Erste wissenschaftlich recherchierte Willi-Sitte-Biografie mit neuen Forschungsergebnissen zur Biografie des DDR-Künstlers und Kulturfunktionärs
Im Februar 2021 wäre der wohl wichtigste DDR-Staatskünstler und mächtige Präsident des Verbandes Bildender Künstler 100 Jahre alt geworden. Die letzte umfassende Werkschau fand 1986 in der Ost-Berliner Nationalgalerie statt, die letzte wissenschaftliche Publikation zu Leben und Werk des Künstlers erschien 2003 mit dem Tagungsband über das Symposium „Kunst und Politik der Fonds Willi Sitte im Germanischen Nationalmuseum“. Seit der friedlichen Revolution 1989 gab es keine weiteren aktuellen Forschungen zum künstlerischen Œuvre Willi Sittes – jenes Künstlers, der im wiedervereinten Deutschland wie kein anderer stellvertretend für das Kunstsystem in der ehemaligen DDR stand.
Anlässlich der ersten Werkschau seit 35 Jahren im Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), dem Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt, haben die beiden Kuratoren der Ausstellung Sittes Welt. Willi Sitte: Die Retrospektive, Thomas Bauer-Friedrich und Paul Kaiser, zusätzlich zum 536-seitigen Katalog zur Ausstellung mit einer zweiten ausstellungsbegleitenden Publikation die erste wissenschaftlich recherchierte Biografie über den Künstler vorgelegt.
Auf 256 Seiten schildern die Autoren in 20 reich bebilderten Kapiteln die Lebensgeschichte des Künstlers vom Bauernsohn im tschechoslowakischen Chrastava zum Präsidenten des Verbands Bildender Künstler und zu einem der mächtigsten Kunstfunktionäre in der DDR wie auch dessen tiefen Fall nach der Wiedervereinigung beider deutschen Staaten 1990.
Anhand zahlreicher neu recherchierter Fakten wird deutlich, dass Willi Sitte Teile seiner Biografie stilisiert und teilweise verfälscht hat. Das betrifft seine behauptete Teilnahme am bewaffneten Kampf 1944/1945 als Partisan in Italien, aber auch weitere Stationen seiner Biografie in der SBZ und frühen DDR, die ihn bis in den höchsten Machtzirkel im Zentralkomitee der SED aufsteigen ließ (1986–1989). Dargelegt wird das ambivalente Verhältnis des Künstlers in den 1950er Jahren zu seinen halleschen Malerkollegen (Hermann Bachmann, Kurt Bunge, Herbert Kitzel, Ulrich Knispel, Fritz Rübbert u. a.) sowie zu seinen Berliner Künstlerfreunden (Fritz Cremer, Herbert Sandberg) auf der einen und zu den Funktionären der SED auf lokaler, Bezirks- und Staatsebene auf der anderen Seite. Ebenso werden seine wechselnden Freundeskreise in den 1960er Jahren vorgestellt, zu denen in Halle (Saale) zunächst die Schriftsteller Sarah und Rainer Kirsch, Christa und Gerhard Wolf wie auch der Liedermacher Wolf Biermann gehörten. Nach dem „Prager Frühling“ lösten sich diese Freundschaften und konzentrierte sich Willi Sitte auf seine künstlerischen Parteifreunde, wie den Schriftsteller Erik Neutsch und den Maler Willi Neubert.
Ausführlich wird der politische und künstlerische Aufstieg Willi Sittes in den 1960er Jahren nachgezeichnet sowie der Aufbau seines Netzwerks in den 1970er und 1980er Jahren, in denen er in der Ära Erich Honeckers der mächtigste Kulturfunktionär der DDR wurde. In diesem Kontext werden sowohl seine Leistungen als Präsident des Verbands Bildender Künstler thematisiert als auch die Privilegien, mit denen er sich und die ihm Nahestehenden ausstattete. Ebenso werden neue Erkenntnisse zu seiner Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit vorgestellt. Ein abschließendes Kapitel schildert den tiefen Fall des Künstlers nach 1989/90 und seine Positionierung im wiedervereinten Deutschland.
Mit der neuen Biografie wird erstmals auf faktengesättigter Basis deutlich, auf welche Weise Willi Sitte seit Ende des Zweiten Weltkriegs seine künstlerische und berufliche Karriere wie auch seinen politischen Aufstieg vorantrieb.
Angaben zum Buch:
Thomas Bauer-Friedrich/Paul Kaiser: Willi Sitte. Maler und Funktionär. Eine biografische Recherche, Dresden/Halle (Saale) 2021, ISBN: 978-3-96502-021-4
Es ist schon erstaunlich, dass man jetzt soviel von ihm erfährt. Woher man das plötzlich alles so genau weiß? Und ob das nicht auch wieder eingefärbt wurde und passend geschrieben? Ich bin mir nicht sicher, seitdem ich weiß, was die Treuhand nach der Wende für eine Aufgabe hatte.
Es wäre auch nicht statthaft wenn der Maler Willi Sitte „ungeschoren“ eine Retrospektive seiner in aller Welt beachteten Kunstwerke im „neuen Deutschland“ erhalten würde. Schon musste ich erstaunt feststellen, wie das künstlerische Werk Sittes eine Lobpreisung erfährt, da wird auch schon sein Leben als Plagiat erkannt. Es gibt in diesem Land jede Menge Institute die in vor – und nacheilendem Gehorsam – für ihren Selbsterhalt -„wasserdichte“ Recherchen, so zu sagen auf Bestellung, liefern. Das begründet sich seit den 90ern, aus dem Auftrag der Delegitimierung des politischen Systems in der ehemaligen DDR.
Der Unterschied zu heutigen ganz ähnlichen Lebensläufen ist nur der, dass über Sitte öffentlich geurteilt wird, während heutige Plagiate auf zwei Beinen alles richtig machen.