Sonderausstellung im Stadtmuseum zum Reichskriegsgericht: auch in Halle wurde hingerichtet
Vom Volksgerichtshof zu Zeiten des Nationalsozialismus haben sicher schon viele gehört. Wesentlich unbekannter ist da das Reichskriegsgericht, das zunächst von Berlin aus, später von Torgau aus urteilte. Auch in Halle (Saale) wurden von dem Gericht verurteilte Menschen hingerichtet. Doch so richtig aufgearbeitet wurde die Geschichte nie. Es habe bisher weder Ausstellungen noch Dissertationen gegeben, sagt Ausstellungskurator Lars Skowronski. “Warum, können wir uns auch nicht erklären.” Das war der Punkt, an dem die Gedenkstätte Roter Ochse ins Spiel kam. Gemeinsam mit Kooperationspartnern in Belgien, Frankreich, Norwegen, Polen und Tschechien sowie mit Institutionen in Deutschland hat sie an der Wanderausstellung gearbeitet, Archivakten gewälzt – diese befinden sich heute in Tschechien. Insgesamt 1,2 Millionen Euro hat die ganze Aufarbeitung gekostet.
Ab 29. August ist nun die neue Sonderausstellung “Das Reichskriegsgericht 1936 bis 1945. Nationalsozialistische Militärjustiz und Bekämpfung des Widerstands in Europa” im Stadtmuseum zu sehen. Danach wird die Schau in ganz Europa umherwandern, geplant sind unter anderem Expositionen in Berlin, Warschau und Paris. Die Präsentationen sind verknüpft mit einem auf die Länder abgestimmten pädagogischen Programm, das die Ausstellungsmacher mit Kolleginnen und Kollegen vor Ort vorbereiten und durchführen werden. Laut Skowronski sind 80 Prozent aus der Ausstellung noch nicht öffentlich gezeigt worden. Mit der Schau versuche man Zugang zum Thema über zwei Ebenen zu schaffen. Man erkläre das Gericht, lasse die Betroffenen mit ihren Schicksalen zu Wort kommen. Um den Zugang auch zu jungen Menschen zu erleichtern, sind neben Texttafeln auch Objekte zu sehen. Teilweise stammen Gegenstände, Briefe und Fotos aus dem Privatbesitz der Angehörigen. Die kommen auch in der Schau zu Wort, mit ihnen gibt es kleine Interviewsequenzen, die sich Ausstellungsbesucher anhören können. Und ganz am Ende soll die Schau dann in Halle dauerhaft zu sehen sein. Der Stiftung Gedenkstätten schwebt dabei eine Nutzung der Haftanstalt Roter Ochse vor, die ja in Zukunft leergezogen wird.
Das 1936 gegründete Reichskriegsgericht war nicht nur für Strafverfahren gegen Angehörige der deutschen Wehrmacht zuständig. Als militärisches Pendant zum Volksgerichtshof verhandelte dieser oberste Gerichtshof der Wehrmacht darüber hinaus während des Zweiten Weltkrieges arbeitsteilig und in Abstimmung mit dem Volksgerichtshof gegen mehrere tausend Mitglieder von Widerstandsgruppen aus den von Deutschland überfallenen und besetzten Ländern Europas und war damit ein wesentliches Instrument zur Durchsetzung der Besatzungs- und Repressionspolitik.
Das Reichskriegsgericht tagte bis 1943 vorwiegend in Berlin-Charlottenburg, anschließend bis Kriegsende in Torgau (Sachsen), jedoch auch in weiteren deutschen Städten sowie in Polen, Frankreich und Norwegen. Bekannt sind vor allem die Verfahren gegen die Beteiligten des als „Rote Kapelle“ bezeichneten Widerstandsnetzwerks. Daneben war das Gericht bei einer Reihe spezieller Straftatbestände gegen Angehörige der deutschen Wehrmacht zuständig, darüber hinaus für Verfahren gegen Kriegsdienstverweigerer sowie gegen Generale und zahlreiche Frauen. In der Bilanz des Gerichts stehen mehr als 1.200 Todesurteile sowie Einlieferungen in Zuchthäuser, Strafeinheiten der Wehrmacht und Konzentrationslager. Gleichwohl gibt es bis heute keine der Bedeutung des Reichskriegsgerichts angemessene öffentliche Wahrnehmung als enorm wichtiger Bestandteil des nationalsozialistischen Repressionssystems.
Die Ausstellung ist ein wichtiger Meilenstein, um diese Lücke in der
Erinnerungskultur Deutschlands und der betroffenen Länder zu schließen. Die Bedeutung der Exposition liegt darüber hinaus in einem enormen Zuwachs an Wissen über die verschiedenen Formen, Organisationsgrade und -strukturen der Widerstandsbewegungen in den besetzten Ländern und schließt erhebliche Lücken in der Geschichtsschreibung der beteiligten Partnerländer. Die Ausstellung dokumentiert nicht nur die Spruchtätigkeit des Gerichts, seine historischen Vorläufer und die Grundlagen seiner Rechtsprechung. Weitere Inhalte sind Schlussfolgerungen für die Rechtsprechung in Deutschland sowie der Umgang mit den Opfern der Militärjustiz bei uns und in den europäischen Nachbarländern. Im Mittelpunkt stehen aber die Lebenswege von Menschen, die von dieser Rechtsprechung betroffen waren. Ihre Biografien werden u.a. anhand von Objekten vermittelt, die ihnen einst gehörten. Ergänzt durch Interviews mit Angehörigen der Opfer und wichtigen Dokumenten zeigen diese Schicksale, zu welchen Resultaten eine Politik der Gewalt, der Abkehr von rechtsstaatlichen Prinzipien und dem Primat der Menschenwürde für Individuen und Gesellschaften führen kann.
Schlimme Zeiten.
„Gleichwohl gibt es bis heute keine der Bedeutung des Reichskriegsgerichts angemessene öffentliche Wahrnehmung als enorm wichtiger Bestandteil des nationalsozialistischen Repressionssystems.“
Dem würde ich mal spontan zustimmen. Schön, dass diese Lücke jetzt ein wenig geschlossen wird.
Vor mir liegt ein dünnes Buch (280 S.), welches bereits seit Jahrzehnten einen gut sichtbaren Platz im Regal hat:
ISBN 3-926082-04-6
NE: Haase, Norbert; Gedenkstätte Deutscher Widerstand -Berlin –
1993 Gedenkstätte Deutscher Widerstand Stauffenbergstraße 13-14
Katalog zur Sonderausstellung in Zusammenarbeit mit der Neuen Richtervereinigung
„Das Reichskriegsgericht und der Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft“