Farbrausch auf einem Tischtuch: Kunstsammler übergeben der Moritzburg Schenkung eines monumentalen Gemäldes
Das Kunstmuseum Moritzburg in Halle (Saale) hat ein neues, bedeutendes Kunstwerk in seiner Sammlung. Michael und Susanne Liebelt aus Hamburg übergaben am Montag ein monumentales Gemälde von A. R. Penck, ein Quadrat von 2,85 Metern Seitenlänge, voller Farbenergie und rätselhafter Symbolik. Es trägt den geradezu überschäumenden Titel „Der höchst geniale Wanja kommt in höchst geniale Höchstform“ und wurde 1975 in Pencks Dresdner Jahren gemalt. Für Museumsdirektor Thomas Bauer-Friedrich war es spürbar ein Moment, der weit über den üblichen Verwaltungsakt hinausging. Er sprach von einem besonderen Tag für das Museum, von einer Schenkung, die Rang und Bedeutung hat und die bestehende Penck-Sammlung des Hauses in idealer Weise ergänzt. Die Moritzburg besitzt seit Jahren wichtige Arbeiten des Künstlers, darunter ein Selbstporträt von 1976 sowie mehrere farbintensive Druckgrafiken aus den 1980er- und 1990er-Jahren. Doch dieses monumentale, auf einem Tischtuch ausgeführte Gemälde fügt sich wie ein fehlender Baustein in das Bild von Pencks Wirken in und gegenüber der DDR ein. Es ist ein Werk, das man nicht einfach betrachtet, sondern das sich dem Raum und der Wahrnehmung aufdrängt – und damit genau jene Energie ausstrahlt, von der Michael Liebelt so begeistert spricht.
Wie alles begann – und warum eine Schenkung an ein ostdeutsches Museum kein Selbstläufer ist
Dass dieses Werk seinen Weg nach Halle fand, war keinesfalls selbstverständlich. Es ist eine Geschichte von Begegnungen, ungewöhnlichen Vertrauensmomenten und der Überwindung historischer Skepsis zwischen Ost und West, die in der deutschen Museumslandschaft der vergangenen Jahrzehnte oft unterschätzt wurde. Michael Liebelt erinnert sich lebhaft an die atmosphärischen Spannungen, die nach 1990 noch lange nachwirkten. Viele ostdeutsche Museumsdirektoren seien zurückhaltend gewesen, manchmal aus Vorsicht, manchmal aus Erfahrung. Allzu oft habe es Angebote gegeben, die nicht seriös waren, und wenn jemand aus dem Westen mit einer Kooperation winkte, sei dies häufig eher auf Misstrauen als auf offene Arme gestoßen. Noch seltsamer wirkten in dieser Zeit Schenkungen – über Jahrzehnte in der DDR schlicht kein übliches Instrument des Mäzenatentums. Liebelt, der selbst Kunstgeschichte studiert hat, ging daher bewusst einen anderen Weg. Er suchte die Nähe zur Basis, zu Kunstvereinen, zu unabhängigen Initiativen, zu all jenen Strukturen, die Kunst abseits der großen Institutionen am Leben halten. Er wuchs in eine ostdeutsche Kunstszene hinein, die zwar unterfinanziert war, aber voller Enthusiasmus, Neugier und Leidenschaft steckte. Seine Unterstützung des Hallenser Kunstraums „Blech“ ist nur ein Beispiel für sein Engagement. Er kaufte Werke junger Künstlerinnen und Künstler, oft bevor sie überhaupt eine Ausstellung hatten, und knüpfte Kontakte, die auf Verlässlichkeit und echtem Interesse basierten. So entstand nach und nach das Vertrauensverhältnis, das schließlich auch die Schenkung des Penck-Werks möglich machte. Die Begegnung mit Cornelia Blume, der langjährigen Leiterin der Sammlung Plastik an der Moritzburg, erwies sich als entscheidend. Blume hatte über Jahrzehnte mit sicherem Gespür zeitgenössische Positionen ins Museum geholt und damit eine Grundlage geschaffen, auf der auch eine außergewöhnliche Schenkung wie diese gedeihen konnte. Als Liebelt ein von ihr erworbenes Penck-Porträt entdeckte, fand sich ein Anknüpfungspunkt, der weit über eine zufällige Überschneidung hinausging. Hier kreuzten sich biografische Linien, künstlerische Interessen und museale Visionen – ein Dreiklang, der schließlich in einem Geschenk von erheblicher Tragweite mündete.
Ein beinahe verlorenes Werk
Kaum jemand vermutet beim stillen Betrachten eines Kunstwerks, dass es eine Vorgeschichte besitzen könnte, die an einen Kriminalroman erinnert. Doch im Fall des „Wanja“ gab es Momente, in denen das Gemälde beinahe in den internationalen Kunstmarkt abgewandert wäre. Komplexe Besitzverhältnisse, Schweizer Miteigentümer, und die Aussicht auf einen lukrativen Verkauf ins Ausland drohten das Werk zu atomisieren. Liebelt spricht heute von einer turbulenten Phase, in der rasches Handeln nötig war. Am Ende kaufte er sämtliche Anteile zurück und bewahrte das Werk in Deutschland – eine Entscheidung, die nicht nur patriotisch wirkt, sondern kulturell klug und verantwortlich. Diese Rettung war die Voraussetzung für die spätere Schenkung. Erst als das Werk gewissermaßen wieder „frei“ war, konnte es seinen Weg in eine öffentliche Sammlung finden. Die Moritzburg war dafür ein idealer Ort: ein Museum, das die Kunstgeschichte der DDR nicht als abgeschlossenes Kapitel betrachtet, sondern als lebendige Grundlage für gesellschaftliche und ästhetische Diskussionen. Dass Blume und Liebelt dieses Kapitel gemeinsam aufschlugen, ist im Rückblick fast folgerichtig. „Ein richtiger Krimi“, nennt Blume diesen Prozess, und man versteht sofort, dass hinter dem leuchtenden Gemälde im Museumssaal ein Stück spannungsgeladener Kulturgeschichte steht.
Ein Tischtuch, eine Epoche und ein Künstler zwischen den Systemen
Auf den ersten Blick erkennt man dem Werk nicht an, auf welch ungewöhnlichem Material es entstanden ist. Doch das Tischtuch, auf dem Penck 1975 malte, erzählt eine eigene Geschichte. In den 1970er-Jahren lebte der Künstler in Dresden unter zunehmend restriktiven Bedingungen. Er war Autodidakt, dem die Aufnahme in den Verband Bildender Künstler ebenso verwehrt wurde wie eine akademische Ausbildung – Maßnahmen, die einem Berufsverbot gleichkamen. Offizielle Ausstellungen blieben ihm verschlossen, seine Arbeiten wurden überwacht oder beschlagnahmt, seine künstlerische Freiheit war permanent bedroht. Doch Penck reagierte nicht mit Rückzug, sondern mit radikaler Improvisation. Er malte auf allem, was zur Verfügung stand: Pappe, Packpapier, Stoffe – und eben Tischtücher. Aus Mangel wurde Stil, aus Improvisation wurde eine Ästhetik, die den Druck der Zeit sichtbar machte. Diese Materialität verbindet das Werk auch heute noch unmittelbar mit der Situation seines Entstehens. Man ahnt förmlich die Enge der Dresdner Wohnung, die angespannte Atmosphäre eines Systems, das Kreativität kontrollieren wollte, und den Willen eines Künstlers, der sich nicht zum Schweigen bringen ließ. Während er im Osten kaum gezeigt wurde und fast unsichtbar blieb, avancierte er in Westdeutschland zur wichtigsten systemkritischen Künstlerpersönlichkeit der DDR. Die Ausbürgerung 1980 zementierte diese Schieflage: Im Westen stiegen seine Preise, im Osten geriet sein Name in Vergessenheit. Dass Künstler wie Willi Sitte bekannter blieben, lag nicht am künstlerischen Rang, sondern an politischer Sichtbarkeit. Michael Liebelt formuliert es rückblickend klar: „Man konnte sich 1990 nicht vorstellen, dass Penck im Osten keinerlei Bedeutung hatte.“ Dass heute ein Schlüsselwerk Pencks in Halle zu sehen ist, hat deshalb auch eine rectende Wirkung – eine Korrektur kunsthistorischer Wahrnehmung.
Der Wanja im Farbenstrudel
Wer vor dem Gemälde steht, erlebt zunächst ein Farbgewitter. Rot, Gelb, Blau und Schwarz treffen in rasanten Bewegungen aufeinander, formen ein Geflecht aus Linien, das chaotisch wirkt und zugleich komponiert ist. Erst nach und nach schält sich eine Figur aus diesem Strudel heraus: Ein nach rechts schreitender Mann, der zugleich zurückblickt, ein Mensch zwischen Vorwärtsdrang und Rückschau, vielleicht verwurzelt im Wald aus Farben, vielleicht verstrickt in ihm. Der Bezug zum im Titel genannten „Wanja“ bleibt bewusst schillernd. Eine naheliegende Assoziation führt zu Tschechows „Onkel Wanja“, jenem Meisterstück der psychologischen Analyse einer stagnierenden Existenz. Dessen Themen – Frustration, Erwartung, Stillstand – lassen sich durchaus auf Pencks eigene Lebenssituation in der DDR übertragen, wie auch auf das Gefühl vieler Menschen, im System gefangen zu sein. Penck war ein Meister der ironischen Überzeichnungen, und sein Bildtitel spielt mit Superlativen, die geradezu wie Parodien offizieller Slogans klingen. „Höchst genial“ und „Höchstform“ erinnern an die hyperbolischen Floskeln staatlicher Kulturkritik, die in der DDR oft aufgesetzt und leer wirkten. Die gelbe Signatur „TM“(Theoretisches Modell) in der unteren linken Ecke verstärkt die Doppelbödigkeit des Werkes. Penck verwendete diese Chiffre, um sich als Modell zu begreifen – ein Künstler, der sich selbst in ein System von Handlungen und Reaktionen einordnet. Dass er aufgrund seines Ausstellungsverbots häufig unter Pseudonymen arbeiten musste, macht die Signatur zugleich zu einer Notwendigkeit und einer ironischen Selbstbehauptung. Vielleicht ist der „Wanja“ daher eine Art Selbstporträt, eine Parodie auf das Geniepathos, ein Bild eines Menschen, der sich im Farbenmeer behaupten muss, um nicht unsichtbar zu werden.
Warum das Werk nach Halle gehört
Seit dem 25. Oktober 2025 ist das Gemälde im Bereich der Ausstellung zur Kunst der SBZ/DDR zwischen 1945 und 1990 zu sehen. Dort fügt es sich nicht nur historisch, sondern auch atmosphärisch in das Gesamtbild ein. Es ergänzt das vorhandene Material und bringt eine neue Wucht in den Raum, eine Präsenz, die man sofort spürt. Bauer-Friedrich betont, wie selten eine solche Schenkung ist und wie sehr sie die Vermittlungsarbeit des Museums stärkt. Penck wird in Halle damit nicht nur als weltbekannter Künstler betrachtet, sondern als eine der wichtigsten Stimmen innerhalb der ostdeutschen Kunstgeschichte – mit all ihren Brüchen, Konflikten und Widersprüchen. Michael und Susanne Liebelt treten seit Jahrzehnten als engagierte Förderer der Kunst auf. Ihre 1995 gegründete Liebelt Stiftung widmet sich sowohl der Erforschung und Vermittlung bildender Kunst als auch der Unterstützung junger Erwachsener in praktischen Berufen. Ihr Leitgedanke ist die Stärkung von Eigeninitiative und ungewöhnlichen denk- und Arbeitsweisen. Das zeigt sich in Projekten von der Stiftung einer Professur für Provenienzforschung bis hin zu Fonds für Restaurierungen, Atelierräume und Ausstellungsprojekte. Die Liebelts haben Kunstförderung zu einem wesentlichen Bestandteil ihres Lebens gemacht und bringen diese Haltung auch in ihre Schenkungen ein, etwa an den Hamburger Bahnhof in Berlin oder an die Hamburger Kunsthalle. Die Übergabe des Penck-Werks an die Moritzburg ist daher Teil eines umfassenderen Engagements, das auf Nachhaltigkeit und gemeinschaftliche Verantwortung setzt. Wenn man heute durch die Moritzburg geht und vor dem „höchst genialen Wanja“ steht, spürt man, dass hier mehr als ein monumentales Gemälde angekommen ist. Es ist ein Werk, das Fragen stellt, irritiert, fasziniert und nachhallt. Es trägt die Energie eines Künstlers, der sich nicht beugen ließ, und die Energie von Menschen, die überzeugt sind, dass Kunst öffentlich und zugänglich sein muss. Die Schenkung verbindet Vergangenheit und Gegenwart, Ost und West, persönliche Geschichten und gesellschaftliche Entwicklungen. Sie ist kein Abschluss, sondern ein Anfang – ein Impuls für neue Gespräche über die Kunst in der DDR, über die Bedeutung von Mäzenatentum und über die Rolle der Museen als Orte lebendiger Erinnerung.










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