Pogromgedenken: Flüchtlinge müssen Judentum akzeptieren
Am 9. November 1938 brach auch über Halle die Pogromnacht herein. Jüdische Geschäfte und Wohnungen geplündert und in der sogenannten „Reichskristallnacht“ 124 jüdische Männer ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. In den folgenden Jahren wurden viele weitere Hallenser Juden in die Vernichtungslager der Nationalsozialisten deportiert, auch 33 Sinti und Roma aus der Saalestadt wurden auf diese Reise in den Tod geschickt. Am Mittwoch wurde am Jerusalemer Platz am Denkmal für die abgebrannte Synagoge, an die Ereignisse erinnert.
Bürgermeister Egbert Geier wies in seiner Rede auf die wieder wachsende jüdische Gemeinde in Halle hin. „Wir spüren die kulturelle und menschliche Bereicherung, die auch mit dem Zuzug von Menschen jüdischen Glaubens entstanden ist. Und wir werden alles tun, um ein tolerantes Miteinander zu gewährleisten.“ Dennoch benötige man auch die Erinnerung „gerade an die Abgründe unsere deutschen, unserer Menschheitsgeschichte“, so Geier. „Ohne Erinnerung hat eine Gemeinschaft keine Orientierung, keine Identität.“ Geier erinnerte auch an die vielen ermordeten, gefolterten und deportierten Menschen in jüngster Zeit. Auch deshalb sei es sehr wichtig, „dass wir uns erinnern.“ Explizit griff er dabei die Familie Herschkowicz, die nach Polen deportiert wurde und dort ums Leben kam. Geier griff sich dabei insbesondere das Schicksal der Tochter Hanna heraus, die im Alter von zwölf Jahren starb. „Erinnerung, Nächstenliebe und Mitgefühl sind eine gute Basis für unsere Zukunft. Diese Zukunft werden wir nur gemeinsam bestehen, im friedlichen und toleranten, im weltoffenen Miteinander aller Religionen und Weltanschauungen.“ Zudem erinnerte Geier an die sogenannte „Polenaktion“, die wenige Tage vor der Pogromnacht stattfand. Der gebürtige Hallenser Reinhard Heydrich ließ zwischen zahlreiche Juden verhaften, allein in Halle waren es 120.
Superintendent Hans-Jürgen Kant sprach für die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen. Zum ersten Mal mit dem Holocaust in Berührung gekommen sei er im Alter von 17 Jahren durch das Buch „Die Nacht“ von Elie Wiesel, im Kühlungsborner Gemeinderaum sei dies gewesen. Man habe damals über den Holocaust gesprochen „zu einer Zeit, in der das kein Thema, oder kaum ein Thema in der Schule war.“ In dem Buch hat Wiesel in Form eines Romas zu verarbeiten versucht, was er im Nationalsozialismus und im Konzentrationslager erlebt hat, so die Erhängung eines Kindes. Wiesel selbst hat seine Mutter und seine Schwester nach der Deportation nach Auschwitz nie wieder gesehen. „Finstere Nacht offenbart sich in diesen Zeilen von Elie Wiesel“, so Kant, „ein unerträgliches Maß an Grauen und eine Gottesverfinsterung, die geradezu aus den Worten eines Hiob oder ohnmächtiger Psalmbeter zu kommen scheint. Finstere Nacht als Endstation dessen, was 1933 in ganz Deutschland begonnen hat, was sich vor 78 Jahren mit den Pogromen in der Nacht vom 9. auf den 10. November entsetzlich steigerte“, so Kant, „und über 7 weitere Jahre in den Massenmord an unseren jüdischen Mitbürgern gipfelte.“ Das Erinnern am 9. November sei für ihn kein Ritual, das es zu absolvieren gelte und das eines Tages überholt sei. „Dieses Erinnern bleibt für mich über die Jahre lebendig. Nicht nur in den Einzelschicksalen, die mir vor Augen treten, von denen ich wie in dem Buch von Elie Wiesel bis heute lese und höre. Dieses Erinnern an das Grauen ist für mich nicht nur rückwärtsgewandt im Blick auf die Opfer von damals, sondern es zielt in unsere Gegenwart.“ Es gebe in jedem Menschen nicht nur den Willen zum Guten, sondern immer auch das Destruktive, das Zerstörerische, die Abgründe.“ Bereits die Bibel zeige dies, Kain erschlage seinen Bruder Abel. „Die Bosheit läuft in den Abgrund, in die Katastrophe der Sintflut. Menschen verlassen ihr eigenes Maß und wollen mit ihren Türmen wie Gott sein.“ Das Haus der menschlichen Möglichkeiten habe viele Spielräume. „Was einmal geschehen ist, kann sich trotz aller Aufklärung wiederholen, weil der Mensch so ist wie er ist. Mit seiner Angst, nicht genug berücksichtigt und angeschaut zu werden. Mit seinem Wahn, hinter meterhohen Mauern und mit Abschottung eine Zuflucht zu finden. Seine Heimat zu sichern. Und dann genau denen zuzujubeln, die seine Ängste mit markigen Worten bedienen und befeuern“, mahnte Kant. „Denjenigen, denen die Rechte von Minderheiten egal sind, die an einer demokratischen Gewaltenteilung kein Interesse haben, die Hass predigen.“ Doch der Mensch müsse nicht das Böse wählen. „Als Menschen können wir immer wieder neu uns für das Gute entscheiden“, so Kant weiter. „Sich die menschlichen Möglichkeiten vor Augen zu halten, darauf kommt es für mich an, an einem Tag wie heute, damit unsere Welt nicht wieder in einem Abgrund versinkt.“
Max Privorotzki, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, sagte, er habe sich die Frage gestellt, ob die Gedenkveranstaltungen und Ansprachen überhaupt etwas bringen, oder ob diese nicht zum reinen Ritual verkommen seien. Die Entwicklungen der vergangenen Monate hätten gezeigt, dass die Menschheit sehr kurzsichtig sei. Kriege und bewaffnete Konflikte habe es auch nach Ende des zweiten Weltkriegs immer wieder gegeben. Doch seien Brutalität und Aggressivität in der letzten Zeit bedrohlich gestiegen, „dass man denken könnte, die Geschichte wolle sich unbedingt wiederholen.“ Auch die Entwicklung des Antisemitismus wirke wie ein Déjà-vu. Privorotzki nannte dabei beispielhaft die Verschwörungstheoretiker, die vom jüdischen oder jüdisch-amerikanischen Kapital sprechen und jeden Montag auch in Halle demonstrieren und zum Tag der Reichspogromnacht fast zeitgleich eine ihrer Kundgebungen am Riebeckplatz abhielten. Ebenso verurteilte er die „ständige antiisraelische Hetze, wie kürzlich im Fall einer Unesco-Jerusalem-Resolution.“ All dies hinterlasse ein Gefühl der Fassungslosigkeit. Die Aussage „Die Geschichte wiederholt sich“ scheine sich zu bestätigen. Er habe anfangs überlegt, auf eine Ansprache zu verzichten, „denn was bringen all die mahnenden Worte von ermordeten Frauen und Kindern, und über niedergebrannte Synagogen, wenn keine Verbindung zu den gegenwärtigen Entwicklungen gezogen wird.“ Doch die Erinnerung sei wichtig, gebe es doch immer weniger Zeitzeugen der Shoa, die Ereignisse verkommen zu bloßen Fakten auf einer Seite im Geschichtsbuch. Nötig seien derartige Veranstaltungen auch, um den gegenwärtigen Antisemitismus und die Bedrohung jüdischen Lebens zu thematisieren. Im Jahre 2006 seien 364 westeuropäische Juden nach Israel ausgewundert, im vergangenen Jahr seien es 9.967 gewesen. Um diese Tendenzen zu stoppen, reichen Fachkonferenzen und Workshops nicht aus, so Privorotzki. Handlungen müssten folgen. Dazu zähle beispielsweise, dass hallesche Schulklassen im Rahmen des Unterrichts die Synagoge besuchen. Diese vor Jahren erfolgte Anregung sei bis heute nicht realisiert worden. Bei der Integration von Flüchtlingen reiche es nicht aus, ihnen die deutsche Sprache beizubringen und bei der Jobsuche behilflich zu sei. „Eine erfolgreiche Integration bedeutet auch, dass die Neuzugewanderten das deutsche Judentum als untrennbaren Teil der deutschen Gesellschaft verstehen und akzeptieren lernen. Und das in allen Aspekten, von der Kultur und Religion über die Geschichte bis hin zu der von der Bundeskanzlerin propagierten Staatsräson: die Sicherheit und das Existenzrecht Israels haben einen besonderen Stellenwert“, so Privorotzki. Ein weiterer Grund für die Gedenkstunde sei das Beten. „Nur der Glaube an Gott und den von ihm erschaffenen Menschen bringt uns Kraft.“ Dies sei auch für die Seelen der ermordeten Menschen von immenser Wichtigkeit. Im Anschluss folgte das Kaddisch, eines der wichtigsten jüdischen Gebete.
Den Unterscheid von Antisemitismus und Antizionismus sollte aber auch Herr Privorotzki inzwischen kennen… Gegen die Politik des Staates Israel ist man nämlich auch in Israel selbst. …
Israel vermengt da mit Absicht ständig Antisemitismus und Antizionismus, um Schuldgefühle bei den Deutschen auszunutzen.
und da machen die Politiker in vorauseilendem gehorsam fleißig mit… Kritik am Konstrukt Israel ist ja per se schon verboten… und das Israel seit ewig das grösste kz aller Zeiten ( Gaza streifen) betreibt spielt ja ebenfalls keine rolle.
bin mal gespannt wie sich mit Trump jetzt das us/Israel Verhältnis entwickelt.
Da wird sich nichts ändern.
Einen wohltuend reflektierenden Kommentar habe ich heute morgen von einem Araber gesehen:
https://www.linkedin.com/pulse/trump-wrong-muslims-karim-azzami?trk=hp-feed-article-title-publish
Nach den 13 Millionen Negern, die aus Amerika und Afrika von und durch Juden als Sklaven auf deren Sklavenschiffen deportiert wurden, fragt heute keiner mehr. Ist wie die Leugnung des Genozid an den Armeniern durch die Türken. Hauptsache die Deutschen müssen seit Generationen eine Dauerschuld haben, um nicht als Rassisten oder Antisemiten dazustehen. Verlogene Heuchler!
Von den Genoziden der Deutschen redet doch auch keiner mehr. Was du nur hast, Micha!? Schön den Kopf in den Sand stecken. Aber aufpassen, dass deine rosarote Brille nicht verrutscht. 😀
Die Juden haben 13 Millionen Sklaven deportiert. Muss man auch erstmal drauf kommen!
Ich muss unserem Spiegelleser heute, am 10.11.2016 ausdrücklich zustimmen. Das Thema Gründung Israels haben Briten und Franzosen nach dem ersten Weltkrieg angerührt. Die Sklaverei hat ihren Ursprung bei den Kolonialmächten.
„Die Sklaverei hat ihren Ursprung bei den Kolonialmächten.“
Die, nach von mir vermuteter Auffassung vom Nachtschwärmer, von Juden nur so „durchseucht“ waren und u. a. als Hofjuden die Kolonialmächte mit dem notwendigen Kapital versorgten, um „Negersklaven“ zu deportieren.
Man kann sich die Geschichte schön zurechtkonstruieren.
Also, die Juden und die Radfahrer sind an allem Schuld.
Binär, du musst mir nicht irgendwelche Wörter in den Mund legen. Ich habe nicht von „von Juden „durchseucht““ geschrieben. Auch eine Schuld für alles durch Juden und Radfahrer ist absoluter Blödsinn.
Es ist aber nunmal so, dass Juden maßgeblich am Sklavenhandel beteiligt waren.
Es ist nunmal so, dass es Gräueltaten gibt, seit es Menschen gibt. Nur werden die Juden ständig als die armen Opfer zelebriert, alle anderen Opfer hingegen fallen durchs Raster.
Hier noch was zu lesen, vielleicht gibt es das Heft original sogar noch in einer Bibliothek…
https://ostmaerker.files.wordpress.com/2012/02/der-jc3bcdische-sklavenhandel-spiegel-nr-8-1998.pdf
Spiegelei, konntest du den Spiegel 1998 geistig noch nicht erfassen, oder hast du noch der Frösi nachgetrauert, weil dies dein Favorit war?
Die einzige Erwähnung von Juden im Spiegel 8/1998 ist die Tatsache, dass Steven Spielberg kurz zuvor den Film „Amistad“ fertiggestellt hat. (Das Archiv ist kostenlos verfügbar!)
Davon erwähnt der Holocaust-Leugner und Verschwörungstheoretiker Johannes Peter Ney (aka Harold Cecil Robinson aka Florian Geyer) natürlich nichts. Und das interessiert einen glatzköpfigen Katzenvati sicher ebensowenig.
Aber wer die Bundesrepublik für eine GmbH hält, glaubt auch, dass Juden für den amerikanischen Sklavenhandel verantwortlich waren. Muss ja stimmen – steht so im Internet.
Was soll eigentlich immer dein hirnloses Geschwätz mit „glatzköpfigen Katzenvati“? Bist du wirklich eine so armselige Wurst, dass du nichts formulieren kannst, ohne derartigen Mist mit einzubauen? Was hat das mit dem Thema zu tun?
Ich schrieb auch nicht, dass Juden für den Sklavenhandel verantwortlich waren, sondern dass sie nicht unerheblich daran beteiligt waren.
Und auch dein Geschwafel von der GmbH ist absoluter Mist, das habe ich SO nie behaptet und das ist SO auch nicht richtig. Aber das ist ein anderes Thema und gehört hier nicht zur Sache, auch wenn du gern vom eigentlichen Thema ablenkst.
Du hast geschrieben, dass 13 Millionen Neger von und durch Juden deportiert wurden.
Das ist Bullshit. Wahrscheinlich wusstest du nicht mal, wer Ney ist. Und nur zur Verdeutlichung: Er ist – anerkannt und unzweifelhaft! – ein Rechtsextremist. Und mit Extremisten wolltest du doch angeblich nie etwas zu tun haben!
Dass er als Holocaust-Leugner und offener Antisemit Schauermärchen von jüdischen Sklavenhändlern erzählt, sollte nicht mal den größten Einfaltspinsel verwundern.
Hast du dir inzwischen den Spiegel 8/1998 (die angebliche Originalquelle) angesehen? Falls nicht, hier der Direktlink zum Artikel:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-7829195.html
Anbei ein Interview mit Dorit Rabinyan, deren neuer Roman vom israelischen Bildungsministerium nicht in den Literaturkanon der Gymnasien aufzugenommen wurde (zu volkszersetzend? Rassenschande?).
http://www.swr.de/swr2/kultur-info/lietarturhaus-stuttgart-israel-dorit-rabinyan/-/id=9597116/did=18446728/nid=9597116/1n1sex5/index.html
Insbesondere eine Aussage regt zum Nachdenken an: „Es ist doch erstaunlich: ich schreibe über Angst und das Ministerium bekommt Angst. Denn unsere mentale DNA zwingt uns zur Isolation. Juden müssen in den Ghettomauern bleiben, wir dürfen uns nicht mischen, das haben wir internalisiert. Ob gut oder schlecht. So sind wir geblieben, wer wir heute sind. [..]Ja, wir sehnen uns seit über 60 Jahren nach Frieden, wir wollen Frieden, aber gleichzeitig fürchten wir uns unausgesprochen vor dem Frieden, denn dann könnten wir uns einfach eingemeindet und verschmolzen fühlen mit dem gesamten Nahen Osten, wenn der Frieden kommt. Aber ein Krieg hält uns in den emotionalen Ghettomauern, verhindert die Assimilation.“