„Das Finale: Mittelalter bis Neuzeit“: Erweiterung der Dauerausstellung im Landesmuseum in Halle (Saale)
Mit dem heutigen Tage und der Fertigstellung von vier neuen Räumen findet der Neubau der preisgekrönten Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle (Saale) seinen Abschluss. Sie schlagen einen Bogen vom Königreich der Thüringer in der Völkerwanderungszeit über mittelalterliche und frühneuzeitliche Glaubenswelten bis zum Beginn des modernen Denkens im 16. Jahrhundert. Zahlreiche bedeutende Funde dieser Epochen sind damit (wieder oder erstmals) dauerhaft zu sehen, darunter beispielsweise der Reiterstein von Hornhausen, der Inschriftenring von Paußnitz, Einrichtungsgegenstände aus dem Haushalt des Reformators Martin Luther oder das Inventar einer frühneuzeitlichen Alchemistenwerkstatt aus Wittenberg. Andere wichtige Neufunde können erstmalig der Öffentlichkeit präsentiert werden, wie die exzellenten mittelalterlichen Skulpturen vom Magdeburger Gouvernementsberg oder Schwert und Siegel des sächsischen Kurfürsten Rudolf II. von Wettin aus dem ehemaligen Franziskanerkloster in Wittenberg.
Im Rahmen des durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) der Europäischen Union geförderten Projektes ›Sachsen-Anhalt Kulturerbe – Synergien für Sachsen-Anhalt‹ konnten unter anderem die letzten Räume der Dauerausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte gebaut und weitgehend barrierefrei erschlossen werden. Auf einer Ausstellungsfläche von 400 Quadratmetern werden hier ab morgen etwa 1.200 bedeutende Funde ein Eintauchen in den Zeitraum zwischen dem 5. und dem 17. Jahrhundert, von der Völkerwanderungszeit über das Mittelalter bis in die frühe Neuzeit, ermöglichen.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff erklärte: »Die jüngste Modernisierung im Landesmuseum für Vorgeschichte wird dazu dienen, das immense kulturtouristische Potential unseres Landes besser zu mobilisieren. Zusammen mit der Fertigstellung der Dauerausstellung macht sie das Museum als touristischen Leuchtturm unseres Heimatlandes noch attraktiver.«
Unter der Überschrift ›Königsdämmerung‹ führt der erste Raum Entstehung, Aufstieg, Bedeutung und Untergang des Königreichs der Thüringer vor Augen, des ersten Königreichs in Mitteldeutschland, das lediglich von ungefähr 455 bis 531 nach Christus bestand. Während sein Zentrum im Raum Erfurt-Weimar lag, ist im Bereich des südlichen Sachsen-Anhalts ein östliches Teilreich mit einem eigenen Königshof zu verorten. Dieser lag vermutlich im heutigen Stößen, dem Fundort eines der besonderen Highlights dieses Raumes: Der vergoldete Spangenhelm aus der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts stammt aus dem Grab eines Mannes, der voll bekleidet – unter anderem mit einem goldbestickten Gewand – und bewaffnet in einer hölzernen Grabkammer bestattet worden war. Der mit christlichen Symbolen verzierte, wahrscheinlich aus Norditalien stammende Helm ist ein seltener Fund und Zeichen des hohen Ranges des Verstorbenen, womöglich sogar ein Geschenk des Ostgotenkönigs Theoderichs des Großen, eines engen Verbündeten der Thüringer. Weitere herausragende Funde, die auf Bestattungen einer adeligen Führungsschicht schließen lassen, stammen aus dem Gräberfeld von Großörner. Von besonderer Bedeutung ist etwa ein goldener Handgelenkring aus einem Kindergrab: Er ist Anzeichen für einen dynastischen, durch Geburt und nicht durch eigene Leistung erworbenen Machtanspruch.
Im Jahr 531 wurde das Thüringerreich in der legendären Schlacht an der Unstrut durch die Franken vernichtet. Nach dem Untergang der Thüringer wurde die Region zunächst ins Frankenreich einverleibt. Auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalts prallten in dieser Zeit unterschiedliche Interessen und Kulturen aufeinander: Nordgermanen, Awaren und Slawen versuchten in den nördlichen und östlichen Gebieten SachsenAnhalts Fuß zu fassen, gleichzeitig etablierte die fränkische Krone ihre Herrschaft bis zur Elbe und führte das Christentum ein, bis das Gebiet und die Königsmacht mit Heinrich I. (ab 919) in sächsische Hand gelangte. Mit dieser Zeit der geopolitischen Umwälzungen von der Mitte des 6. bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts befasst sich der Raum ›Kulturenstreit‹. Das Hauptexponat dieses Abschnittes ist der Reiterstein von Hornhausen aus der Mitte des 7. Jahrhunderts nach Christus, der sich im Logo des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt wiederfindet. Die Steinplatte mit der Darstellung eines Reiters mit Helm, Lanze, Schwert und Schild stammt, zusammen mit weiteren Bildsteinen, von einem sächsischen Grabmonument. Die figürlichen Darstellungen und Ornamentik auf den Platten symbolisieren die alte Glaubenswelt und Kultur, die sich in dieser Zeit des politischen, kulturellen und religiösen Umbruchs dramatisch wandelten.
Das zeitlich anschließende Kapitel steht unter dem Thema ›Gottesherrschaft‹ und behandelt den Zeitabschnitt von der Mitte des 10. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, der wesentlich durch die Macht der Kirche bestimmt wurde. Auch weltliche Macht galt als gottgegeben, Bibel und Dogmen als einzige und allgemeingültige Erklärung der Welt. Gleichzeitig wurde die Dominanz des Glaubens sozial und politisch instrumentalisiert. Am Ende dieser Epoche stehen der Glaubensstreit, der durch die Kritik des Mönchs und Professors Martin Luther an der Kirche ausgelöst wurde, sowie der Dreißigjährige Krieg als, zumindest vordergründig, Krieg zwischen den infolge der Reformation entstandenen Konfessionen. Zu den Highlights innerhalb dieses Ausstellungsabschnittes zählen die exzellenten Heiligenfiguren vom Magdeburger Gouvernementsberg: Zerschlagen und sekundär in eine Mauer verbaut symbolisieren sie den Glaubenskampf zwischen Katholizismus und Protestantismus. Sie sind erstmals im Landesmuseum für Vorgeschichte zu sehen, ebenso wie das Schwert und Siegel des sächsischen Kurfürsten Rudolf II. von Wettin, dessen Bestattung überraschend bei Ausgrabungen in der ehemaligen Franziskanerklosterkirche der Lutherstadt Wittenberg entdeckt wurde. Weitere in archäologischer sowie kulturhistorischer Hinsicht sensationelle Funde in diesem Raum sind der magische Inschriftenring von Paußnitz und die Gegenstände aus dem Haushalt des Reformators Martin Luther in Wittenberg, die bislang jeweils nur in Sonderausstellungen zu sehen waren. Aus Halle (Saale) stammt die kostbare Laurentiustafel, die in das 12 Jahrhundert datiert und 1978 bei Baggerarbeiten nahe des Marktplatzes gefunden wurde.
Den Reigen der neuen Räume, aber auch die Dauerausstellung insgesamt beschließt der Abschnitt ›Verstandessieg‹, der, mit einem Ausblick auf folgende Zeiten, das Überwinden religiöser Denkverbote, die Öffnung des geistigen Horizontes und den Beginn der Entwicklung heutiger Naturwissenschaften im 16. und 17. Jahrhundert thematisiert. In seinem Mittelpunkt stehen die Geräte eines Alchemistenlabors des 16. Jahrhunderts aus dem ehemaligen Franziskanerkloster in Wittenberg. Sie verdeutlichen die Rolle der Stadt als eine der fortschrittlichsten ›Denkfabriken‹ ihrer Zeit. In der Alchemistenwerkstatt wurden vor allem Antimon-Verbindungen zu Rohstoffen für medizinische Heilmittel aufbereitet. Zugleich wurden in Wittenberg bereits erste Sezierungen zur anatomischen Forschung durchgeführt und schriftlich dokumentiert.
Mit dem Bau dieser Räume stellt das Landesmuseum nun den Rundgang zur archäologischen Kulturgeschichte des Landes fertig. Auch der letzte Abschnitt trägt gestalterisch die Handschrift von Juraj Lipták und Karol Schauer und beindruckt mit bildgewaltigen Inszenierungen und der für das Landesmuseum typischen ›schwebenden‹ Objektmontage. Die bauseitige Durchführung des Projektes wurde von der ARGE ›Schiel Projektgesellschaft Berlin und KKS Architekten Dresden‹ geplant und realisiert.
Die Förderung des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) der Europäischen Union kommt aus dem Landesprogramm ›Sachsen-Anhalt Kulturerbe‹ und hat das Ziel, die Präsentation und nachhaltige Nutzung des kulturellen Erbes Sachsen- Anhalts zu verbessern und somit auch die Attraktivität der Städte und Regionen für Bewohner und Kulturtouristen zu erhöhen. Mit seinem Projekt ›Synergien für SachsenAnhalt‹ kann das Landesmuseum nicht nur den Bau der vorgestellten Räume realisieren, sondern das Haus unter anderem in den Bereichen Barrierefreiheit und Energieeffizienz optimieren.
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