Day Orange: Kundgebung für die Seenotrettung in Halle

Eine orangefarbene Flagge wehte am Samstag am Steintor in Halle, kleine orangefarbene Papierschiffe standen auf dem Platz. Zum „Day Orange“ haben sich auch Initiativen aus Halle zur Seenotrettung bekannt. Man kritisiere die europäische Abschottungspolitik und die Kriminalisierung der privaten Seenotrettung, hieß es bei einer Rede. Die Europäische Union müsse eine staatlich organisierte und effektive Seenotrettung einrichten, so die Initiative. Seenotrettung sei kein Verbrechen, private Seenotrettung dürfe nicht durch Strafverfolgung be- oder verhindert werden, sondern müsse offiziell unterstützt werden.
Bereits im Oktober hatte sich der Hallesche Stadtrat mehrheitlich solidarisch mit der Seebrücke erklärt und zudem seine Bereitschaft erklärt, dass Halle zusätzlich zum üblichen Aufnahmeverfahren speziell im Mittelmeer aus Seenot gerettete Menschen aufnimmt.
Komplette Rede:
Im Jahr 2018 sind rund 140.000 Menschen über das Mittelmeer nach Europa geflüchtet. So berichtet es das Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen. Mindestens 2,5 Tausend Menschen sind bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, gestorben. Im aktuellen Jahr – 2019 – sind bereits 402 Flüchtende auf dieser Route umgekommen; das sind durchschnittlich 6 Tote am Tag.
Außerdem ist von einer weit höheren Dunkelziffer auszugehen. Denn auf dem Mittelmeer sind kaum noch Akteur*innen unterwegs, die mitbekommen könnten, wenn ein Boot in Seenot ist oder sinkt. Aktuell stirbt nach Einschätzung der NGO Sea-Watch jeder vierte Flüchtling, der versucht das Mittelmeer zu überqueren.
Das liegt zum einen daran, dass die Flüchtenden in seeuntaugliche Schlauchboote gesetzt werden. Sie bekommen weder Navigationsgeräte noch ausreichend Rettungswesten. Es mangelt an Treibstoff, Wasser und Nahrung. Während die Schlepper anfangs noch Holzboote einsetzten, die unter Umständen die europäische Küste erreichen konnten, werden mittlerweile Schlauchboote verwendet. Die Schläuche werden von den Schleppern vor der Abfahrt oftmals mit Autoabgasen gefüllt, das geht schneller. Nach kurzer Zeit aber sind die Abgase abgekühlt, die Schläuche fallen zusammen und das Boot sinkt. Mittlerweile schaffen es die Boote also kaum mehr aus lybischen Gewässern heraus.
Die hohe Zahl der Ertrinkenden ist außerdem durch das weitgehende Fehlen von Rettungsmöglichkeiten verursacht. Die europäische Rettungsmission Sophia wurde „auf Eis gelegt“; fast alle Schiffe von Nichtregierungsorganisationen wurden seit dem vergangenen Jahr festgesetzt. Abgesehen von der sogenannten libyschen Küstenwache, befindet sich höchstens ein, meistens jedoch kein Seenotrettungsschiff auf dem Mittelmeer. Momentan ist die Sea-Watch 3 das einzig rettende Schiff, nach seiner letzten Mission durfte es mehrere Wochen nicht auslaufen. Oft bleibt den Nichtregierungsorganisationen nur die Möglichkeit, mit einem Flugzeug das Seegebiet abzufliegen und in Seenot befindende Schiffe den Seenotleitstellen in Rom, Tripolis und Malta zu melden, Vorkommnisse zu dokumentieren und zu veröffentlichen.
Schiffe von Seenotrettungs-Initiativen werden festgesetzt; ihre Crew-Mitglieder werden der Beihilfe zu Menschenhandel angeklagt; Italien verhängt auf das Retten von Menschen Geldstrafen. Die Niederlande schließlich versuchen zu verhindern, dass NGOs weiterhin über ihre Seeschiffsregister fahren dürfen. Dies alles sind sowohl Ursachen als auch Symptome einer gesellschaftlichen Diskursverschiebung in Bezug auf private Seenotrettung.
Diese Diskursverschiebung möchte ich an einem Beispiel veranschaulichen: Im Juli 2017 behauptete der ehemalige deutsche Innenminister De Maizière, dass private
Seenotrettungsinitiativen mit Schlepperbanden kooperieren würden. Die Retter*innen werden durch solche Aussagen kriminalisiert; das Vorurteil wird medial reproduziert; das Vertrauen in die Initiativen schwindet. Sie kommen in starke Finanzierungsprobleme, weil Förderer abspringen.
Gleichzeitig liegt auf ihnen ein enormer Rechtfertigungsdruck. Öffentlichkeitsarbeit und Gerichtsverfahren binden umfangreiche Kräfte der privaten Rettungsinitiativen. Auf der einen Seite werden sie so von ihrer eigentlichen Aufgabe – Menschen aus Seenot zu retten – abgehalten. Auf der anderen Seite ist – trotz widerlegter Behauptungen und Anklagen – das Bild der privaten Seenotrettungsinitativen in der deutschen Gesellschaft nachhaltig beschädigt worden.
WAS IST DIE SEEBRÜCKE / ZIELE
Wir, die Seebrücke Halle, kritisieren die europäische Abschottungspolitik und die Kriminalisierung der privaten Seenotrettung. Dabei sind wir Teil einer internationalen Bewegung aus verschiedenen Akteur*innen und Initiativen. Deutschlandweit ist die Seebrücke in ca 140 Städten und Gemeinden aktiv. Wir wollen das Thema „Seenotrettung“ immer wieder ins öffentliche Bewusstsein bringen. Hierzu organisieren wir Aktionen und Informationsveranstaltungen. Außerdem sammeln wir Spenden, damit NGOs wie die Sea-Watch oder Jugend rettet ihre wertvolle Arbeit fortführen können.
Auf Initiative von Seebrücke-Aktiven hin haben sich bereits 60 deutsche Städte zu „sicheren Häfen“ erklärt. D.h., diese Städte sind bereit, Geflüchtete unabhängig von europäischen Verteilungsschlüsseln aufzunehmen. Halle gehört seit dem 19. Dezember letzten Jahres auch zu den „sicheren Häfen“. Unsere Hoffnung ist, auf diesem Weg der politischen Willenserklärung Druck aufzubauen und eine andere bundesdeutsche und auch europäische Flüchtlingspolitik zu bewirken.
Darüber hinaus stellen wir als Seebrücke drei zentrale politische Forderungen:
1. Stoppt das Sterben im Mittelmeer – die Europäische Union muss eine staatlich organisierte und effektive Seenotrettung einrichten.
2. Seenotrettung ist kein Verbrechen – private Seenotrettung darf nicht durch Strafverfolgung be- oder verhindert werden, sondern muss offiziell unterstützt werden.
3. Gemeinsam Verantwortung übernehmen – Geflüchtete sollen europaweit gerecht verteilt werden und sich auf ein faires Asylverfahren verlassen können.
Wir feiern heute den Tag der offenen und solidarischen Gesellschaft. Und wir können dies in Sicherheit und Wohlstand tun.
Wer Menschenrechte missachtet oder aktiv außer Kraft zu setzen versucht, der oder die schadet der offenen Gesellschaft.
Wer sich abschottet und Solidarität verweigert, schließt sich selbst aus von einer offenen Gesellschaft.
Wir stehen ein für ein menschliches Europa, für ein buntes und farbenfrohes Deutschland!
Wir setzen uns ein für Demokratie, Respekt und Vielfalt.
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