Verfassungsschutz-Bericht: mehr Extremisten in Sachsen-Anhalt
Die Zahl der Extremisten in Sachsen-Anhalt steigt an. Einen deutlichen Anstieg gab es bei Islamisten und Linksextremisten. Insgesamt gibt es 2.880 Extremisten in Sachsen-Anhalt, 225 mehr als vor einem Jahr. Mehr als die Hälfte davon wird der Rechtsextremisten- und Reichsbürgerszene zugeordnet. Das steht im neuen Verfassungsschutzbericht.
Innenminister Holger Stahlknecht: „Unsere freiheitliche demokratische Grundordnung wird von Verfassungsfeinden aus unterschiedlichen Richtungen attackiert. So bestand das Teilnehmerfeld von Demonstrationen in Köthen nicht aus einer homogenen Gruppe, sondern setzte sich aus Rechtsextremisten aus dem Parteienspektrum und der Neonaziszene, Hooligans und Fußballfans unterschiedlicher Vereine sowie aus Bürgern ohne subkulturellen oder extremistischen Hintergrund zusammen. Dieses zu erkennen und entsprechend darauf sicherheitsbehördlich zu reagieren, stellte eine besondere Herausforderung dar, der nicht zuletzt durch die Frühwarnfunktion des Landesverfassungsschutzes adäquat begegnet wurde.“
Zu den Phänomenbereichen im Einzelnen:
Rechtsextremismus
Strukturen des traditionellen Rechtsextremismus der 1990er und 2000er Jahre sind nach wie vor in Sachsen-Anhalt aktiv, der Rechtsextremismus sieht sich jedoch weiterhin Anpassungsprozessen ausgesetzt. Die Szene befindet sich in Bewegung, die Vereinzelung und Kleinteiligkeit in den Strukturen hat sich fortgesetzt und beschleunigt. Diese Fragmentierung einst homogener Personenzusammenschlüsse führt wiederum zu einer Vielfältigkeit der Strukturen und Aktivitäten von Rechtsextremisten. Dabei wird die Entwicklung wesentlich von der Digitalisierung und internetbasierter Kommunikation beeinflusst. So ist vermehrt ein fließender Übergang der rechtsextremistischen Aktivitäten zwischen virtueller Welt und Realwelt zu finden.
Vor diesem Hintergrund stellten die Ereignisse in Köthen eine besondere Herausforderung für die Sicherheitsbehörden – und damit auch für den Verfassungsschutz – dar. Es waren Demonstrationen und Versammlungen zu verzeichnen, bei denen es ebenfalls zu einer Vermischung von Demonstranten aus dem nichtextremistischen Bereich mit Rechtsextremisten unterschiedlichster Prägung kam. Dabei war beachtlich, dass zwar viele Szeneangehörige aus Sachsen-Anhalt an den Demonstrationen teilnahmen, die für den Ablauf verantwortlichen Protagonisten jedoch aus anderen Bundesländern kamen. Dieser „Import von Rechtsextremisten“ nach Sachsen-Anhalt lässt vermuten, dass die Kader der hiesigen Szene nicht zu den bundesweiten Führungskräften zählen.
Linksextremismus
Die Herbsttagung der Innenministerkonferenz (IMK) im November 2018 in Magdeburg stellte einen Schwerpunkt des Protestes und der Aktivitäten der linksextremistischen Szene dar. Insbesondere für die gewaltbereiten Akteure dieser Szene gelten die Innenminister und -senatoren als Repräsentanten des „repressiven“ kapitalistischen Systems, die folglich zu bekämpfen sind. Ein Ereignis wie die IMK bietet daher ein hohes Mobilisierungspotenzial, sowohl innerhalb verschiedener extremistischer Spektren als auch bei Nichtextremisten. So waren sowohl linksextremistische Zusammenschlüsse als auch nichtextremistische Gruppierungen und Personen im so genannten „Unheimlich sicher“-Bündnis vertreten, welches zu den Aktionen gegen die IMK aufgerufen hatte.
Das Personenpotenzial im Land wird auf 530 geschätzt, wobei der gewaltbereiten, insbesondere autonomen Szene etwa 270 Personen zugerechnet werden.
Reichsbürgerszene
Seit Ende 2016 beobachtet der Verfassungsschutz die Reichsbürgerszene und konnte mit der Unterstützung der Landesbehörden ein aussagekräftiges Bild entwerfen.
Die Szene ist organisatorisch und ideologisch sehr heterogen. In Sachsen-Anhalt sind vor allem Einzelpersonen aktiv, etwa 30 Prozent der hiesigen „Reichsbürger und Selbstverwalter“ schlossen sich Organisationen wie etwa der „Samtgemeinde Alte Mark“, dem „Königreich Deutschland“ oder dem „Freistaat Preußen“ an. Dieses Organisieren in ziel- und zweckgerichtet handelnden Personenzusammenschlüssen erhöht die Handlungsfähigkeit der Szene.
Von den etwa 500 Szeneangehörigen können etwa zehn Prozent dem rechtsextremistischen Spektrum zugerechnet werden.
Islamismus
Die im Land festgestellten Bezüge zum Jihadismus standen zumeist im Kontext der Entwicklungen in den so genannten Jihad-Gebieten. Der Verfassungsschutz und andere Sicherheitsbehörden bearbeiten viele Hinweise auf (vermeintliche) Jihadisten, denen oftmals vorgeworfen wird, islamistischen Gruppierungen im syrischen Bürgerkrieg angehört zu haben. In einigen Fällen konnten bestätigende Erkenntnisse gewonnen werden. So erließ das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz aufgrund der hier gewonnen Erkenntnisse zu den beiden Gruppierungen „Liwa Mu’ta“ und „Liwa Owais al Qorani“ bundesweit Strafverfolgungsermächtigungen zu beiden Gruppierungen mit der Folge von bundesweiten Strafverfolgungsmaßnahmen gegen einen Personenkreis im mittleren zweistelligen Bereich.
Ausländerextremismus
Wie auch in den Vorjahren verfügt lediglich die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) über nennenswerte Strukturen in Sachsen-Anhalt.
Für die Aktivitäten der PKK-Anhänger war insbesondere die türkische Militäroffensive im kurdisch verwalteten Kanton Afrin in Nordsyrien von Bedeutung. Der daraus resultierende Protest zeigte eindrucksvoll wie aktuelle Geschehnisse geeignet sind, die Anhängerschaft zu mobilisieren. In Sachsen-Anhalt war es vor allem das Eindringen in die Landesgeschäftsstelle der SPD in Magdeburg im April, die den Protest symbolisierte. Im Zuge dieses Protests beobachtete der Verfassungsschutz ein verstärktes gemeinsames Agieren von PKK-Anhängern und Angehörigen der linksextremistischen Szene. Diese Zusammenarbeit hält weiter an und fand auch im Rahmen der Proteste gegen die IMK statt.
Wirtschaftsschutz / Spionageabwehr / Cyberabwehr
Zwar war die weit überwiegende Zahl der Angriffe auf Unternehmens-, Wissenschafts- und Behördennetzwerke sowie auf Privatpersonen in Sachsen-Anhalt kriminell motiviert, der Verfassungsschutz verzeichnet indes ein gestiegenes Hinweisaufkommen im Bereich der Cyberangriffe. So setzte sich zum Beispiel im letzten Jahr eine Angriffskampagne fort, die 2016 von einem Institut der iranischen Revolutionsgarden ausgegangen war. Die Kampagne richtete sich gegen 320 Universitäten und Hochschulen – darunter 23 in Deutschland. Der Verfassungsschutz steht mit betroffenen Unternehmen und Einrichtungen in ständigem Kontakt und sensibilisiert in Bezug auf die von fremden Nachrichtendiensten ausgehenden Gefahren.
Übersicht über das Personenpotenzial
2016 | 2017 | 2018 | |
Rechtsextremisten | |||
Parteigebundener Rechtsextremismus (Parteien) | 265 | 265 | 265 |
Parteiungebundener Rechtsextremismus | 410 | 350 | 340 |
Weitgehend unstrukturierter, meist subkulturell geprägter Rechtsextremismus | 800 | 760 | 740 |
Summe: | 1.475 | 1.375 | 1.345 |
Gesamt (nach Abzug der Mehrfachmitgliedschaften) | 1.400 | 1.300 | 1.300 |
Linksextremisten | |||
Gewaltbereite Linksextremisten, insbesondere Autonome |
230 | 230 | 270 |
Parteien und sonstige Gruppierungen, unter anderem die „Rote Hilfe“ |
260 | 260 | 260 |
Gesamt: | 490 | 490 | 530 |
Islamisten | 150 | 200 | 300 |
Reichsbürger und Selbstverwalter
(inkl. Rechtsextremisten innerhalb dieser Szene) |
330 | 450 | 500 |
PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) | 250 | 250 | 250 |
|
|||
GESAMTZAHL aller Extremisten in Sachsen-Anhalt (nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften) | 2.590 | 2.655 | 2.880 |
(Die Zahlen sind zum Teil geschätzt und gerundet.)
Die Linken fordern die Abschaffung des Verfassungsschutzes. Die innenpolitische Sprecherin Henriette Quade und die rechtspolitische Sprecherin Eva von Angern erklären: „Zunächst bleibt kritisch festzuhalten, dass die Koalition in Sachen Verfassungsschutz nach wie vor hinter ihren eigenen Vorgaben zurückbleibt. Entgegen der Formulierung aus dem Koalitionsvertrag, wonach der Verfassungsschutz mit einer transparenten Organisationsstruktur und wirkungsvoller demokratischer Kontrolle zu einer modernen Behörde neu ausgerichtet werden soll, ist eine Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes bisher nicht erfolgt. Für die Fraktion DIE LINKE steht seit jeher in Frage, welche Legitimation der Verfassungsschutz für sich in Anspruch nimmt und was er zur Sicherheit beiträgt. Bundesweit verdichtet sich eher das Bild skandalträchtiger Behörden, die auf dem rechten Auge blind sind, ja sogar Teil des Problems. Dies haben nicht erst die Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zur Rolle der Verfassungsschutzbehörden im Fall des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gezeigt, deren Untersuchungen – auch zur Finanzierung extrem Rechter durch Verfassungsschutzbehörden – teilweise noch andauern. Derzeit steht das Landesamt für Verfassungsschutz von Baden-Württemberg in der Kritik, ein damals noch aktiver Mitarbeiter soll „Uniter e.V.“ mitgegründet haben. Recherchen von Medien zeigen, dass die extrem rechte Gruppierung Feindeslisten geführt haben soll und die Tötung politischer Gegnerinnen und Gegner geplant. Gleichzeitig zeigen sich bei weiteren Gruppierungen, die schwere Gewalttaten geplant haben sollen, Verbindungen in die Verfassungsschutz- und Sicherheitsbehörden sowie die Bundeswehr, wie die Enthüllungen zu „Hannibal“ und „Nordkreuz“ zeigen. Der Verfassungsschutz leistet keinen Beitrag zur Sicherheit, er ist ein intransparenter Inlandsgeheimdienst mit weitreichenden Befugnissen und diversen Verbindungen in den militanten Rechtsextremismus – aus Sicht der Fraktion DIE LINKE gehört er abgeschafft. Eine Erwähnung im Verfassungsschutzbericht sagt lediglich aus, dass die betroffenen Personen oder Organisationen durch den Inlandsgeheimdienst als extremistisch bewertet werden anhand einer Behördendefinition, die in relevanten Teilen der Wissenschaft abgelehnt wird. Nicht zuletzt hat sich im Fall des NSU gezeigt, wie gefährlich der Quellenschutz und Schutz von V-Leuten ist, wenn dadurch Aufklärung und Strafverfolgung verhindert werden. Unabhängige zivilgesellschaftliche Stellen, Fachjournalistinnen und Fachjournalisten sowie antifaschistische Gruppen sind im Bereich des Rechtsextremismus in der Regel besser informiert als der Verfassungsschutz und andere Behörden. Auf die Arbeit dieser zivilgesellschaftlichen Akteur*innen kann im Kampf gegen Rechts nicht verzichtet werden. Die Abschaffung des Verfassungsschutzes hingegen wäre ein Beitrag zur inneren Sicherheit.“
Zur Erwähnung der Kontakte von 15 Mitgliedern muslimischer Gemeinden, die Kontakt zur Muslimbruderschaft haben, erklärt der religionspolitische Sprecher der Landtagsfraktion Die Linke, Wulf Gallert: „Wie schon im letzten Verfassungsschutzbericht wird ohne eine eindeutige Eingrenzung und Benennung von Verantwortung ein Generalverdacht gegen muslimische Gemeinden geäußert. Im Fall von Stendal wird sogar das Löschen von Bezügen auf die Muslimbruderschaft in öffentlich zugänglichen privaten Social-Network-Profilen als Beleg für einen bewussten Tarnungsversuch angeführt. Träger des öffentlichen Lebens werden sogar ausdrücklich davor gewarnt, Kontakt mit den Gemeinden aufzunehmen, obwohl die Verantwortlichkeiten nicht benannt werden und im Gegensatz zu anderen Teilbereichen des VS-Berichtes keine konkreten Vorkommnisse bekannt wurden. Damit wird Misstrauen gegen inzwischen alle muslimischen Gemeinden gesät. Das ist jedoch genau das Klima, in der Verständigung unmöglich gemacht wird und die Probleme geschaffen werden, die der Verfassungsschutz angeblich bekämpfen will.“
Einmal mehr wird deutlich, dass unsere Demokratie nicht nur von Extremisten bekämpft und bedroht wird, die als solche im Verfassungsschutzbericht erwähnt werden, sondern ganz direkt und öffentlich auch innerhalb des parlamentarischen Raumes von mittlerweile etablierten und somit staatlich finanziell unterstützten Parteien.
Die Linken und die AfD haben hier mittlerweile in der Öffentlichkeit Strukturen etabliert, die aus meiner Sicht in der politischen Diskussion stärker problematisiert werden müssen.
Die zusätzliche Herausforderung im Politikalltag ist, dass diese Kräfte in den Parlamenten integriert sind, da sonst ein geregelter parlamentarischer Betrieb z. B. die Arbeit im Stadtrat nicht möglich ist.
@Dirk Müller,
,,Einmal mehr wird deutlich, dass unsere Demokratie nicht nur von Extremisten bekämpft und bedroht wird, die als solche im Verfassungsschutzbericht erwähnt werden, sondern ganz direkt und öffentlich auch innerhalb des parlamentarischen Raumes von mittlerweile etablierten und somit staatlich finanziell unterstützten Parteien.“ ??????
Genau deshalb gibt es Parteiverbotsverfahren, den Antrag können Sie allerdings nicht bei ,,Du bist Halle“ stellen!
Antragsberechtigt sind Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung.
https://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Wichtige-Verfahrensarten/Parteiverbotsverfahren/parteiverbotsverfahren_node.html
Viel Erfolg!