IG Hochwasserschutz Altstadt zum Gimritzer Damm: Staat gegen Bürger
Die Interessengemeinschaft Hochwasserschutz Altstadt, die Klage gegen die Bauart des Gimritzer Damms eingelegt hatte, äußert sich nun auch zum Urteil des Oberverwaltungsgerichts. Das “ Mißmanagement in Planungsverfahren“ gefährde „systematisch die Demokratie“, heißt es in einer Erklärung. Man sei Vernunftbürger und keine Wutbürger. Man habe sich seit sieben Jahren „vergeblich bemüht, ihren berechtigten Anliegen um Hochwasserschutz bei Verwaltung und Politik von Stadt und Land Gehör zu verschaffen.“ Dem Landesbetrieb für Hochwasserschutz, der Stadtverwaltung Halle und den Medien hätte „viel mehr daran, die berechtigten Interessen von Neustadt und Altstadt gegeneinander auszuspielen.“ Von Polemik und Populismus ist die Rede.
Hier die komplette Erklärung:
Das Oberverwaltungsgericht Magdeburg hat entschieden: Der Gimritzer Damm in Halle darf ohne Verzug gebaut werden. Die IG Hochwasserschutz Altstadt begrüßt das Urteil zur Eilklage. Es gibt endlich allen Gewißheit: Dem Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasswirtschaft (LHW) als Bauherren des Deiches, den politischen Vertretern der Stadt Halle, den Einwohner der Neustadt und erstmalig auch den Klägern und Bewohnern der Altstadtseite. Letztere hatten sich seit 2013 vergeblich bemüht, ihren berechtigten Anliegen um Hochwasserschutz bei Verwaltung und Politik von Stadt und Land Gehör zu verschaffen. Grundsätzlich brachten sie immer die Vernunft auf, die Notwendigkeit eines Deichbaues zu bekräftigen. Sie sind Vernunftbürger und keine Wutbürger. Daher forderten sie nicht den Verzicht auf den Deichbau, sondern ausgleichende Hochwasserschutzmaßnahmen auch für ihre Wohngebiete und brachten sich konstruktiv in diesen Prozess ein. Statt solche Maßnahmen zu planen oder zu diskutieren, lag sowohl dem LHW, der Stadtverwaltung Halle oder der Mitteldeutschen Zeitung sehr viel mehr daran, die berechtigten Interessen von Neustadt und Altstadt gegeneinander auszuspielen und über Polemik und Populismus dafür zu sorgen, dass keine gemeinsamen Ziele für den Hochwasserschutz in der Stadt Halle entwickelt wurden. Die Forderungen der Altstadt wurden von der MZ öffentlich als „Egoismus“ gegeißelt und von vielen Forenkommentaren einschlägig begleitet.
Der LHW, der jetzt klammheimlich genau den Deich baut, der im früheren Klageverfahren durch die „unkundigen Laien der Altstadt“ vorgeschlagen wurde, konnte keine negativen Auswirkungen des Deichbaus erkennen. Da der Planungsträger immer den aufgesackten Deich von 2013 als fiktive Ausgangslage für alle zu berechnenden Auswirkungen zugrunde legt und nicht den tatsächlich vorhandenen viel tiefer liegenden Damm, konnte das Amt (wenig erstaunlich) die Ausweisung der realen Auswirkungen verhindern. Dieses Vorgehen wurde jetzt gerichtlich harsch kritisiert. Die Politik schließlich hat sich sowieso schon lange anderen gesellschaftlichen Problemen zugewandt: Da es keine dauerhafte Lobbyarbeit oder akute Problemlagen gibt, spielt die Hochwasserproblematik in der Tagespolitik keine Rolle mehr. Die Bewohner der Altstadt, die vom neuen Deichbau langfristig betroffen sind, können es zeitlich eben nicht leisten, täglich ihre Anliegen mit innovativen Methoden immer wieder in Medien, Verwaltung, Politik und Öffentlichkeit zu spielen, wenn diese gar nicht bereit sind in diesem Sinne zu handeln.
Stattdessen haben die Bürger intensiv alle vom Gesetzgeber geschaffenen Mittel des Planungsverfahrens genutzt und ihre Bedenken im Rahmen des Deichbaus immer wieder sachlich vorgetragen. Von den Planungsträgern wurden sie jedoch ein ums andere Mal zurückgewiesen und nie erhört, weshalb viele von Verwaltung und Politik enttäuscht sind. Der Staat wollte sich auf der sachlichen Ebene nicht mit seinen Bürgern auseinandersetzen. Daher klagten zwei Vertreter schließlich nicht gegen den Bau des Deiches (auch wenn dies immer wieder gerne behauptet wird), sondern für gleiche Rechte auf Hochwasserschutz und Anerkennung von negativen Auswirkungen!
Tatsächlich hat der Rechtsstaat geholfen: Das Gericht hat mit seiner sehr präzisen Entscheidung zur Eilklage die nun auch gerichtlich festgestellten „offensichtlichen“ Mängel in der Abwägung zum Hochwasserschutz attestiert und fordert eine Nachbesserung für die Altstadtseite ein. Interessanterweise verpflichtet das Gericht dazu den LHW als Landesinstitution! Bisher hat der LHW hier immer nur auf die Zuständigkeit der Stadt verwiesen. Man kann nur hoffen, dass Politik und Verwaltung dies jetzt nicht nur auf die unmittelbaren Kläger beziehen, sondern endlich einen sinnvollen und mit den Bürgern abgestimmten (!) Hochwasser- und Katastrophenschutz für die ganze Stadt in den Blick nehmen (der Hochwasserbeirat der Stadt Halle hat sich dazu leider nicht als geeignet erwiesen).
Die Mängel im Planungsverfahren umfassen genau die Details, die alle Betroffenen des Deichbaus seit 2013 unisono vortragen haben und für deren Behebung die Planungsbehörden mit den Instrumenten des Planfeststellungsverfahrens und der Umweltverträglichkeitsprüfung hätten sorgen können und vor allem: sorgen müssen! Nie ging es in Halle um vorgeschobene seltene Insekten oder Fledermausarten (auch wenn die sicherlich genauso Rechte beanspruchen können sollten) oder nachgelagerte Probleme. Es ging immer um die Abwägung von gleichen Bedürfnissen von Menschen dies- und jenseits des gleichen Flusses in der gleichen Stadt. Sieben Jahre lang hat man diese Wünsche systematisch ausgeblendet, produktive gemeinsame Planungen verhindert und sinnvolle Maßnahmen (z.B. den Deichbau) verzögert.
Die Frage bleibt, welche Ziele die Verantwortlichen des LHW oder der Stadt Halle mit ihrem Handeln verfolgen? Welches Selbstverständnis der Amtsausübung ist damit verbunden, wenn Bürger „offensichtliche“ und „erhebliche“ Mängel erst über Klagen beheben können? Planungsverfahren haben die Aufgabe, Bürger zu beteiligen, gesamtgesellschaftliche Interessen zu formulieren und tragfähige Lösungen zu erarbeiten! Welchen Sinn macht es für unsere Gesellschaft insgesamt, wenn die geschaffenen Planungsmaßnahmen jedoch inhaltlich so ausgehöhlt werden, dass sie immer häufiger ein „Staat gegen Bürger“ werden und letztlich ihren Zweck gar nicht mehr erfüllen, wie dies auch bei vielen anderen städtebaulichen Planungsverfahren zu besichtigen ist.
Stattdessen hört man aus der Politik zunehmend Kritik an den „langwierigen Planungsverfahren“, die nun gestrafft und beschleunigt werden sollen. Für uns als Bürger ist jedenfalls mehr als deutlich geworden: Es ist diese komplexe Art und Weise der Ignoranz von gesellschaftlichen Problemlagen und Verhinderung gemeinsamer Lösungen, die wider besseren Wissens systematisch zu Vertrauensverlust, Politikverdrossenheit und zur Abwendung von der Demokratie führen, obwohl formal genau die richtigen Verfahren und Rechte vorhanden sind. Kompetente und bürgernahe Institutionen und Medien eines demokratischen Staates sollten so handeln, dass niemand Klagen braucht. Die IG Hochwasserschutz Altstadt ist weiterhin für sachorientierte Arbeit offen, aber nur, wenn es auch um die Erreichung gemeinsam definierter sinnvoller Ziele geht.











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