tisch fallen lassen: selbstverständlich erklärt sich der Angeklagte in allen Anklagepunkten für unschuldig und sieht sich in diesem von ihm als Schauprozess bezeichneten Verfahren bereits als vorverurteilt an. Seiner Meinung nach würde am Ende des Prozesses eh einer von zwei Köpfen rollen: seiner oder der des vorsitzenden Richters Michael Pilz.
Wenn die Judikative dem Druck der Öffentlichkeit und vor allem auch der, von Liebich wiederkehrend als Lügenpresse bezeichneten, Medien nachgebe, um an ihm ein Exempel zu statuieren, so könne er nicht mit einem fairen Urteil aus diesem Prozess herausgehen. Den Druck, der seiner Meinung nach hier auf den vorsitzenden Richter Michael Pilz aufgebaut worden sei, könne er sehr gut nachvollziehen. Im Umkehrschluss sei der Kopf des Richters in Gefahr, sollte er im Sinne von Liebich urteilen und sich eben nicht dem aufgebauten Druck beugen.
Doch sei an dieser Stelle die Frage gestattet: kann sich ein Herr Liebich, der in den letzten Jahren mit seinen, nennen wir es wohlwollend skurrilen, Ansichten und Äußerungen immer mehr Menschen gegen sich aufgebracht hat und dessen Demonstrationsteilnehmer teils unverhohlen Drohungen gegen Andersdenkende aussprechen, wirklich darüber wundern, dass in der Öffentlichkeit weitgehend negativ über Ihn berichtet wird? Wir denken er kann es nicht, ist sich dessen vollends bewusst und nutzt diesen Umstand, wie auch jetzt, um sich selbst immer wieder als Opfer darzustellen.
Wie schon in seinen ersten Äußerungen versuchte Liebich bei der nun folgenden Betrachtung der einzelnen Anklagepunkte und der dazugehörigen Beweismittel, vor allem mit Verweisen darauf, dass ja alles nur seine in Worte und Bilder gefassten Interpretationen seien, welche wiederum durch die Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt seien, die Anklagepunkte zu widerlegen.
An dieser Stelle möchten wir den einzelnen Punkten nicht zu viel Raum geben, daher sei hier exemplarisch nur der Versuch der Erklärung Liebichs zu einem genannt: der Penis, der nach Ansicht der Anklage auf einem Aufkleber mit der stilisierten Darstellung einer Vergewaltigung einer weißen Frau durch einen Dunkelhäutigen zu sehen sei, sei doch gar kein Penis, sondern eine Bratwurst. Die Idee zu dieser künstlerischen Schöpfung, Liebich bezeichnet sich während seiner Äußerungen sowohl als Künstler als auch Schöpfer, sei ihm nach einer Straftat im Jahr 2017 gekommen, bei der ein abgelehnter Asylbewerber ein Pärchen in ihrem Zelt überfallen und die junge Frau vergewaltigt habe. Mit dem dazugehörigen Text auf dem Aufkleber, der besagt, Dunkelhäutige hätten Spaß am Sex doch der Verkehr mit ihnen sei mit Vorsicht zu genießen, wolle er jedoch nicht eine bestimmte Bevölkerungsgruppe unter Generalverdacht stellen.
Hier kommen wir nun erneut zur wahrscheinlichen Strategie der Verteidigung, alle angeklagten Taten seien durch die Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt, da es sich nur um Interpretationen von Herrn Liebich handele. Genau darum wird es in diesem Prozess wohl gehen: wo legt der Rechtsstaat die Grenzen dieser beiden Freiheiten fest, wenn es um die, milde ausgedrückt, Verunglimpfung von Menschen anderer Gesinnungen, Hautfarben oder Religionen geht?
Als dem Vertreter der Anklage kommt hierbei dem Staatsanwalt eine wichtige Rolle zu. Daher haben sich einige Prozessbeobachter nach dem ersten Verhandlungstag schon gefragt, ob Oberstaatsanwalt Lenzner sich dieser Verantwortung bewusst ist. Während des ersten Verhandlungstages stellte er wenige Fragen, lies dem Angeklagten sehr viel Raum um die ihm zur Last gelegten Taten zu rechtfertigen und lies sich zudem auf kleinere verbale Scharmützel ein, deren Sinn sich den Beobachtern nur schwer erschloss. Auch soll es im Vorfeld des Prozesses lange unklar gewesen sein, ob der Prozess tatsächlich in Halle stattfindet und welcher Staatsanwalt die Anklage vertreten wird.
Man darf also auf den zweiten von drei angesetzten Prozesstagen gespannt sein, der am 26.08.2020 startet.











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