Gedenken in der Moritzkirche in Halle: Trauerfeier für 17 verstorbene Polizisten der letzten zwölf Monate
Ein stiller, grauer Samstagnachmittag liegt über Halle (Saale), als sich vor der Moritzkirche in Halle (Saale) die ersten Polizeifahrzeuge aufreihen. Schritt für Schritt treffen Beamtinnen und Beamte ein, viele in Paradeuniform, andere in dunklen Zivilmänteln. Auf dem Moritzkirchhof ist sofort spürbar: Dieser Tag ist kein gewöhnlicher Termin im Kalender der Landespolizei Sachsen-Anhalt. Er ist ein Tag der Erinnerung. Die Landespolizei Sachsen-Anhalt und die Bundespolizeidirektion Pirna haben zur jährlichen zentralen Gedenkveranstaltung geladen – zu einem Moment des Innehaltens, der Wertschätzung und des stillen Abschieds. Gedacht wird all jener Kolleginnen und Kollegen, die in den vergangenen zwölf Monaten im aktiven Dienst standen und dennoch fernab des Einsatzgeschehens ihr Leben verloren haben. In diesem Jahr sind es 17 Landesbedienstete, die durch Unfälle, Krankheiten oder andere Schicksalsschläge plötzlich fehlen.
Ein Ort, der den Atem anhält
Schon beim Betreten der Moritzkirche wird deutlich, wie sehr dieser Raum mit seiner gedämpften Akustik und dem warmen Kerzenlicht für Momente wie diesen geschaffen scheint. Reihen von Stühlen, gefüllt mit Hinterbliebenen, Angehörigen, Freundinnen und Freunden, neben Vertreterinnen und Vertretern der Polizeibehörden, der Fachhochschule Polizei und Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft. Die Uniformen bilden ein stilles, fast feierliches Bild. Viele tragen schwarze Binden am Ärmel. Andere haben kleine, diskrete Trauerzeichen an ihren Jacken befestigt. In den Gesichtern spiegelt sich Konzentration, Anteilnahme, in vielen auch Traurigkeit. Die Atmosphäre ist dicht, aber nicht bedrückend – eher getragen von gegenseitigem Halt. An Tafel sind Fotos und Namen der Verstorbenen angebracht. Auf der Empore bereiten sich bereits das Vokalensemble „Multivokal“ und Organist Tobias Geuther vor. Ihre Musik wird später den kirchlichen Raum ausfüllen und ihm jene emotionale Tiefe geben, die Worte mitunter nicht erreichen können.
Der Moment, in dem die Namen erklingen
Als der erste Glockenschlag die Stille durchbricht, richten sich alle Blicke nach vorn. Der Zeremonienteil beginnt. Es ist ein Ritual, das sich jedes Jahr wiederholt – und trotzdem nie Routine wird. Die Namen der Verstorbenen werden einzeln verlesen. Jeder Name steht für ein Leben, für Kollegialität, für gemeinsame Stunden im Dienst, für einen Menschen, der einem Team, einer Wache, einer Dienstgruppe vertraut war. Nach jedem Namen zündet eine Angehörige oder ein Angehöriger eine Kerze an. Mit jeder Flamme wächst ein kleiner Lichterkranz – ein symbolischer Schutzraum, der den Verstorbenen gewidmet ist. Hier wird sichtbar, was Statistiken niemals abbilden können: Hinter jedem Todesfall steht ein Umfeld, das sich neu ordnen muss; hinter jeder Uniform steckt ein Mensch mit Familie, mit Hoffnungen, mit unerfüllten Plänen.

Worte, die tragen sollen
Polizeipfarrer Werner Meyknecht tritt nach vorne. Seine Stimme ist ruhig, sie trägt, ohne zu beschweren. Sein Zitat – „Den eigenen Tod stirbt man nur, doch mit dem Tod der anderen muss man leben“ – trifft die Essenz dieses Nachmittags. Er spricht davon, wie schwer es sei, Freunde, Partner oder Kolleginnen gehen zu lassen. Von der Verantwortung, die Last des Verlusts gemeinsam zu tragen. Von der Notwendigkeit, Trauer zu teilen. Seine Ansprache ist nicht nur religiöse Betrachtung, sondern auch menschliche Einladung: Zum Mitfühlen, zum Aushalten und zum Weitergehen. Im Anschluss spricht Thomas Kriesel vom katholisch-bischöflichen Ordinariat. Er stellt die Frage nach dem Bleibenden – eine Frage, die sich viele im Raum vermutlich in den vergangenen Monaten bereits gestellt haben. Was bleibt von einem Menschen, der nicht mehr da ist? Seine Antwort wirkt bewusst bodenständig und dennoch tröstend: Fotos, Gegenstände, Erinnerungen – und deren lebendige Präsenz im Alltag der Hinterbliebenen. Vor allem aber bleibe das, was im Herzen weiterklinge. Seine Worte „Tot ist nur, wer vergessen wird“ hallen nach, lange nachdem er sie gesprochen hat.
Ein Blick auf die Menschen hinter der Uniform
Wenn Innenministerin Tamara Zieschang ans Rednerpult tritt, wird der Blick weiter – vom Individuellen zum Gesellschaftlichen. Ihre Worte betonen die Bedeutung des Polizeiberufs und derer, die ihn ausüben. „Polizistin oder Polizist zu sein, ist mehr als ein Beruf, es ist eine wahre Berufung“, sagt sie und erinnert daran, dass die Polizeiarbeit nicht nur aus Einsätzen besteht, sondern aus Haltung, Verantwortung und Verlässlichkeit. Oft werde dabei vergessen, wie viele Belastungen dieser Beruf mit sich bringe – nicht nur für die Beamtinnen und Beamten selbst, sondern auch für deren Familien. Ihre Rede macht deutlich, wie sehr das Unterstützungssystem im Hintergrund zur tragenden Säule des Polizeidienstes wird: Partnerinnen, Eltern, Kinder, Freunde – all jene, die nachts wach liegen, wenn ein Einsatz länger dauert, die Ausfälle im Familienalltag ausgleichen, die Sorgen teilen und gleichzeitig Halt geben. Die Innenministerin spricht auch darüber, dass der Tod eines Kollegen immer eine Lücke reißt – in den Dienststellen, aber noch viel stärker in den Familien. Und sie betont die Verantwortung, auch für jene Kolleginnen und Kollegen einzustehen, die keine nahen Angehörigen hinterlassen haben.

Die stille Kraft des Rituals
„Ich hatte einen Kameraden“, erklingt zum Abschluss auf der Trompete – und macht den Gesamteindruck des Nachmittags deutlich: Trauer, Respekt und ein Gefühl von Zusammengehörigkeit. Es ist ein Ritual, das die Polizei jedes Jahr erneuert, aber es ist auch ein kollektiver Akt der Heilung. Die Kerzen brennen weiter, während einige Besucher gedankenverloren auf die Flammen blicken. Andere halten die Hände ihrer Sitznachbarinnen oder Sitznachbarn fest. Der Raum zeigt, wie vielfältig Trauer sein kann – und wie verbindend. Für viele ist diese Veranstaltung nicht nur Pflichttermin, sondern ein persönliches Bedürfnis. Manche kommen, weil sie selbst vor Jahren einen Kollegen verloren haben. Andere, weil sie an diesem Tag an die eigene Sterblichkeit erinnert werden – eine Realität, die im Polizeialltag näher liegt als in vielen anderen Berufen. Die Gedenkveranstaltung macht sichtbar, dass Polizistinnen und Polizisten nicht nur im Einsatz Risiken ausgesetzt sind, sondern auch abseits davon mit den Unwägbarkeiten des Lebens konfrontiert bleiben. Unfälle, Krankheiten, Schicksalsschläge – sie treffen Menschen, die tagtäglich für Ordnung und Sicherheit sorgen wollen. Und sie treffen ihre Teams, die lernen müssen, ohne sie weiterzuarbeiten.
Ein Blick auf die Tradition seit 2007
Seit 2007 findet diese zentrale Gedenkveranstaltung jedes Jahr statt – organisiert vom Polizeiseelsorgebeirat, den Polizeigewerkschaften sowie dem Ministerium für Inneres und Sport. Ort und Rahmen variieren, doch der Kern der Veranstaltung bleibt unverändert: In einem würdigen Rahmen derer zu gedenken, die im Dienst standen, als ihr Leben endete. Dass die Schirmherrschaft bei der Innenministerin liegt, unterstreicht die institutionelle Bedeutung des Gedenkens. Doch letztlich lebt diese Veranstaltung von den Menschen, die teilnehmen – den Angehörigen, den Kolleginnen und Kollegen, den Wegbegleitern.
Nach dem offiziellen Ende
Als die letzten Töne der Orgel verklingen und die Besucher langsam die Kirche verlassen, wirkt der Platz vor der Moritzkirche fast wie ein erweitertes Kirchenschiff. Gruppen bleiben stehen, sprechen leise, viele umarmen sich. Einige legen kleine Blumensträuße an den Kerzenstand in der Kirche, andere ziehen sich zurück, um den Moment in Stille zu verarbeiten. Man spürt: Dieses Gedenken ist mehr als eine Pflichtveranstaltung. Es ist ein emotionales Band, das die Menschen im Polizeidienst miteinander verbindet und zugleich den Hinterbliebenen zeigt, dass ihre Verstorbenen nicht vergessen sind.










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