Haltestellenscheiben als „Vogelkiller“? Umweltausschuss in Halle (Saale) debattiert über Volt-Antrag zum Tierschutz
Glas ist durchsichtig – und genau das ist das Problem. Für Menschen meist ein Symbol moderner Architektur, für Vögel dagegen eine unsichtbare Gefahr. Immer wieder prallen sie gegen transparente Flächen, weil sie sie nicht als Hindernis erkennen. Laut Expertenschätzungen gehören Glasflächen zu den größten menschengemachten Gefahrenquellen für Wildvögel. Auch in Halle (Saale) wird nun darüber diskutiert, ob die Haltestellen der Halleschen Verkehrs-AG (HAVAG) zur Todesfalle werden könnten.
Ein Antrag im Umweltausschuss
Auslöser der Debatte ist ein Antrag der Fraktion Volt / MitBürger im Stadtrat. Ihr Mitglied Ferdinand Raabe bezeichnet Glasscheiben als „die menschengemachte Hauptursache für das Sterben von Vögeln“. Im Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt und Ordnung wurde der Antrag am Donnerstag erstmals beraten – eine Entscheidung steht jedoch noch aus. Das Gremium vertagte den Punkt, um weitere Informationen und mögliche Handlungsoptionen zu prüfen. Raabe betonte, dass es nicht um einen sofortigen Komplettumbau der Haltestellen gehe. Stattdessen solle die Stadt gemeinsam mit der HAVAG ein Konzept entwickeln, das langfristig für besseren Vogelschutz sorgt – insbesondere dort, wo gehäuft Fälle bekannt werden. „Es gibt Haltestellen, wo es vermehrt Vorfälle gibt“, so Raabe. Ein systematisches Vorgehen sei nötig, um priorisierte Maßnahmen zu ergreifen, etwa beim planmäßigen Austausch beschädigter Scheiben.
470 Haltestellen – 1.700 Scheiben
In Halle betreibt die HAVAG derzeit rund 470 Fahrgastunterstände mit insgesamt etwa 1.700 Glasscheiben. Viele davon stammen aus verschiedenen Baujahren und unterscheiden sich in Design und Material. Einheitliche Vogelschutzmarkierungen gibt es bisher nicht. Zwar sind die Scheiben laut HAVAG mit sogenannten Sicherheitsmarkierungen versehen – diese dienen aber primär der Sicherheit sehbehinderter Menschen, nicht dem Vogelschutz. Die HAVAG selbst sieht bislang keinen akuten Handlungsbedarf. In einer schriftlichen Stellungnahme erklärte das Unternehmen, dass ihm keine Fallzahlen zu Vogelschlägen an Haltestellen vorlägen. Weder über die Leitstelle noch über den Kundendialog seien entsprechende Meldungen eingegangen. Angesichts der vielen täglichen Sichtkontakte von Fahrgästen und Personal vermutet die HAVAG daher „eine geringe Fallzahl“, weshalb bislang kein Handlungsbedarf gesehen werde. Raabe kann das nicht nachvollziehen. Ihm liegen Berichte von Bürgerinnen und Bürgern vor, die das Gegenteil nahelegen. Eine Frau habe im Frühjahr an der Haltestelle Spechtweg insgesamt acht tote Vögel gefunden. „Man darf außerdem nicht vergessen“, argumentiert Raabe, „dass nur ein Teil der Tiere überhaupt am Unfallort bleibt.“ Viele werden von Katzen weggetragen oder schaffen es noch ein Stück weiter, bevor sie verenden. Die Dunkelziffer könnte also deutlich höher liegen.
Unterstützung aus anderen Fraktionen
Auch in anderen politischen Lagern stößt das Anliegen auf Zustimmung. Julius Neumann (SPD) erklärte im Ausschuss: „Ich unterstütze die Idee grundsätzlich.“ Vogelschutz sei ein wichtiges Thema, das in der Stadtpolitik mehr Aufmerksamkeit verdiene. Claudia Dalbert (Grüne) betonte ebenfalls die Relevanz des Themas, gab aber zu bedenken, dass auch Menschen mit Sehbehinderung berücksichtigt werden müssen. Die derzeitigen Markierungen an den Glasscheiben seien in enger Abstimmung mit Sehbehindertenverbänden entwickelt worden, um ausreichende Kontraste und Orientierung zu gewährleisten. Eine Veränderung dieser Standards müsse daher sorgfältig abgewogen werden.
Zwischen Sicherheitsanforderung und Tierschutz
Die HAVAG verweist in ihrer Stellungnahme auf den Regeldetailkatalog des Gestaltungshandbuchs Stadtbahn. Danach müssen Sicherheitsmarkierungen in Form von stilisierten Dreiecken oder Streifen aufgebracht werden. Diese sollen in erster Linie verhindern, dass sehbehinderte Menschen versehentlich gegen die Scheiben laufen. Die Markierungen werden im Siebdruckverfahren direkt auf das Glas gedruckt – eine langlebige Lösung, die sich in der Praxis bewährt habe. Folien oder Beklebungen, die oft für Vogelschutzmuster verwendet werden, seien laut HAVAG weniger haltbar: Sie könnten verwittern oder von Dritten entfernt werden. Eine Glasscheibe mit Sicherheitsmarkierung kostet im Schnitt rund 300 Euro. Wie stark sich die Kosten erhöhen würden, wenn künftig größere oder dichtere Muster verwendet werden müssten, sei derzeit nicht absehbar.
Die Stadtverwaltung soll laut Antrag gemeinsam mit der HAVAG eine umfassende Strategie zur Verbesserung des Vogelschutzes an Haltestellen erarbeiten. Besonders gefährdete Haltestellen sollen identifiziert und priorisiert werden. Fachlich fundierte Standards für Vogelschutzmuster sollen festgelegt werden – etwa durch ornithologische Expertise oder bewährte Beispiele aus anderen Städten. In Leipzig wurde laut Raabe bereits nachgebessert. Dort habe man in bestimmten Bereichen Haltestellen mit speziellen Mustern versehen, die Vögel deutlich besser erkennen können. Halle könne von diesen Erfahrungen profitieren.
Zwischen Anspruch und Realität
Die Diskussion zeigt, wie schwer es ist, verschiedene Interessen miteinander zu vereinen. Einerseits steht der Schutz bedrohter Vogelarten auf der Agenda, andererseits müssen barrierefreie Standards und Kostenaspekte berücksichtigt werden. Hinzu kommt, dass belastbare Daten fehlen. Ohne eine Statistik über Vogelschläge bleibt unklar, wie groß das Problem tatsächlich ist. Fachleute betonen, dass Vogelschlag an Glasflächen oft unterschätzt wird – insbesondere, wenn keine systematische Erfassung erfolgt.










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