Volles Haus bei Bürgerversammlung in Weißenfels: die Langendorfer wollen keinen Knast
Es dürfte die größte Einwohnerversammlung in Weißenfels seit der Wende gewesen sein: das Kulturhaus war bis auf den letzten Platz belegt, selbst auf den beiden oberen Rängen saßen Besucher, etliche mussten auch stehen. Der Grund für den Andrang war der mögliche Neubau einer Justizvollzugsanstalt im Ortsteil Langendorf. Oberbürgermeister Martin Papke hat seine Idee vorgestellt. Vom Land waren unter anderem Finanzminister Michael Richter und Justiz-Staatssekretär Steffen Eckholdt gekommen, ebenso Referatsleiter.
Man müsse die Stadt über Amtszeiten hinaus denken, sagte Papke. “Wollen wir Gewerbestandort sein? Wollen wir Wohnstandort sein? Oder wollen wir auch Dinge wagen und mutig sein, Einrichtungen nach Weißenfels holen, die dazu beitragen, die bürgerliche Mitte zu stärken”, sagte er. “Das ist die Ebene, die uns fehlt, die nach der Wende weggegangen ist. Wir brauchen Menschen, die hier leben, die ein gesundes Maß der Bevölkerung darstellen.” Im vergangenen Mai habe er dem Land den Standort als Alternative zu Halle-Tornau angeboten. Im November habe es dann einen vor Ort Termin gegeben. Im Januar gab es Gespräche mit der Bahn bezüglich einer Verlegung der Bahnstromtrasse, denn diese führt über das Gelände, auf dem die JVA gebaut werden könnte. Er habe zudem mit Bürgermeistern gesprochen, die bereits Gefängnisse in ihren Gemarkungen haben. Diese hätten keine Bedenken geäußert. Und diese positiven Voten der Praktiker vor Ort hätten ihn bestärkt, so Papke.
Da ist natürlich noch die Sache mit der Öffentlichkeit. Landtagsabgeordnete, Ortsbürgermeister und Stadtratsfraktionen habe er im Vorfeld einbezogen, so Papke. Doch die normalen Weißenfelser haben es erst aus den Medien erfahren. Die Stadt selbst hatte sich eine interne Sperrfrist gegeben, der MDR bekam jedoch Wind von den Plänen und berichtete. Somit war das Thema öffentlich und Weißenfels konnte nur noch hinterherrennen.
Er wolle gucken, wie der Standpunkt der Bevölkerung ist, sagte Finanzminister Michael Richter. “Wir können hier schnell Baurecht bekommen”, sagte er zum Standort Weißenfels. Denn dort gibt es bereits einen gültigen Bebauungsplan, wenn auch für Gewerbe. Der Stadtrat soll am Donnerstag die Umwidmung in eine Sonderfläche JVA beschließen. In Halle hingegen würde der Prozess noch Jahre dauern. Denn hier ist noch nicht einmal der Aufstellungsbeschluss gefasst, das Verfahren pausiert auch momentan auf Wunsch des Landes.
Aussagen wurden zur Größe getroffen. Demnach soll die neue JVA über 440 Plätze mit 320 Bediensteten verfügen. Bis zu 60 Freigängerplätze sind vorgesehen. Aktuell haben die beiden JVAs in Halle 614 Haftplätze und 360 Mitarbeitende. Finanzminister Richter geht derzeit von Baukosten in Höhe von 400 Millionen Euro aus. Und jedes Jahr weiterer Verzug lässt die Baukosten weiter ansteigen. Von drei Jahren Bauzeit geht das Land momentan aus. Die Häftlinge würden dann als Einwohner der Stadt Weißenfels gelten und so für höhere Zuweisungen sorgen.
Ob die Infrastruktur in Bezug auf Strom, Abwasser und IT überhaupt für ein solches Projekt geschaffen ist, wollte eine Anwohnerin wissen. Laut Stadt gibt es ausreichend Kapazitäten, eine Trasse für einen Abwasserkanal wird freigehalten. Sorgen äußerte sie aber auch bezüglich Ausbrüchen. “Entweichungen in deutschen JVA sind extrem selten”, sagte ein Referatsleiter des Justizministeriums.
“Die Bürger wollen mitgenommen werden”, sagte eine andere Anwohnerin. “Ich finde es nicht in Ordnung, dass vor einem Jahr schon die Weichen hinter verschlossenen Türen gestellt wurden.” Ein anderer Anwohner, der ein Ingenieurbüro in Halle betreibt, aber in Langendorf wohnt, warf dem Weißenfelser Oberbürgermeister vor, der Stadt Halle in den Rücken zu fallen. Das ganze Vorgehen des Landes sei Steuergeldverschwendung. Auch wollte er wissen, was mit den Altstandorten passiert. “Wenn Halle die JVA haben will, hätte der Stadtrat schon längst zugestimmt”, meinte Richter. Allerdings ging er nicht darauf ein, dass es überhaupt erst zu einer Vertagung im Planungsausschuss kam, weil Fragen vom Land nicht beantwortet wurden und auch kein Vertreter zur Sitzung anwesend war. Für die dann nicht mehr benötigten Altstandorte gebe es “genügend Interessenten”, so Richter.
Das Gebiet sei ein Wassereinzugsgebiet, meinte eine andere Anwohnerin, bester landwirtschaftlicher Boden werde zugebaut. Sie sehe zudem Gefahren für ihre Enkel, beispielsweise durch Drogenhandel. “Ich kenne eine Mitarbeiterin im Roten Ochsen und weiß, was da geht.” Sie werde “bis zum Letzten kämpfen, damit meine Enkel hier glücklich leben können.” Clemens Bumann, Leiter des Fachbereichs Technische Dienste und Stadtentwicklung der Stadt Weißenfels, kann die Trinkwasserproblematik nicht so ganz nachvollziehen. Denn eine JVA führe zu weniger Gefährdung als ein Gewerbegebiet. Es werde auch deutlich weniger Fläche versiegelt.
“Wir haben Bedenken, dass wir hier zugebaut werden wie ein gallisches Dorf”, sagt ein Langendorfer. “Die Lebensqualität geht den Bach runter.” Auch glaube er nicht daran, dass hochqualifizierte Fachkräfte kommen, “dazu verdienen wir hier zu wenig.” Allerdings sind die Mitarbeitenden der JVA Beamte mit einem Einstiegsgehalt der Gruppe A7. Die Stadt Weißenfels hofft hier auf den anstehenden Generationswechsel, weil viele ältere Beschäftigte kurz vor dem Ruhestand stehen. Die jungen Mitarbeitenden könnten sich dann mit ihren Familien ansiedeln und ein Haus bauen, so OB Martin Pake. Und hier sieht er seine Stadt im Vorteil. Halle habe schließlich eine Selbstverpflichtung, keine neue Einfamilienhäuser zu bauen, behauptete er. Woher er diese Erkenntnis haben will, gab er aber nicht bekannt. Solch einen Beschluss gibt es auch gar nicht. In den letzten Monaten hat die Stadt Halle (Saale) auch weitere potentielle Baugebiete beschlossen, beispielsweise in Ammendorf und Dölau.
Stadträtin Grit Wagner (Die Basis) meinte zum Vorhaben, “das geht mir alles viel zu schnell.” Sie habe den Eindruck, das Projekt solle mit er Peitsche durchgedrückt werden. Wagner appellierte an “Ehrlichkeit, Offenheit und Transparenz.” Auch wollte sie wissen, wie denn der Ortschaftsrat einbezogen wurde und wie dieser denkt. Am 28. Februar habe er erstmals von dem Projekt gehört, meinte Ortsbürgermeister Horst Ziegler. Am Dienstag wolle der Ortschaftsrat in einer nichtöffentlichen Sitzung über das weitere Vorgehen beraten, darüber werde er dann am Donnerstag den Stadtrat informieren, meinte Ziegler. Allerdings gibt es im Ortschaftsrat durchaus kritische Stimmen. “Ich habe erst aus der Zeitung davon erfahren”, sagte ein Ortschaftsrat. Selbst für den Kommunalpolitiker sei dies die erste Veranstaltung zum Thema. Er finde es unerträglich, die Gäste mit einem Knast zu begrüßen. Auch äußerte er Kritik daran, wertvolle landwirtschaftliche Flächen zu nutzen.
Die Stadt hätte doch parallel zur Bundestagswahl ein Bürgerbegehren machen können, meinte eine Frau. OB Papke ist bei dieser Thematik gegen eine Volksabstimmung. Er verwies auch auf eine Debatte im Ortschaftsrat von Wengelsdorf, dort soll eine neue Kita gebaut werden – doch alle zehn gekommenen Bürger waren gegen das Projekt, unter anderem wegen Kinderlärm und Schattenwurf. “Sie sind alle gewählt vom Volk. Nehmen Sie das Volk auch mit”, meinte ein Mann. Er äußerte Bedenken, dass es später zu einer Erweiterung kommen könnte, das hat das Land aber wohl nicht vor, stattdessen wird derzeit die JVA in Volkstedt erweitert. “Wie eingekesselt” fühlt sich eine Wiedebacherin. “Wir werden wahrscheinlich auf die Wachtürme schauen”, meinte ein Anwohner. Hier konnte aber berichtet werden, dass moderne JVA keine Wachtürme mehr haben, das wird mittlerweile alles über Kameralösungen geregelt.
Brandschutzkonzept, ärztliche Versorgung und Freizeitangebote für die Häftlinge waren weitere Fragen. Ein Anwohner fürchtet, dass es für die Bürger künftig noch schwieriger werden könnte, Arzttermine zu bekommen. Ein Sperrgebiet um die JVA ist nicht vorgesehen. Um das Image sorgte sich ein weiterer Anwohner. Die neue Ansicht von der Autobahn bringe nur Gelächter. Die JVA soll direkt an der A9 errichtet werden. Es werde alles über die Köpfe der Bürger hinweg entschieden, meinte eine Frau. “Uns wurde beispielsweise damals der Schlachthof vor die Tür gesetzt.” Eigentlich sei von 12.000 Tieren die Rede gewesen, letztendlich sind es 24.000 geworden.
“Meine Tochter überwacht ihren Hamster per Handy. Warum geht das nicht auch bei Freigängern?”, fragte ein Mann. Er plädierte für Fußfesseln zur Überwachung. Das Land solle zudem mal prüfen, ob nicht vielleicht bezüglich der Gestaltung etwas gemacht werden kann, damit der Bau wenigstens ein Hingucker wird. Und ein anderer Mann schimpfte darüber, dass das Land ja schon für dreieinhalb Millionen Euro Grundstücke in Halle-Tornau gekauft hat. Finanzminister Richter verteidigte das Vorgehen. Man habe die Grundstücke gekauft, bevor das Vorhaben bekannt wird und der Preis hochgeht.
Doch es gab sie auch, die positiven Stimmen. Stadtrat Jörg Riemer (CDU) sagte, er sehe in der JVA eine Chance für die Entwicklung der Stadt. Die Vorteile würden überwiegen. Riemer verwies in diesem Zusammenhang auch auf die Bedenken, die es damals zum Bau von Eisenbahnstrecken gab. In der Bürgerversammlung seien etliche Stadträte anwesend, diese werden das in der Versammlung gehörte in die Stadtratssitzung einbringen. Allerdings ist für ihn die Bürgerversammlung nicht repräsentativ. Denn wer für das Projekt ist habe keinen Grund zu kommen.
Von “super populistischen Meinungen gegen die JVA”, sprach eine weitere Kommunalpolitikerin. Die Gegner des Projekts hätten sich teilweise unterirdisch benommen. Sie warnte davor, sie von “einer unreflektierten Angst übermannen zu lassen.”
Youtube-Mitschnitt: https://www.youtube.com/live/hGYOM-ChkRk?si=Z08zbGXRgPRDglRR













Für die Stadt Halle hat weder ein Landtagsabgeordneter noch ein Referatsleiter eines Ministeriums Zeit. In Weißenfels, bei der ersten Bürgerrunde, kann dann gleich der Minister und etliche andere Landesverantwortliche anreisen?
Der gleiche Aufschrei wie bei geplanten Flüchtlingsheimen. Solange die Migranten nicht vor dem Gartenzaun wohnen, ist es den Deutschen egal. Kommen Migranten oder hier Verurteilte der Idylle zu nah, ist der Aufschrei groß.
„Solange die Migranten nicht vor dem Gartenzaun wohnen, ist es den Deutschen egal.“
Deshalb hat die AfD bundesweit auch 20% bei der letzten BTW eingefahren und ihr Ergebnis damit verdoppelt, weil es den Deutschen egal ist, wieviel Migranten herkommen?
@Diana,
Zurecht , oder?
Aber verstehe nicht Ihre Vermischung. Hier geht es nicht um Migranten, oder ?
Was ist denn nur los? Will denn kein Langendorfer einen netten Menschen auf der Couch haben?
Es muss bunter werden, Tür an Tür leben.
Sehr gut zusammengefasst, was man auch hier im Artikel teilweise für Schnulli von „besorgten Bürgern“ liest.
„Die Häftlinge würden dann als Einwohner der Stadt Weißenfels gelten und so für höhere Zuweisungen sorgen.“
Money Money Money
Na klar. Um nichts anderes geht es! Wie überall 🙁
Zur Überschrift: Die Langendorfer, die da waren, wollen keinen Knast. Niemand will die Langendorfer. So wie die sich benommen haben, ist man froh, neben dem Roten Ochsen zu wohnen. Lieber Knastis als Nachbarn die eh mit dem Bus ein und ausfahren als solche Leute.