Wegen Geiselnahme im Gefängnis: heute beginnt ein neuer Prozess gegen den Halle-Attentäter – Initiative fordert: Kontinuitäten strukturellen Behördenversagens aufarbeiten

Am heutigen Donnerstag beginnt ein weiterer Gerichtsprozess gegen den Attentäter von Halle (Saale). Der hatte an Yom Kippur 5780, dem 9. Oktober 2019, Jana L. und Kevin Schwarze brutal ermordet. Dieses Mal muss er sich wegen Geiselnahme und Verstoß gegen das Waffengesetz vor dem Landgericht Stendal verantworten. Am 12. Dezember 2022 hatte er im Hochsicherheitsgefängnis der JVA Burg zwei JVA-Beamte mit einer im Gefängnis selbst gebauten Waffeals Geiseln und zwang diese, mehere Sicherheitsschleusen zu öffnen, um seine Flucht zu ermöglichen. Auch Wochen und Monate zuvor war er bereits wegen unkooperativen Verhaltens und anderer Vergehen aufgefallen.
Die Perspektiven von Menschen ernst zu nehmen, die seine Gewalt erlebt und überlebt haben, bedeutet, ihre Expertisen und Analysen zu hören, zu verstehen und die notwendigen Konsequenzen daraus folgen zu lassen, heißt es von der Soligruppe 9. Oktober und TEKİEZ – Raum des Erinnerns und der Solidarität. “Das möchten wir in der Auseinandersetzung um den bevorstehenden Gerichtsprozess erneut bekräftigen.”
Die Initiative spricht von einer “Kontinuität des Behördenversagens, die auch im Zusammenhang mit strukturellem Rassismus und Antisemitismus steht.” Diese müsse in diesem Gerichtsprozess thematisiert und aufgearbeitet werden. Gleichzeitig sei aber auch davon auszugehen, “dass der Attentäter erneut versuchen wird, das Verfahren als Bühne für seine antisemitischen, rassistischen, misogynen, antimuslimischen und verschwörungsideologischen Weltanschauungen zu nutzen.” Angehörige der Ermordeten und Überlebende des Anschlags von Halle und Wiedersdorf hätten als Nebenkläger*innen zu Beginn des Verfahrens im Sommer 2020 dazu aufgerufen, den Namen des Attentäters nicht zu nennen und sein Bild nicht zu zeigen. Auch die Nebenklägerin Talya Feldman habe in ihrem damaligen Abschlussplädoyer im Prozess gegen den Attentäter die Öffentlichkeit und Medienvertreter*innen dazu aufgefordert, ihn nicht zu zitieren, um seinen menschenfeindlichen Ideologien keinen Raum zu geben und das Narrativ des isolierten Einzeltäters nicht weiter zu verbreiten, so die Initiative.
Weiter heißt es:
Im Mai 2020, wenige Wochen bevor das Verfahren im Juli 2020 gegen ihn eröffnet wurde, konnte er in der JVA Halle eine 3,40 m hohe Mauer überwinden und in ein anderes Gebäude gelangen. Möglich wurde das u.a. dadurch, dass die Anstaltsleitung die Haftbedingungen eigenmächtig lockerte. Als Konsequenz wurde die stellvertretende Leiterin der JVA versetzt, der Attentäter in die JVA Burg verlegt. Im September 2021 wurde bekannt, dass eine Polizeikommissarin aus Dessau-Roßlau eine Brieffreundschaft mit dem inhaftierten Attentäter pflegte und ihn für seine Taten bewunderte. Gegen die Beamtin wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet, sie beantragte kurz darauf selbst ihre Entlassung. Kurze Zeit später kam die Meldung, dass der Attentäter aus der JVA Burg Brieffreundschaften mit bekannten Neonazis pflegte und an den Mörder von Walter Lübcke eine Anleitung zum Waffenbau verschicken wollte.
Wie ist es möglich, dass ein verurteilter Rechtsterrorist im Gefängnis Kontakt zu Neonazis aufrecht erhalten und Anleitungen zum Waffenbau anfertigen kann? Wie ist es möglich, dass er unbehelligt eine eigene Schusswaffe bauen, eine Geiselnahme durchführen und einen weiteren Fluchtversuch unternehmen kann? Welche Sicherheitsvorkehrungen wurden missachtet? Wer hat ihn möglicherweise bei diesen Vorhaben unterstützt? Die Umstände der vorherigen Ausbruchsversuche und die Geiselnahme haben Angehörige der Ermordeten und viele Überlebende erneut zutiefst verunsichert und die erfahrenen Traumata reaktiviert: „Wer versagt hat, muss dazu stehen. Die Tat in Halle und Wiedersdorf hat ganz Deutschland gezeigt, wie schwach die Sicherheit ist. In den viereinhalb Jahren hätten die Justizbehörden viel verändern können. Für mich persönlich ist es wieder eine große Schande und Enttäuschung, ich habe noch mehr Misstrauen in die deutschen Behörden“, sagt İsmet Tekin, Überlebender des Anschlags und damals Nebenkläger im Verfahren gegen den Attentäter.
Das Misstrauen in Polizei und Justiz wurde weiter verstärkt, zum Teil sehen sich Überlebende in ihren eigenen negativen Erfahrungen bestätigt. Auch ein JVA-Beamter, einer der beiden Geiseln und Nebenkläger im bevorstehenden Gerichtsprozess, berichtete in einem Interview, dass er sich von seinem Arbeitgeber, dem Land Sachsen-Anhalt, nach der Tat nicht ernst genommen und mit den Folgen allein gelassen gefühlt hat. Naomi Henkel-Gümbel, Überlebende des Anschlags und damalige Nebenklägerin fordert mit Blick auf das anstehende Gerichtsverfahren: „Es ist an der Zeit, die tief verwurzelten Kontiuitäten strukturellen Behördenversagens aufzuarbeiten. Nur so können wir eine Gesellschaft schaffen, die wachsam gegenüber menschenfeindlichen Ideologien ist und die Perspektiven der Betroffenen ernst nimmt. In Gedenken an Jana L., Kevin Schwarze und alle Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt.“
Ein Strafprozess ist ein Strafprozess. Kein politisches Tribunal. Das hat gute Gründe und wir sollten nicht ständig daran rütteln. Dieses Tor sollte geschlossen bleiben, die Folgen könnten schlimmer sein als der kurzfristige Vorteil einer „Aufarbeitung“ , was immer damit gemeint sein mag. Gerade Deutschland mit seinen Erfahrungen mit politisch motivierten Gerichtsverfahren sollte das wissen. Die politische Aufarbeitung sollte der öffentlichen Diskussion überlassen bleiben.
Im Strafprozess dürfte schon eine Rolle spielen, wie leicht oder schwer dem Täter seine Taten gemacht wurden.
Wie meinen Sie das? Wird Mord weniger bestraft, wenn das Opfer ohne schusssichere Weste unterwegs war? Also selbst mit Schuld war? Oder meinen Sie die „systemische“ Unterstützung durch wen oder was auch immer. Ich weiß, Sie meinen Letzteres, aber die nebulösen Vorwürfe auf höhere Mächte dürfen keine Rolle in einem Strafprozess spielen, genau das sind politische Bewertungen deren Eingang in den Strafprozess kreuzgefährlich ist weil hier das Tor zu Schauprozessen geöffnet wird.
Mir ist neu, dass es bei dem Prozess um Mord geht. Laut Artikel geht es um Geiselnahme und Verstoß gegen das Waffengesetz.
Sie kennen das Wort: Beispiel? Oder sprachliches Bild? Oder kennen sie nur: Trollen?
Sperrt den so ein, dass nichts passieren kann, basta
Interessanterweise sind es doch die Linken, die versuchen das Gefängnis als Freiheitsentzug-Strafe abzuschaffen, es sei denn „die richtigen“ sitzen drin, ja dann muss auch noch dringend das Behördenversagen aufgearbeitet werden. Die Doppelmoral scheint wieder grenzenlos zu sein. Alleine DASS es zu eine Geiselnahme in so nem Hochsicherheitstrakt kam, zeigt doch, dass da vieles gewaltig schief läuft!
Ist es eigentlich Pflicht in linken Initiativen, dass man irgendwelche verschwurbelten Phrasen raushaut? Ob Oury Yalloh, Lina E., Hasi oder das hier, es gibt immer eine ähnliche Phrasendrescherei und rituelle Symbolik. 🙄
Wenn sie es nicht so akademisiert ausdrücken würden, wäre jedem klar, dass sie Verschwörungsmythen anhängen.
Ich hoffe, der Mann wird so verurteilt, dass er nicht so schnell wieder in Freiheit kommt. Halle, Sachsen-Anhalt und Deutschland sind kein Ort für Antisemiten, Nazis und Rassisten jedweder Art.
Der dude hat doch schon Lebenslänglich + anschließender Sicherheitsverwahrung.
Der kommt zum Glück nie wieder raus, egal was für ein Urteil nun gefällt wird.
Von daher brauchst du nicht hoffen.
Der Attentäter verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung, kommt also kaum frei.
Aber hast du mal gelesen, was Aiwanger im jugendlichen Alter was für Hetzschriften (die angeblich sein Bruder erstellt hatte). Kann man googeln.
Der ist heute Stellvertretender MP in Bayern.
„Ich hoffe, der Mann wird so verurteilt, dass er nicht so schnell wieder in Freiheit kommt.“
Das ist er bereits.
Wer immer diese Gedenktafel im Foto oben in Auftrag gegeben und abgenickt hat, da steht aber schon viel Überzeugung dahinter, diese gerade in der Schriftart Comic Sans anzufertigen.
Das verdient schon Respekt im Angesicht der Tatsachen! Quasi der Kevin unter all den Lettertypen.