Mitteldeutscher Verlag aus Halle bangt wegen Corona um die Zukunft
Die Corona-Krise bedroht den Mitteldeutschen Verlag aus Halle in seiner Existenz. Die Umsätze sind deutlich eingebrochen. Ein Drittel der Rücklagen sind bereits aufgebraucht. Die zehn Mitarbeiter sind in Kurzarbeit, seit vier Wochen wartet der kleine Buchverlag auf die Soforthilfe.
Folgendes Schreiben erreichte uns vom Verlag:
Der Mitteldeutsche Verlag
(Sitz Halle (Saale)) ist seit fast 75 Jahren ein fester und wichtiger
Bestandteil der deutschen Verlagslandschaft. In der Zeit nach der
Wiedervereinigung hat er stürmische Zeiten erlebt und einige Kratzer
abbekommen. Aber er ist nicht untergegangen. Bis heute. Bis Corona.
Auch in den letzten Jahren wurde der Verlag immer wieder starken Strapazen
ausgesetzt: 2013 vernichtete ein Großbrand im Lager der damaligen
Verlagsauslieferung rund die Hälfte der Verlagsproduktion. Der Verlag war dafür
nicht versichert, da er einen alten Vertrag aus den 1990er Jahren hatte. 2016
folgte das VG-Wort-Urteil zur Verlegerbeteiligung, seitdem entgeht dem Verlag
ein Drittel seines Jahresgewinns. Im Februar 2019 meldete der Großhändler KNV
Insolvenz an und nahm das Weihnachtsgeschäft gleich mit. Und zum 1. Januar 2020
stieg das Porto für Büchersendungen bei der Deutschen Post um bis zu 60 Prozent.
Die Coronapandemie erwischt auch den Mitteldeutschen Verlag mit ihren
direkten und indirekten Auswirkungen: Seit Mitte März registrieren wir einen
starken Einbruch der Verkaufszahlen, einzelne Frühjahresneuerscheinungen wurden
schon nach wenigen Tagen aus dem Sortiment zurückgegeben, da auch der
Buchhandel kein Kapital binden kann. In der zweiten Märzhälfte hatten wir nur
20 Prozent des Umsatzes des Vorjahres, der April begann gar mit Minusumsätzen.
Erst seit vergangener Woche sind bundesweit die Buchhandlungen wieder offen und
verkaufen derzeit Bestandsware. Der Onlineriese Amazon verkauft bis Mai keine
neuen Bücher der Verlage, weil er sich den relevanten Produkten zuwendet.
Die Absage der Leipziger Messe bedeutete, dass Novitäten „unsichtbar“
wurden, rund 40 geplante Lesungen im Umfeld der Messe („Leipzig liest“,
„Halle liest mit“) fielen ins Wasser. Auch die sonstigen geplanten Lesungen
(ca. 50 pro Monat) können nicht stattfinden, dadurch gibt es auch keinen
Direktverkauf von Titeln. Neben den Lesungen sind auch Ausstellungen (für die
wir Kataloge und Begleitbände produzieren) bis mindestens August gestrichen.
Durch diese Planungsunsicherheit können wir kein Veranstaltungsmanagement
leisten. Gerade für den Teil unserer Autorinnen und Autoren, die mit
öffentlichen Auftritten einen wichtigen Teil ihrer Einkünfte erwirtschaftet,
ist das ein großes Problem.
Die Relevanz des Buches in den Kulturflächen der Medien nimmt seit Jahren
ab, auch derzeit werden weniger Bücher besprochen. Ein ganzes
Frühjahresprogramm krepiert dadurch im Rohr, ausfallende Einnahmen machen es
kaum mehr möglich, mittelfristig Projekte zu realisieren, die nicht sofortige
Umsatzträger sind (Literatur).
Im März haben wir ein Drittel der Rücklagen der vergangenen 15 Jahre
aufgebraucht! In Reaktion auf diese existenzbedrohende Situation ist der
komplette Verlag mit seinen 10 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Kurzarbeit.
Bezüglich der sogenannten Soforthilfe, die den Verlag 14 Tage länger überleben
lassen würde, haben wir seit vier Wochen nur eine Eingangsbestätigung.
Das Herbstprogramm 2020 mussten wir um ein Drittel streichen, die Buchmesse
Frankfurt am Main mit dem für uns wichtigen Gastland Kanada wackelt.
2021 wird ein ganz anderes Jahr, als wir uns das gedacht und erhofft
haben. Der Verlag wird dann im Februar 75 Jahre alt – wenn es ihn bis dahin
noch gibt. Wir arbeiten daran.
Der MDV leistet, besonders auch mit seinem Regionalprogramm, einen unschätzbaren Beitrag für die Kulturlandschaft Mitteldeutschlands. Ein engagiertes Team hat nach der Insolvenz vor ca. 20 Jahren den Verlag wieder ins Laufen gebracht. Umso bedauerlicher ist die gegenwärtige Situation mit den multiplen Nadelstichen von allen Seiten, die zu der prekären Lage geführt haben. Es bleibt zu wünschen, dass der Patient sich wieder hochrappeln kann und zu alter Vitalität zurück kehrt. Aber auch, dass er in Zukunft sein Herz entdeckt für Mitwettbewerber, die kantige Meinungen jenseits des Mainstreams vertreten. Beim Buchboykott gegen Akif Pirinci etwa, dem mit Falschbehauptungen sämtliche traditionellen Vertriebswege abgeschnitten wurden, hat kaum einer der Verlags- und Schriftstellerkollegen Partei ergriffen im Sinne der Meinungsvielfalt. Auch das unsägliche Agieren der Buchmesse-Gesellschaften in Frankfurt und Leipzig gegen die Verlage von Kubitschek (Antaios) oder Elsässer (Compact) haben die Etablierten stillschweigend hingenommen. Wer schlägt sich gegenwärtig auf die Seite von Uwe Tellmamp? Die Boykottierten haben trotzdem überlebt, durch den Aufbau eigener Vertriebswege und cleverer Online-Portale. Nun sind viele der Mainstream-Verlage in einer wirtschaftlich ähnlichen Situation wie die Angefeindeten schon vor Jahren und können vielleicht ermessen, wie feige und schäbig ihr Verhalten war, das Andersdenkende in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdete.
Sei’s drum: allen, die Lesestoff aufbereiten, von links über Mitte bis rechts, ist eine Zukunft zu wünschen. Ansonsten wird die Kulturlandschaft langweilig, leer und grau. Also: toi, toi, toi für Herrn Pliske und seine Mitstreiter vom MDV!
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