Sonderausstellung in den Franckeschen Stiftungen in Halle: „Gott erbarme sich der bedrängten Böhmen“
Vor über 300 Jahren wurden die böhmischen Protestanten von Katholiken verfolgt. Viele sind nach und nach geflohen, zum Beispiel nach Sachsen oder auch in die Gegend von Barby. Unterstützung erhielten die Gläubigen aus Halle (Saale). Denn in den Franckeschen Stiftungen wurde vor 300 Jahren die erste böhmische Bibel gedruckt. Halle sei der wichtigste Druckort gewesen, so Britta Klosterberg von der Bibliothek. „Francke wollte die unterdrückten Protestanten unterstützen.“ Man könne hier im Buch die Geschichte der böhmischen Emigration zeigen.
Unter dem Titel „Gott erbarme sich der bedrängten Böhmen“ widmet sich eine Kabinettausstellung 300 Jahren böhmischen Bibeldruck in Halle. Zu sehen ist die Schau in der Historischen Bibliothek. Eröffnet wird sie am heutigen 17. November 2022, um 18.00 Uhr, mit einem Vortrag von Prof. Dr. Joachim Bahlcke (Universität Stuttgart) im Englischen Saal, Haus 26.
Die Ausstellung knüpft an ein weiteres Bibeljubiläum in Sachsen-Anhalt an, die Übersetzung des griechischen Neuen Testaments in die frühneuhochdeutsche Sprache durch Martin Luther auf der Wartburg vor 500 Jahren, das im September 1522 in den Handel kam und deshalb Septembertestament genannt wird. Gleichzeitig greift sie ein auch heute wieder aktuelles Thema auf: die Sorge und Unterstützung für aus politischen und religiösen Gründen Verfolgte und Emigranten.
Aufgrund ihres Bekenntnisses zur Augsburger Konfession und in Folge der Rekatholisierung Böhmens nach der Schlacht am Weißen Berg 1620 mussten viele Nichtkatholiken ihre Heimat verlassen. Die Glaubensflüchtlinge, die um 1700 überwiegend in Sachsen und Preußen aufgenommen wurden, fanden in August Hermann Francke (1663-1727) einen verständnisvollen Ratgeber und Helfer. Vor allem wollte er die Exulanten, aber auch die in Böhmen, Mähren, Teilen Ungarns und Schlesiens verbliebenen Protestanten mit Büchern in ihrer Muttersprache versorgen, die in ihrer Existenz bedroht war. Dabei wurden teilweise gefährliche und abenteuerliche Wege beschritten. So schmuggelten böhmische Fuhrleute, die wegen der Salztransporte nach Halle kamen, die Bücher nach Böhmen.
Die Ausstellung gibt einen Einblick in die Beziehungen des Halleschen Waisenhauses zu den böhmischen Glaubensminderheiten und stellt Beispiele der für sie bestimmten Drucke vor. Unter Franckes Mitarbeiter Heinrich Milde (1676-1739) entwickelte sich Halle zu einem wichtigen Verlagsort für tschechische protestantische Drucke. Den Höhepunkt der Verlagstätigkeit Mildes bildete die Drucklegung der tschechischen Bibel im Jahr 1722. Sie wurde nach dem Vorbild der Kralitzer Bibel aus dem Jahr 1613 mit einer Auflage von 5.000 Exemplaren hergestellt. Insgesamt wurden zwischen 1718 und 1724 mehr als 39.000 tschechische Traktate in Halle gedruckt. Bei seiner Übersetzungstätigkeit wurde Milde von sprachkundigen Studenten und Mitarbeitern am Halleschen Waisenhaus unterstützt. Nach der Rückkehr in ihre Heimat förderten diese Tschechen und Slowaken weiterhin die Herausgabe böhmischer Drucke in Halle und sorgten für deren Verteilung unter der protestantischen Bevölkerung. Nach Mildes Tod im Jahr 1739 hinterließ er seine etwa 400 Bände umfassende Büchersammlung der Bibliothek des Halleschen Waisenhauses, darunter zahlreiche tschechische Drucke. Und diese Bücher haben den Archivaren erlaubt, einen genauen Zeitplan der damaligen Geschehnisse aufzustellen. Denn Milde hat seine Bücher mit zahlreichen Anmerkungen und Datumsangaben versehen. Und auch sein Bekenntnis zu Halle findet sich immer wieder, „Halle-luyah Amen“ ist immer wieder zu lesen.
Aus Anlass des 300. Jubiläums des Drucks der böhmischen Bibel wurden in einem vom Land Sachsen-Anhalt geförderten Projekt des Studienzentrums der Franckeschen Stiftungen 65 tschechische Bücher mit rund 25.000 Seiten digitalisiert, die im 18. Jahrhundert in Halle erschienen sind oder aus Mildes Privatbibliothek stammen. Sie können in den Digitalen Sammlungen unter der Adresse https://digital.francke-halle.de aufgerufen werden.
»Gott erbarme sich der bedrängten Böhmen« – 300 Jahre böhmischer Bibeldruck in Halle
Kabinettausstellung in der Historischen Bibliothek
18. November 2022 – 10. April 2023
Di – So 10 -17 Uhr
Eintritt 6 Euro, erm. 4 Euro, Kinder bis 18 Jahre frei
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